gende Aufmerksamkeit
[Formel 1]
zum Vorschein. Man sieht, dass wir hier mit einem sehr zusammengesetzten Gegenstande zu thun haben.
Das appercipirende Merken, welches Reproduction ei- ner älteren Vorstellungsmasse voraussetzt, ist am bekann- testen und auffallendsten bey den Meistern jeder Kunst und Wissenschaft, die sogleich den gegen die Regeln derselben begangenen Fehler spüren. Wie schneidet ein Sprachschnitzer ins Ohr des Puristen! Wie beleidigt ein Miston den Musiker! oder ein Verstoss gegen die Höf- lichkeit den Weltmann! Wie schnell sind die Fortschritte in einer Wissenschaft, deren Anfangsgründe so scharf eingeprägt waren, dass sie sich mit grösster Leichtigkeit und Bestimmtheit reproduciren lassen; wie langsam und unsicher hingegen werden die Anfänge selbst gelernt, wenn nicht die noch einfachern Elementar-Vorstellungen gehörig dazu prädisponirt waren. -- Das Merken durch Apperception zeigt sich schon bey kleinen Kindern sehr deutlich, wenn sie in der ihnen noch unverständlichen Rede der Erwachsenen die einzelnen bekannten Worte plötzlich auffassen und nachlallen; ja schon bey dem Hunde, der den Kopf umwendet und uns ansieht, indem wir von ihm sprechen und seinen Namen nennen. Nicht weit davon entfernt ist das Talent zerstreuter Schulkna- ben während der Lehrstunde, den Augenblick wahrzuneh- men, wo ein Geschichtchen erzählt wird; ich erinnere mich an Schulklassen, worin während eines wenig inter- essanten Unterrichts bey schlaffer Disciplin beständig ein summendes Plaudern zu hören war, das jedesmal eine Pause machte, so lange die Anekdoten dauerten. Wie konnten die Knaben, da sie gar nichts zu hören schie- nen, den Anfang der Erzählung ergreifen? Ohne Zwei- fel hatten die Meisten stets wenigstens Etwas von dem Lehrvortrage vernommen; es fehlte aber demselben die Anknüpfung an frühere Kenntnisse und Beschäfftigungen, daher fielen die einzelnen Worte des Lehrers, so wie
II. P
gende Aufmerksamkeit
[Formel 1]
zum Vorschein. Man sieht, daſs wir hier mit einem sehr zusammengesetzten Gegenstande zu thun haben.
Das appercipirende Merken, welches Reproduction ei- ner älteren Vorstellungsmasse voraussetzt, ist am bekann- testen und auffallendsten bey den Meistern jeder Kunst und Wissenschaft, die sogleich den gegen die Regeln derselben begangenen Fehler spüren. Wie schneidet ein Sprachschnitzer ins Ohr des Puristen! Wie beleidigt ein Miston den Musiker! oder ein Verstoſs gegen die Höf- lichkeit den Weltmann! Wie schnell sind die Fortschritte in einer Wissenschaft, deren Anfangsgründe so scharf eingeprägt waren, daſs sie sich mit gröſster Leichtigkeit und Bestimmtheit reproduciren lassen; wie langsam und unsicher hingegen werden die Anfänge selbst gelernt, wenn nicht die noch einfachern Elementar-Vorstellungen gehörig dazu prädisponirt waren. — Das Merken durch Apperception zeigt sich schon bey kleinen Kindern sehr deutlich, wenn sie in der ihnen noch unverständlichen Rede der Erwachsenen die einzelnen bekannten Worte plötzlich auffassen und nachlallen; ja schon bey dem Hunde, der den Kopf umwendet und uns ansieht, indem wir von ihm sprechen und seinen Namen nennen. Nicht weit davon entfernt ist das Talent zerstreuter Schulkna- ben während der Lehrstunde, den Augenblick wahrzuneh- men, wo ein Geschichtchen erzählt wird; ich erinnere mich an Schulklassen, worin während eines wenig inter- essanten Unterrichts bey schlaffer Disciplin beständig ein summendes Plaudern zu hören war, das jedesmal eine Pause machte, so lange die Anekdoten dauerten. Wie konnten die Knaben, da sie gar nichts zu hören schie- nen, den Anfang der Erzählung ergreifen? Ohne Zwei- fel hatten die Meisten stets wenigstens Etwas von dem Lehrvortrage vernommen; es fehlte aber demselben die Anknüpfung an frühere Kenntnisse und Beschäfftigungen, daher fielen die einzelnen Worte des Lehrers, so wie
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gende Aufmerksamkeit [FORMEL] zum Vorschein. Man
sieht, daſs wir hier mit einem sehr zusammengesetzten
Gegenstande zu thun haben.
Das appercipirende Merken, welches Reproduction ei-
ner älteren Vorstellungsmasse voraussetzt, ist am bekann-
testen und auffallendsten bey den Meistern jeder Kunst
und Wissenschaft, die sogleich den gegen die Regeln
derselben begangenen Fehler spüren. Wie schneidet ein
Sprachschnitzer ins Ohr des Puristen! Wie beleidigt ein
Miston den Musiker! oder ein Verstoſs gegen die Höf-
lichkeit den Weltmann! Wie schnell sind die Fortschritte
in einer Wissenschaft, deren Anfangsgründe so scharf
eingeprägt waren, daſs sie sich mit gröſster Leichtigkeit
und Bestimmtheit reproduciren lassen; wie langsam und
unsicher hingegen werden die Anfänge selbst gelernt,
wenn nicht die noch einfachern Elementar-Vorstellungen
gehörig dazu prädisponirt waren. — Das Merken durch
Apperception zeigt sich schon bey kleinen Kindern sehr
deutlich, wenn sie in der ihnen noch unverständlichen
Rede der Erwachsenen die einzelnen bekannten Worte
plötzlich auffassen und nachlallen; ja schon bey dem
Hunde, der den Kopf umwendet und uns ansieht, indem
wir von ihm sprechen und seinen Namen nennen. Nicht
weit davon entfernt ist das Talent zerstreuter Schulkna-
ben während der Lehrstunde, den Augenblick wahrzuneh-
men, wo ein Geschichtchen erzählt wird; ich erinnere
mich an Schulklassen, worin während eines wenig inter-
essanten Unterrichts bey schlaffer Disciplin beständig
ein summendes Plaudern zu hören war, das jedesmal eine
Pause machte, so lange die Anekdoten dauerten. Wie
konnten die Knaben, da sie gar nichts zu hören schie-
nen, den Anfang der Erzählung ergreifen? Ohne Zwei-
fel hatten die Meisten stets wenigstens Etwas von dem
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/260>, abgerufen am 22.11.2024.
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