Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

längst Bekanntes und Vorhandenes. Die Zeitreihe wird
nicht als ablaufend, sondern als abgelaufen vorgestellt;
so, dass ein geringer Theil derselben, rückwärts genom-
men, genügt; indem die frübern Glieder unmerklich sich
im Dunkeln verlieren. Man kennt schon aus §. 100. die
rückwärts gerichtete, nicht successive, sondern simultane,
aber abgestufte Reproduction; und ihren Unterschied von
der vorwärts gehenden, wirklich ablaufenden. Soll hin-
gegen die Lebensgeschichte hinzugedacht, und das Ich
wirklich als Zeitwesen vorgestellt werden, so gehört dazu
eine Verbindung beyder Arten der Reproduction. (§. 115.)

3) Gleichwohl liegt in den wichtigsten geistigen Ele-
menten der Vorstellung Ich, im Empfinden, Erfahren,
Begehren, ursprünglich, sobald das Subject gesetzt
wird
, ein Vorwärtsgehen, wenn auch nur durch eine
unendlich kleine Reihe; wie die Reihe a b im §. 131.
Wiewohl nun solche Reihen keine bestimmte Succession,
und am wenigsten von endlicher Grösse, anzeigen, so
wird doch durch sie das Ich als ein Trieb gedacht,
wenn auch ganz unbestimmt, ohne Angabe des Woher
und Wohin.

4) Soll die dunkle Vorstellung dieses sehr zusam-
mengesetzten Triebes deutlich hervortreten: so muss sie
sich entwickeln als ein Trieb zum Empfinden, zum Er-
fahren, zum Denken, zum Handeln u. s. w., nach den
Kategorien der innern Apperception. Allein hier fehlt
immer zur vollen Deutlichkeit die bestimmte Richtung
des Triebes von einem Puncte zum andern. Um sie zu
gewinnen, muss ein äusserer Punct, ein Gegenstand
gesetzt werden, zu welchem hin, eine Reihe sichtbarer
Veränderungen gehe. Am deutlichsten also wird das
Ich erscheinen in äusserer Thätigkeit.

Diese aber kann hier kein blindes Wirken seyn.
Die Elemente der Vorstellung Ich, und deren Complica-
tion, bringen es mit sich, dass das Thun angesehen
werde als Eins mit dem Abbilden desselben, dem Wis-
sen. Und das hat eine zwiefache Bedeutung; denn das

längst Bekanntes und Vorhandenes. Die Zeitreihe wird
nicht als ablaufend, sondern als abgelaufen vorgestellt;
so, daſs ein geringer Theil derselben, rückwärts genom-
men, genügt; indem die frübern Glieder unmerklich sich
im Dunkeln verlieren. Man kennt schon aus §. 100. die
rückwärts gerichtete, nicht successive, sondern simultane,
aber abgestufte Reproduction; und ihren Unterschied von
der vorwärts gehenden, wirklich ablaufenden. Soll hin-
gegen die Lebensgeschichte hinzugedacht, und das Ich
wirklich als Zeitwesen vorgestellt werden, so gehört dazu
eine Verbindung beyder Arten der Reproduction. (§. 115.)

3) Gleichwohl liegt in den wichtigsten geistigen Ele-
menten der Vorstellung Ich, im Empfinden, Erfahren,
Begehren, ursprünglich, sobald das Subject gesetzt
wird
, ein Vorwärtsgehen, wenn auch nur durch eine
unendlich kleine Reihe; wie die Reihe a b im §. 131.
Wiewohl nun solche Reihen keine bestimmte Succession,
und am wenigsten von endlicher Gröſse, anzeigen, so
wird doch durch sie das Ich als ein Trieb gedacht,
wenn auch ganz unbestimmt, ohne Angabe des Woher
und Wohin.

