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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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ein Gegenstand, zu welchem wir uns jetzt allmählig im-
mer näher werden hingeführt finden.

Unter den ferneren Bemerkungen, die sich uns dar-
bieten, ist die nächste ohne Zweifel die, dass nicht bloss
zwey Vorstellungsmassen, sondern auch drey oder mch-
rere einander im Bewusstseyn begegnen, wecken, formen
und über einander herrschen können. So geschieht es,
dass der Mensch nicht bloss den letztvergangenen Gedan-
ken tadelt, sondern wiederum des Tadels spottet, und
den Spott bereut. -- Ferner, unter den mehreren
Vorstellungsmassen, deren jede folgende die vorherge-
hende appercipirt, oder von denen wohl auch die dritte
sich die Verbindung oder den Widerstreit der ersten
und zweyten zu ihrem Gegenstande nimmt, muss irgend
eine die letzte seyn; diese höchste appercipirende
wird nun selbst nicht wieder appercipirt
.

Weiter: blicken wir auf die früher betrachteten Ge-
genstände zurück; so findet sich keiner, der nicht nähere
Bestimmungen bey Gelegenheit der innern Wahrneh-
mung erhielte. Dass Gefühle, Affecten, Begierden, durch
sie gemildert werden, ist schon bemerkt; offenbar aber
müssen auch dieselben dadurch vermehrt und mannigfal-
tiger werden. Welche Ausbildung, welche Ausgleichung
und Erhebung zu Normal-Gestalten (dergleichen die
Geometrie zu ihrem Gegenstande macht,) die räumlichen
Vorstellungen gewinnen, wenn die jüngeren durch die
früher erworbenen appercipirt werden: dies wäre eine sehr
interessante Untersuchung, wenn wir uns hier damit be-
fassen könnten. Dass die Begriffe bey innerer Wahr-
nehmung gleichsam chemisch auf einander wirken, dass
sie einander zersetzen, und in neue Verbindungen ein-
gehn müssen, dass dabey Urtheile in Menge zum Vor-
schein kommen werden: dies alles lässt sich gleichsam in
der Ferne erkennen; es mag aber für künftige Untersu-
chungen dahingestellt bleiben.

Endlich müssen wir jetzt aussprechen, was sich ohne
Zweifel dem Leser längst aufgedrungen hat, nämlich dass

ein Gegenstand, zu welchem wir uns jetzt allmählig im-
mer näher werden hingeführt finden.

Unter den ferneren Bemerkungen, die sich uns dar-
bieten, ist die nächste ohne Zweifel die, daſs nicht bloſs
zwey Vorstellungsmassen, sondern auch drey oder mch-
rere einander im Bewuſstseyn begegnen, wecken, formen
und über einander herrschen können. So geschieht es,
daſs der Mensch nicht bloſs den letztvergangenen Gedan-
ken tadelt, sondern wiederum des Tadels spottet, und
den Spott bereut. — Ferner, unter den mehreren
Vorstellungsmassen, deren jede folgende die vorherge-
hende appercipirt, oder von denen wohl auch die dritte
sich die Verbindung oder den Widerstreit der ersten
und zweyten zu ihrem Gegenstande nimmt, muſs irgend
eine die letzte seyn; diese höchste appercipirende
wird nun selbst nicht wieder appercipirt
.

Weiter: blicken wir auf die früher betrachteten Ge-
genstände zurück; so findet sich keiner, der nicht nähere
Bestimmungen bey Gelegenheit der innern Wahrneh-
mung erhielte. Daſs Gefühle, Affecten, Begierden, durch
sie gemildert werden, ist schon bemerkt; offenbar aber
müssen auch dieselben dadurch vermehrt und mannigfal-
tiger werden. Welche Ausbildung, welche Ausgleichung
und Erhebung zu Normal-Gestalten (dergleichen die
Geometrie zu ihrem Gegenstande macht,) die räumlichen
Vorstellungen gewinnen, wenn die jüngeren durch die
früher erworbenen appercipirt werden: dies wäre eine sehr
interessante Untersuchung, wenn wir uns hier damit be-
fassen könnten. Daſs die Begriffe bey innerer Wahr-
nehmung gleichsam chemisch auf einander wirken, daſs
sie einander zersetzen, und in neue Verbindungen ein-
gehn müssen, daſs dabey Urtheile in Menge zum Vor-
schein kommen werden: dies alles läſst sich gleichsam in
der Ferne erkennen; es mag aber für künftige Untersu-
chungen dahingestellt bleiben.

Endlich müssen wir jetzt aussprechen, was sich ohne
Zweifel dem Leser längst aufgedrungen hat, nämlich daſs

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[222/0257] ein Gegenstand, zu welchem wir uns jetzt allmählig im- mer näher werden hingeführt finden. Unter den ferneren Bemerkungen, die sich uns dar- bieten, ist die nächste ohne Zweifel die, daſs nicht bloſs zwey Vorstellungsmassen, sondern auch drey oder mch- rere einander im Bewuſstseyn begegnen, wecken, formen und über einander herrschen können. So geschieht es, daſs der Mensch nicht bloſs den letztvergangenen Gedan- ken tadelt, sondern wiederum des Tadels spottet, und den Spott bereut. — Ferner, unter den mehreren Vorstellungsmassen, deren jede folgende die vorherge- hende appercipirt, oder von denen wohl auch die dritte sich die Verbindung oder den Widerstreit der ersten und zweyten zu ihrem Gegenstande nimmt, muſs irgend eine die letzte seyn; diese höchste appercipirende wird nun selbst nicht wieder appercipirt. Weiter: blicken wir auf die früher betrachteten Ge- genstände zurück; so findet sich keiner, der nicht nähere Bestimmungen bey Gelegenheit der innern Wahrneh- mung erhielte. Daſs Gefühle, Affecten, Begierden, durch sie gemildert werden, ist schon bemerkt; offenbar aber müssen auch dieselben dadurch vermehrt und mannigfal- tiger werden. Welche Ausbildung, welche Ausgleichung und Erhebung zu Normal-Gestalten (dergleichen die Geometrie zu ihrem Gegenstande macht,) die räumlichen Vorstellungen gewinnen, wenn die jüngeren durch die früher erworbenen appercipirt werden: dies wäre eine sehr interessante Untersuchung, wenn wir uns hier damit be- fassen könnten. Daſs die Begriffe bey innerer Wahr- nehmung gleichsam chemisch auf einander wirken, daſs sie einander zersetzen, und in neue Verbindungen ein- gehn müssen, daſs dabey Urtheile in Menge zum Vor- schein kommen werden: dies alles läſst sich gleichsam in der Ferne erkennen; es mag aber für künftige Untersu- chungen dahingestellt bleiben. Endlich müssen wir jetzt aussprechen, was sich ohne Zweifel dem Leser längst aufgedrungen hat, nämlich daſs

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/257>, abgerufen am 22.11.2024.