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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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gesellschaftlichen Bildung ist. Wenn man den Hund
bellen, das Pferd wiehern hört, so kann man wohl auch
nicht auf den Gedanken kommen, dass diesen sonst klu-
gen Thieren das Sprechen mechanisch möglich wäre;
vielmehr liegt die Erwartung nahe, sie würden, wenn ihre
Stimmritze nur einige Gelenkigkeit besässe, daraus etwas
machen, das ihrem übrigen Betragen angemessen wäre,
und hierin das Hülfsmittel zwar nicht einer menschli-
chen, doch einer höhern Ausbildung finden, als sie jetzt
besitzen.

Sehr auffallend war mir daher bey Rudolphi (Phy-
siologie §. 32.) die Behauptung: "mechanische Hin-
dernisse sind gewiss nicht Schuld daran, dass
die Thiere keine Sprache besitzen
." Ich weiss
nicht, ob ich dieselbe recht verstehe. Nicht mecha-
nisch; also psychisch
; -- das scheint, nach dem
Zusammenhange zu urtheilen, der beabsichtigte Sinn
zu seyn.

Soll sich nun wirklich dieser Satz auch auf die Hunde
beziehen? Auf sie, die auf so mancherley Weise an
menschlichen Angelegenheiten Theil nehmen; die dem
Menschen so gern Folgsamkeit beweisen, und ihm Hülfe
leisten? Also während Papageyen und Elstern auf mensch-
liche Töne merken, und sie nachahmen, ohne von dem,
was der Mensch wünscht und will, das Geringste zu fas-
sen, kann der Hund, des Jägers und des Hirten treuer
und geschickter Gehülfe, nur bellen und heulen, -- oder
vielmehr, er könnte sprechen, und versucht es doch
niemals auch nur im Geringsten? --

Herr Professor Rudolphi redet an jener Stelle ei-
gentlich von den Affen; und es scheint fast, als habe er
an Hunde, Pferde, Elephanten, nicht gedacht. Dass aber
die turpissima bestia, welche dem Menschen am meisten
ähnlich seyn soll, sich doch wohl mehr äusserlich als im
Wesentlichen, (in Hinsicht des Nervensystems, und des
Einflusses desselben auf den Geist,) dem Menschen
nähere, schliesse ich aus dem Umstande, dass die Affen

II. Q

gesellschaftlichen Bildung ist. Wenn man den Hund
bellen, das Pferd wiehern hört, so kann man wohl auch
nicht auf den Gedanken kommen, daſs diesen sonst klu-
gen Thieren das Sprechen mechanisch möglich wäre;
vielmehr liegt die Erwartung nahe, sie würden, wenn ihre
Stimmritze nur einige Gelenkigkeit besäſse, daraus etwas
machen, das ihrem übrigen Betragen angemessen wäre,
und hierin das Hülfsmittel zwar nicht einer menschli-
chen, doch einer höhern Ausbildung finden, als sie jetzt
besitzen.

Sehr auffallend war mir daher bey Rudolphi (Phy-
siologie §. 32.) die Behauptung: „mechanische Hin-
dernisse sind gewiſs nicht Schuld daran, daſs
die Thiere keine Sprache besitzen
.“ Ich weiſs
nicht, ob ich dieselbe recht verstehe. Nicht mecha-
nisch; also psychisch
; — das scheint, nach dem
Zusammenhange zu urtheilen, der beabsichtigte Sinn
zu seyn.

Soll sich nun wirklich dieser Satz auch auf die Hunde
beziehen? Auf sie, die auf so mancherley Weise an
menschlichen Angelegenheiten Theil nehmen; die dem
Menschen so gern Folgsamkeit beweisen, und ihm Hülfe
leisten? Also während Papageyen und Elstern auf mensch-
liche Töne merken, und sie nachahmen, ohne von dem,
was der Mensch wünscht und will, das Geringste zu fas-
sen, kann der Hund, des Jägers und des Hirten treuer
und geschickter Gehülfe, nur bellen und heulen, — oder
vielmehr, er könnte sprechen, und versucht es doch
niemals auch nur im Geringsten? —

Herr Professor Rudolphi redet an jener Stelle ei-
gentlich von den Affen; und es scheint fast, als habe er
an Hunde, Pferde, Elephanten, nicht gedacht. Daſs aber
die turpissima bestia, welche dem Menschen am meisten
ähnlich seyn soll, sich doch wohl mehr äuſserlich als im
Wesentlichen, (in Hinsicht des Nervensystems, und des
Einflusses desselben auf den Geist,) dem Menschen
nähere, schlieſse ich aus dem Umstande, daſs die Affen

II. Q
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[241/0276] gesellschaftlichen Bildung ist. Wenn man den Hund bellen, das Pferd wiehern hört, so kann man wohl auch nicht auf den Gedanken kommen, daſs diesen sonst klu- gen Thieren das Sprechen mechanisch möglich wäre; vielmehr liegt die Erwartung nahe, sie würden, wenn ihre Stimmritze nur einige Gelenkigkeit besäſse, daraus etwas machen, das ihrem übrigen Betragen angemessen wäre, und hierin das Hülfsmittel zwar nicht einer menschli- chen, doch einer höhern Ausbildung finden, als sie jetzt besitzen. Sehr auffallend war mir daher bey Rudolphi (Phy- siologie §. 32.) die Behauptung: „mechanische Hin- dernisse sind gewiſs nicht Schuld daran, daſs die Thiere keine Sprache besitzen.“ Ich weiſs nicht, ob ich dieselbe recht verstehe. Nicht mecha- nisch; also psychisch; — das scheint, nach dem Zusammenhange zu urtheilen, der beabsichtigte Sinn zu seyn. Soll sich nun wirklich dieser Satz auch auf die Hunde beziehen? Auf sie, die auf so mancherley Weise an menschlichen Angelegenheiten Theil nehmen; die dem Menschen so gern Folgsamkeit beweisen, und ihm Hülfe leisten? Also während Papageyen und Elstern auf mensch- liche Töne merken, und sie nachahmen, ohne von dem, was der Mensch wünscht und will, das Geringste zu fas- sen, kann der Hund, des Jägers und des Hirten treuer und geschickter Gehülfe, nur bellen und heulen, — oder vielmehr, er könnte sprechen, und versucht es doch niemals auch nur im Geringsten? — Herr Professor Rudolphi redet an jener Stelle ei- gentlich von den Affen; und es scheint fast, als habe er an Hunde, Pferde, Elephanten, nicht gedacht. Daſs aber die turpissima bestia, welche dem Menschen am meisten ähnlich seyn soll, sich doch wohl mehr äuſserlich als im Wesentlichen, (in Hinsicht des Nervensystems, und des Einflusses desselben auf den Geist,) dem Menschen nähere, schlieſse ich aus dem Umstande, daſs die Affen II. Q

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/276>, abgerufen am 22.11.2024.