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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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lungsreihen, gerathen durch jene in eine ungewöhnliche
Bewegung; es verschmilzt mit ihnen etwas unbedeutend
Weniges von jenen; sie erhalten einen leichten Anflug,
und treten, mit diesem behaftet, höher ins Bewusstseyn
hervor; aber die Verschmelzung isst zu schwach, als dass
durch Hülfe derselben das schon Entflohene könnte voll-
ständiger zurückgerufen, und in allen seinen Theilen ei-
ner genauern Bestimmung, einer weitern Formung durch
die mächtigern Vorstellungsmassen unterworfen werden.

Diesen Fällen gegenüber stehn diejenigen, wo die
Schuld der mangelnden inneren Wahrnehmung an den
Vorstellungsmassen liegt, die die Apperception bewirken
sollten. In den früheren Kinderjahren sind dieselben noch
gar nicht gebildet; darum bleibt hier der einfachste, ro-
heste Mechanismus der kaum gewonnenen Vorstellungen
sich selbst überlassen, es ist kein Faden vorhanden, woran
die zufälligen Aufregungen derselben könnten aufgerichtet
werden. Erleidet der Geist einen Druck durch Organi-
sationsfehler: so werden die vorhandenen älteren und
mächtigern Massen in ihrer Wirksamkeit gegen die jün-
geren unaufhörlich gestört; dasselbe geschieht in Zustän-
den der Berauschung und der entflammten Leidenschaf-
ten. Sind endlich diese Massen im eigentlichsten Ver-
stande nur blosse Massen, blosse Anhäufungen ohne
innerliche Ausbildung und Anordnung, wie bey rohen
Menschen: so können sie unmöglich auf das ihnen im
Bewusstseyn Begegnende eine solche Wirkung äussern,
wie dies bey dem gebildeten Manne sich ereignet.

Uebrigens ist nun klar, dass die innere Wahrneh-
mung allemal geschieht, wann und in wie weit sie ge-
schehn kann; und dass sie nur dann ausbleibt, wenn sie
aus irgend einem Grunde verhindert, oder durch gar kei-
nen Grund hervorgebracht war. Für die gesetzlosen Spiele
der sogenannten transscendentalen Freyheit ist hier
kein Platz; man kann aber schon ahnden, worauf das-
jenige beruht, was man mit Recht Freiheit des Willens,
der Aufmerksamkeit, der Besonnenheit, nennen mag;

lungsreihen, gerathen durch jene in eine ungewöhnliche
Bewegung; es verschmilzt mit ihnen etwas unbedeutend
Weniges von jenen; sie erhalten einen leichten Anflug,
und treten, mit diesem behaftet, höher ins Bewuſstseyn
hervor; aber die Verschmelzung isst zu schwach, als daſs
durch Hülfe derselben das schon Entflohene könnte voll-
ständiger zurückgerufen, und in allen seinen Theilen ei-
ner genauern Bestimmung, einer weitern Formung durch
die mächtigern Vorstellungsmassen unterworfen werden.

Diesen Fällen gegenüber stehn diejenigen, wo die
Schuld der mangelnden inneren Wahrnehmung an den
Vorstellungsmassen liegt, die die Apperception bewirken
sollten. In den früheren Kinderjahren sind dieselben noch
gar nicht gebildet; darum bleibt hier der einfachste, ro-
heste Mechanismus der kaum gewonnenen Vorstellungen
sich selbst überlassen, es ist kein Faden vorhanden, woran
die zufälligen Aufregungen derselben könnten aufgerichtet
werden. Erleidet der Geist einen Druck durch Organi-
sationsfehler: so werden die vorhandenen älteren und
mächtigern Massen in ihrer Wirksamkeit gegen die jün-
geren unaufhörlich gestört; dasselbe geschieht in Zustän-
den der Berauschung und der entflammten Leidenschaf-
ten. Sind endlich diese Massen im eigentlichsten Ver-
stande nur bloſse Massen, bloſse Anhäufungen ohne
innerliche Ausbildung und Anordnung, wie bey rohen
Menschen: so können sie unmöglich auf das ihnen im
Bewuſstseyn Begegnende eine solche Wirkung äuſsern,
wie dies bey dem gebildeten Manne sich ereignet.

Uebrigens ist nun klar, daſs die innere Wahrneh-
mung allemal geschieht, wann und in wie weit sie ge-
schehn kann; und daſs sie nur dann ausbleibt, wenn sie
aus irgend einem Grunde verhindert, oder durch gar kei-
nen Grund hervorgebracht war. Für die gesetzlosen Spiele
der sogenannten transscendentalen Freyheit ist hier
kein Platz; man kann aber schon ahnden, worauf das-
jenige beruht, was man mit Recht Freiheit des Willens,
der Aufmerksamkeit, der Besonnenheit, nennen mag;

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[221/0256] lungsreihen, gerathen durch jene in eine ungewöhnliche Bewegung; es verschmilzt mit ihnen etwas unbedeutend Weniges von jenen; sie erhalten einen leichten Anflug, und treten, mit diesem behaftet, höher ins Bewuſstseyn hervor; aber die Verschmelzung isst zu schwach, als daſs durch Hülfe derselben das schon Entflohene könnte voll- ständiger zurückgerufen, und in allen seinen Theilen ei- ner genauern Bestimmung, einer weitern Formung durch die mächtigern Vorstellungsmassen unterworfen werden. Diesen Fällen gegenüber stehn diejenigen, wo die Schuld der mangelnden inneren Wahrnehmung an den Vorstellungsmassen liegt, die die Apperception bewirken sollten. In den früheren Kinderjahren sind dieselben noch gar nicht gebildet; darum bleibt hier der einfachste, ro- heste Mechanismus der kaum gewonnenen Vorstellungen sich selbst überlassen, es ist kein Faden vorhanden, woran die zufälligen Aufregungen derselben könnten aufgerichtet werden. Erleidet der Geist einen Druck durch Organi- sationsfehler: so werden die vorhandenen älteren und mächtigern Massen in ihrer Wirksamkeit gegen die jün- geren unaufhörlich gestört; dasselbe geschieht in Zustän- den der Berauschung und der entflammten Leidenschaf- ten. Sind endlich diese Massen im eigentlichsten Ver- stande nur bloſse Massen, bloſse Anhäufungen ohne innerliche Ausbildung und Anordnung, wie bey rohen Menschen: so können sie unmöglich auf das ihnen im Bewuſstseyn Begegnende eine solche Wirkung äuſsern, wie dies bey dem gebildeten Manne sich ereignet. Uebrigens ist nun klar, daſs die innere Wahrneh- mung allemal geschieht, wann und in wie weit sie ge- schehn kann; und daſs sie nur dann ausbleibt, wenn sie aus irgend einem Grunde verhindert, oder durch gar kei- nen Grund hervorgebracht war. Für die gesetzlosen Spiele der sogenannten transscendentalen Freyheit ist hier kein Platz; man kann aber schon ahnden, worauf das- jenige beruht, was man mit Recht Freiheit des Willens, der Aufmerksamkeit, der Besonnenheit, nennen mag;

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/256>, abgerufen am 22.11.2024.