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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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welche es hiebey ankommt, sind so unabhängig von dem
grossen Werkzeuge der physiologischen Entdeckungen, --
dem anatomischen Messer, -- dass es sich sogar noch fragt,
ob Derjenige, der sich zu einer Vivisection entschliessen
kann, jemals Gelegenheit haben wird, einen Hund genau
zu beobachten. Denn wie fein dies Thiergeschlecht die
Menschen unterscheidet, wie bestimmt es das Benehmen
zurückgiebt, was ihm widerfährt, das sieht man desto
deutlicher, je sorgfältiger man darauf merkt. Uebrigens
ist meine Meinung von den Thieren nur eine Meinung:
mehr Nichts als das sind aber auch die positiven Behaup-
tungen, die man in den Anthropologien zu lesen pflegt:
"alle Laute, welche die Thiere von sich geben, wenn
sie auch einander dadurch anlocken oder warnen, seyen
nur mechanische Zurückwirkungen ihres Körpers auf ei-
nen in demselben erregten Reiz; und werden von ihnen
ohne Absicht auf Mittheilung der Erkenntnisse hervor-
gebracht."

Diese Worte (die Sache ist allbekannt,) schreibe
ich ab aus Schulzens Anthropologie; mit einigem Be-
dauern, dass auch dort von dem Wunderbaren der
Sprache, mit Beyfalle für Herdern, in Ausdrücken ge-
redet wird, die mir zu stark scheinen.

Worin liegt denn das Wunderbare der Sprache?
In ihrem Ursprunge oder in ihren Wirkungen? Wir
wollen beydes näher ansehn; vorläufig bemerke ich nur,
dass schon Herr Hofrath Schulze selbst die Erklärung
des Ursprungs angedeutet hat.

Wenn Sprache, ihrem Begriffe nach, absichtliche
Mittheilung der Gedanken durch willkührliche Zeichen
ist, so konnten die ersten Mittheilungen unmöglich durch
Sprache geschehn. Denn willkührliche Zeichen müssen
verabredet werden, sonst würden sie entweder nicht
verstanden, oder höchstens errathen werden; auf das Er-
rathen aber kann der Sprechende nicht rechnen. Die
Sprache setzt also Verabredung, diese aber setzt Sprache
voraus; mithin drehen wir uns im Kreise. Man schlage

Q 2

welche es hiebey ankommt, sind so unabhängig von dem
groſsen Werkzeuge der physiologischen Entdeckungen, —
dem anatomischen Messer, — daſs es sich sogar noch fragt,
ob Derjenige, der sich zu einer Vivisection entschlieſsen
kann, jemals Gelegenheit haben wird, einen Hund genau
zu beobachten. Denn wie fein dies Thiergeschlecht die
Menschen unterscheidet, wie bestimmt es das Benehmen
zurückgiebt, was ihm widerfährt, das sieht man desto
deutlicher, je sorgfältiger man darauf merkt. Uebrigens
ist meine Meinung von den Thieren nur eine Meinung:
mehr Nichts als das sind aber auch die positiven Behaup-
tungen, die man in den Anthropologien zu lesen pflegt:
„alle Laute, welche die Thiere von sich geben, wenn
sie auch einander dadurch anlocken oder warnen, seyen
nur mechanische Zurückwirkungen ihres Körpers auf ei-
nen in demselben erregten Reiz; und werden von ihnen
ohne Absicht auf Mittheilung der Erkenntnisse hervor-
gebracht.“

Diese Worte (die Sache ist allbekannt,) schreibe
ich ab aus Schulzens Anthropologie; mit einigem Be-
dauern, daſs auch dort von dem Wunderbaren der
Sprache, mit Beyfalle für Herdern, in Ausdrücken ge-
redet wird, die mir zu stark scheinen.

Worin liegt denn das Wunderbare der Sprache?
In ihrem Ursprunge oder in ihren Wirkungen? Wir
wollen beydes näher ansehn; vorläufig bemerke ich nur,
daſs schon Herr Hofrath Schulze selbst die Erklärung
des Ursprungs angedeutet hat.

Wenn Sprache, ihrem Begriffe nach, absichtliche
Mittheilung der Gedanken durch willkührliche Zeichen
ist, so konnten die ersten Mittheilungen unmöglich durch
Sprache geschehn. Denn willkührliche Zeichen müssen
verabredet werden, sonst würden sie entweder nicht
verstanden, oder höchstens errathen werden; auf das Er-
rathen aber kann der Sprechende nicht rechnen. Die
Sprache setzt also Verabredung, diese aber setzt Sprache
voraus; mithin drehen wir uns im Kreise. Man schlage

Q 2
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[243/0278] welche es hiebey ankommt, sind so unabhängig von dem groſsen Werkzeuge der physiologischen Entdeckungen, — dem anatomischen Messer, — daſs es sich sogar noch fragt, ob Derjenige, der sich zu einer Vivisection entschlieſsen kann, jemals Gelegenheit haben wird, einen Hund genau zu beobachten. Denn wie fein dies Thiergeschlecht die Menschen unterscheidet, wie bestimmt es das Benehmen zurückgiebt, was ihm widerfährt, das sieht man desto deutlicher, je sorgfältiger man darauf merkt. Uebrigens ist meine Meinung von den Thieren nur eine Meinung: mehr Nichts als das sind aber auch die positiven Behaup- tungen, die man in den Anthropologien zu lesen pflegt: „alle Laute, welche die Thiere von sich geben, wenn sie auch einander dadurch anlocken oder warnen, seyen nur mechanische Zurückwirkungen ihres Körpers auf ei- nen in demselben erregten Reiz; und werden von ihnen ohne Absicht auf Mittheilung der Erkenntnisse hervor- gebracht.“ Diese Worte (die Sache ist allbekannt,) schreibe ich ab aus Schulzens Anthropologie; mit einigem Be- dauern, daſs auch dort von dem Wunderbaren der Sprache, mit Beyfalle für Herdern, in Ausdrücken ge- redet wird, die mir zu stark scheinen. Worin liegt denn das Wunderbare der Sprache? In ihrem Ursprunge oder in ihren Wirkungen? Wir wollen beydes näher ansehn; vorläufig bemerke ich nur, daſs schon Herr Hofrath Schulze selbst die Erklärung des Ursprungs angedeutet hat. Wenn Sprache, ihrem Begriffe nach, absichtliche Mittheilung der Gedanken durch willkührliche Zeichen ist, so konnten die ersten Mittheilungen unmöglich durch Sprache geschehn. Denn willkührliche Zeichen müssen verabredet werden, sonst würden sie entweder nicht verstanden, oder höchstens errathen werden; auf das Er- rathen aber kann der Sprechende nicht rechnen. Die Sprache setzt also Verabredung, diese aber setzt Sprache voraus; mithin drehen wir uns im Kreise. Man schlage Q 2

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/278>, abgerufen am 22.11.2024.