fortschreitend, können wir leicht die ersten Unterschei- dungen des Lebenden und des Todten entdecken. Der Schmerz bringt Aeusserungen durch Ton und Bewegung hervor; auch von diesen complicirt sich die Vorstellung mit jenen ersten Auffassungen. Welcher fremde Gegen- stand nun die nämlichen Aeusserungen zu erkennen giebt, der ruft die Erinnerung an den Schmerz nur um so leb- hafter herbey; hingegen andre Gegenstände, die sich tref- fen und schlagen lassen, ohne solche Zeichen zu geben, erhalten dadurch zuvörderst das negative Prädicat, dass bey ihnen diese Aeusserungen vermisst werden; und in diese Negation verwickelt sich auch der Schmerz selbst, so fern er mit seinem Zeichen vollkommen complicirt ge- dacht wurde. Das heisst, diese Gegenstände werden als unempfindlich angesehen.
Nachdem dieser Unterschied des Empfindenden vom Unempfindlichen einmal gemacht ist, bedarf es nur noch eines Schrittes, um auch den ersten Begriff zu fassen von Dingen, welchen Vorstellungen von andern Dingen inwohnen; -- ein roher Ausdruck, durch den ich absichtlich die erste Rohheit dieser Auffassung be- zeichne.
Mit dem Bemerken der getroffenen und empfindli- chen Stelle, z. B. der Hand oder des Fusses, werden sich die übrigen räumlichen Auffassungen verbinden. Daher zieht das Kind die Hand weg, auf dass sie nicht von einem Schlage, der sie bedroht, getroffen werde; und so läuft auch das Thier vor der nahenden Gefahr. Nun beobachte Eins das Andre, das eine Bewe- gung macht, durch die es dem Schmerze ent- geht. Zuverlässig begreift jenes die Absicht des andern. Es begreift, dem Andern müsse inwohnen ein Schmerz, den es noch nicht empfinde; d. h. eine Vorstellung des künftigen Schmerzes, dem es sich entziehe. Noch mehr: auch ein Bild des drohenden Gegenstandes müsse ihm inwohnen, da es sonst den Schmerz, der ihm bevorstand, nicht hätte ahnden können. Allgemein ausgedrückt lau-
fortschreitend, können wir leicht die ersten Unterschei- dungen des Lebenden und des Todten entdecken. Der Schmerz bringt Aeuſserungen durch Ton und Bewegung hervor; auch von diesen complicirt sich die Vorstellung mit jenen ersten Auffassungen. Welcher fremde Gegen- stand nun die nämlichen Aeuſserungen zu erkennen giebt, der ruft die Erinnerung an den Schmerz nur um so leb- hafter herbey; hingegen andre Gegenstände, die sich tref- fen und schlagen lassen, ohne solche Zeichen zu geben, erhalten dadurch zuvörderst das negative Prädicat, daſs bey ihnen diese Aeuſserungen vermiſst werden; und in diese Negation verwickelt sich auch der Schmerz selbst, so fern er mit seinem Zeichen vollkommen complicirt ge- dacht wurde. Das heiſst, diese Gegenstände werden als unempfindlich angesehen.
Nachdem dieser Unterschied des Empfindenden vom Unempfindlichen einmal gemacht ist, bedarf es nur noch eines Schrittes, um auch den ersten Begriff zu fassen von Dingen, welchen Vorstellungen von andern Dingen inwohnen; — ein roher Ausdruck, durch den ich absichtlich die erste Rohheit dieser Auffassung be- zeichne.
Mit dem Bemerken der getroffenen und empfindli- chen Stelle, z. B. der Hand oder des Fuſses, werden sich die übrigen räumlichen Auffassungen verbinden. Daher zieht das Kind die Hand weg, auf daſs sie nicht von einem Schlage, der sie bedroht, getroffen werde; und so läuft auch das Thier vor der nahenden Gefahr. Nun beobachte Eins das Andre, das eine Bewe- gung macht, durch die es dem Schmerze ent- geht. Zuverlässig begreift jenes die Absicht des andern. Es begreift, dem Andern müsse inwohnen ein Schmerz, den es noch nicht empfinde; d. h. eine Vorstellung des künftigen Schmerzes, dem es sich entziehe. Noch mehr: auch ein Bild des drohenden Gegenstandes müsse ihm inwohnen, da es sonst den Schmerz, der ihm bevorstand, nicht hätte ahnden können. Allgemein ausgedrückt lau-
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fortschreitend, können wir leicht die ersten Unterschei-
dungen des Lebenden und des Todten entdecken. Der
Schmerz bringt Aeuſserungen durch Ton und Bewegung
hervor; auch von diesen complicirt sich die Vorstellung
mit jenen ersten Auffassungen. Welcher fremde Gegen-
stand nun die nämlichen Aeuſserungen zu erkennen giebt,
der ruft die Erinnerung an den Schmerz nur um so leb-
hafter herbey; hingegen andre Gegenstände, die sich tref-
fen und schlagen lassen, ohne solche Zeichen zu geben,
erhalten dadurch zuvörderst das negative Prädicat, daſs
bey ihnen diese Aeuſserungen vermiſst werden; und in
diese Negation verwickelt sich auch der Schmerz selbst,
so fern er mit seinem Zeichen vollkommen complicirt ge-
dacht wurde. Das heiſst, diese Gegenstände werden als
unempfindlich angesehen.
Nachdem dieser Unterschied des Empfindenden vom
Unempfindlichen einmal gemacht ist, bedarf es nur noch
eines Schrittes, um auch den ersten Begriff zu fassen
von Dingen, welchen Vorstellungen von andern
Dingen inwohnen; — ein roher Ausdruck, durch den
ich absichtlich die erste Rohheit dieser Auffassung be-
zeichne.
Mit dem Bemerken der getroffenen und empfindli-
chen Stelle, z. B. der Hand oder des Fuſses, werden
sich die übrigen räumlichen Auffassungen verbinden.
Daher zieht das Kind die Hand weg, auf daſs sie nicht
von einem Schlage, der sie bedroht, getroffen werde;
und so läuft auch das Thier vor der nahenden Gefahr.
Nun beobachte Eins das Andre, das eine Bewe-
gung macht, durch die es dem Schmerze ent-
geht. Zuverlässig begreift jenes die Absicht des andern.
Es begreift, dem Andern müsse inwohnen ein Schmerz,
den es noch nicht empfinde; d. h. eine Vorstellung des
künftigen Schmerzes, dem es sich entziehe. Noch mehr:
auch ein Bild des drohenden Gegenstandes müsse ihm
inwohnen, da es sonst den Schmerz, der ihm bevorstand,
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/299>, abgerufen am 22.11.2024.
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