lung de attentionis mensura als bekannt vorausgesetzt werden; deren grösster Theil nur genauere Berechnung des im §. 95. behandelten Problems ausmacht. Doch ei- nen Hauptgedanken muss ich daraus hier anführen.
Ursprünglich ist Aufmerksamkeit nichts anderes als die Fähigkeit, einen Zuwachs des Vorstellens zu erzeu- gen. Die Grösse dieser Fähigkeit sey = X, so ist Xdt der Zuwachs im Zeitlichen dt; aber eben derselbe ist auch gleich dem Anwachs des Ueberschusses, um wel- chen die Wahrnehmung in der Zeit t grösser ist als de- ren Gehemmtes, also = d(z--Z) in der Bedeutung des §. 95. demnach aus Xdt = d(z--Z) folgt
[Formel 1]
, und die Berechnung dieses veränderlichen Differential- quotienten ist unmittelbar die Bestimmung der Aufmerk- samkeit; welche meistens in einem nothwendigen Abneh- men begriffen, doch auch in seltenen Fällen Anfangs eine kleine Zeitlang wachsend befunden wird; wie in der ge- nannten Abhandlung ausführlich ist dargethan worden.
Auf diesen Begriff der, von den primären Ursa- chen bestimmten, Aufmerksamkeit wird aber derjenige nur mit Mühe kommen, der sie auf analytischem Wege un- tersucht. Er hat erstlich zweyerley abzusondern und bey Seite zu setzen, nämlich den Entschluss, aufzumerken, welcher der Auffassung vorangeht, und das innerliche Wiederhohlen des Gemerkten, (das Memoriren,) wo- durch die schon geschehene Auffassung eingeprägt wird. Dann muss noch abgeschieden werden das Merken aus Begierde (zum Theil blosser Neugierde), und der Zu- stand gereizter Empfindlichkeit, mit dem öfter eine falsche Aufmerksamkeit des Erschleichens und Misverste- hens, als die wahre Sammlung des Gegebenen, verbun- den zu seyn pflegt. Endlich bleibt nun die bloss apper- cipirende Aufmerksamkeit übrig, von der wir hier haupt- sächlich zu reden haben; würde aber auch die Apper- ception hinweggedacht, dann erst käme jene zuvor er- wähnte, bloss von den vier primären Ursachen abhän-
gende
lung de attentionis mensura als bekannt vorausgesetzt werden; deren gröſster Theil nur genauere Berechnung des im §. 95. behandelten Problems ausmacht. Doch ei- nen Hauptgedanken muſs ich daraus hier anführen.
Ursprünglich ist Aufmerksamkeit nichts anderes als die Fähigkeit, einen Zuwachs des Vorstellens zu erzeu- gen. Die Gröſse dieser Fähigkeit sey = X, so ist Xdt der Zuwachs im Zeitlichen dt; aber eben derselbe ist auch gleich dem Anwachs des Ueberschusses, um wel- chen die Wahrnehmung in der Zeit t gröſser ist als de- ren Gehemmtes, also = d(z—Z) in der Bedeutung des §. 95. demnach aus Xdt = d(z—Z) folgt
[Formel 1]
, und die Berechnung dieses veränderlichen Differential- quotienten ist unmittelbar die Bestimmung der Aufmerk- samkeit; welche meistens in einem nothwendigen Abneh- men begriffen, doch auch in seltenen Fällen Anfangs eine kleine Zeitlang wachsend befunden wird; wie in der ge- nannten Abhandlung ausführlich ist dargethan worden.
Auf diesen Begriff der, von den primären Ursa- chen bestimmten, Aufmerksamkeit wird aber derjenige nur mit Mühe kommen, der sie auf analytischem Wege un- tersucht. Er hat erstlich zweyerley abzusondern und bey Seite zu setzen, nämlich den Entschluſs, aufzumerken, welcher der Auffassung vorangeht, und das innerliche Wiederhohlen des Gemerkten, (das Memoriren,) wo- durch die schon geschehene Auffassung eingeprägt wird. Dann muſs noch abgeschieden werden das Merken aus Begierde (zum Theil bloſser Neugierde), und der Zu- stand gereizter Empfindlichkeit, mit dem öfter eine falsche Aufmerksamkeit des Erschleichens und Misverste- hens, als die wahre Sammlung des Gegebenen, verbun- den zu seyn pflegt. Endlich bleibt nun die bloſs apper- cipirende Aufmerksamkeit übrig, von der wir hier haupt- sächlich zu reden haben; würde aber auch die Apper- ception hinweggedacht, dann erst käme jene zuvor er- wähnte, bloſs von den vier primären Ursachen abhän-
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lung de attentionis mensura als bekannt vorausgesetzt
werden; deren gröſster Theil nur genauere Berechnung
des im §. 95. behandelten Problems ausmacht. Doch ei-
nen Hauptgedanken muſs ich daraus hier anführen.
Ursprünglich ist Aufmerksamkeit nichts anderes als
die Fähigkeit, einen Zuwachs des Vorstellens zu erzeu-
gen. Die Gröſse dieser Fähigkeit sey = X, so ist Xdt
der Zuwachs im Zeitlichen dt; aber eben derselbe ist
auch gleich dem Anwachs des Ueberschusses, um wel-
chen die Wahrnehmung in der Zeit t gröſser ist als de-
ren Gehemmtes, also = d(z—Z) in der Bedeutung des
§. 95. demnach aus Xdt = d(z—Z) folgt [FORMEL],
und die Berechnung dieses veränderlichen Differential-
quotienten ist unmittelbar die Bestimmung der Aufmerk-
samkeit; welche meistens in einem nothwendigen Abneh-
men begriffen, doch auch in seltenen Fällen Anfangs eine
kleine Zeitlang wachsend befunden wird; wie in der ge-
nannten Abhandlung ausführlich ist dargethan worden.
Auf diesen Begriff der, von den primären Ursa-
chen bestimmten, Aufmerksamkeit wird aber derjenige nur
mit Mühe kommen, der sie auf analytischem Wege un-
tersucht. Er hat erstlich zweyerley abzusondern und bey
Seite zu setzen, nämlich den Entschluſs, aufzumerken,
welcher der Auffassung vorangeht, und das innerliche
Wiederhohlen des Gemerkten, (das Memoriren,) wo-
durch die schon geschehene Auffassung eingeprägt wird.
Dann muſs noch abgeschieden werden das Merken aus
Begierde (zum Theil bloſser Neugierde), und der Zu-
stand gereizter Empfindlichkeit, mit dem öfter eine
falsche Aufmerksamkeit des Erschleichens und Misverste-
hens, als die wahre Sammlung des Gegebenen, verbun-
den zu seyn pflegt. Endlich bleibt nun die bloſs apper-
cipirende Aufmerksamkeit übrig, von der wir hier haupt-
sächlich zu reden haben; würde aber auch die Apper-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/259>, abgerufen am 22.11.2024.
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