4) Soll die dunkle Vorstellung dieses sehr zusam-
mengesetzten Triebes deutlich hervortreten: so muſs sie
sich entwickeln als ein Trieb zum Empfinden, zum Er-
fahren, zum Denken, zum Handeln u. s. w., nach den
Kategorien der innern Apperception. Allein hier fehlt
immer zur vollen Deutlichkeit die bestimmte Richtung
des Triebes von einem Puncte zum andern. Um sie zu
gewinnen, muſs ein äuſserer Punct, ein Gegenstand
gesetzt werden, zu welchem hin, eine Reihe sichtbarer
Veränderungen gehe. Am deutlichsten also wird das
Ich erscheinen in äuſserer Thätigkeit.

Diese aber kann hier kein blindes Wirken seyn.
Die Elemente der Vorstellung Ich, und deren Complica-
tion, bringen es mit sich, daſs das Thun angesehen
werde als Eins mit dem Abbilden desselben, dem Wis-
sen. Und das hat eine zwiefache Bedeutung; denn das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0315" n="280"/>
längst Bekanntes und Vorhandenes. Die Zeitreihe wird<lb/>
nicht als ablaufend, sondern als abgelaufen vorgestellt;<lb/>
so, da&#x017F;s ein geringer Theil derselben, rückwärts genom-<lb/>
men, genügt; indem die frübern Glieder unmerklich sich<lb/>
im Dunkeln verlieren. Man kennt schon aus §. 100. die<lb/>
rückwärts gerichtete, nicht successive, sondern simultane,<lb/>
aber abgestufte Reproduction; und ihren Unterschied von<lb/>
der vorwärts gehenden, wirklich ablaufenden. Soll hin-<lb/>
gegen die Lebensgeschichte hinzugedacht, und das Ich<lb/>
wirklich als Zeitwesen vorgestellt werden, so gehört dazu<lb/>
eine Verbindung beyder Arten der Reproduction. (§. 115.)</p><lb/>
              <p>3) Gleichwohl liegt in den wichtigsten geistigen Ele-<lb/>
menten der Vorstellung Ich, im Empfinden, Erfahren,<lb/>
Begehren, ursprünglich, <hi rendition="#g">sobald das Subject gesetzt<lb/>
wird</hi>, ein Vorwärtsgehen, wenn auch nur durch eine<lb/>
unendlich kleine Reihe; wie die Reihe <hi rendition="#i">a b</hi> im §. 131.<lb/>
Wiewohl nun solche Reihen keine bestimmte Succession,<lb/>
und am wenigsten von endlicher Grö&#x017F;se, anzeigen, so<lb/>
wird doch durch sie das Ich als ein <hi rendition="#g">Trieb</hi> gedacht,<lb/>
wenn auch ganz unbestimmt, ohne Angabe des Woher<lb/>
und Wohin.</p><lb/>
              <p>4) Soll die dunkle Vorstellung dieses sehr zusam-<lb/>
mengesetzten Triebes deutlich hervortreten: so mu&#x017F;s sie<lb/>
sich entwickeln als ein Trieb zum Empfinden, zum Er-<lb/>
fahren, zum Denken, zum Handeln u. s. w., nach den<lb/>
Kategorien der innern Apperception. Allein hier fehlt<lb/>
immer zur vollen Deutlichkeit die bestimmte Richtung<lb/>
des Triebes von einem Puncte zum andern. Um sie zu<lb/>
gewinnen, mu&#x017F;s ein <hi rendition="#g">äu&#x017F;serer</hi> Punct, ein <hi rendition="#g">Gegenstand</hi><lb/>
gesetzt werden, zu welchem <hi rendition="#g">hin</hi>, eine Reihe sichtbarer<lb/>
Veränderungen gehe. Am deutlichsten also wird das<lb/>
Ich erscheinen in äu&#x017F;serer Thätigkeit.</p><lb/>
              <p>Diese aber kann hier kein blindes Wirken seyn.<lb/>
Die Elemente der Vorstellung Ich, und deren Complica-<lb/>
tion, bringen es mit sich, da&#x017F;s das Thun angesehen<lb/>
werde als Eins mit dem Abbilden desselben, dem Wis-<lb/>
sen. Und das hat eine zwiefache Bedeutung; denn das<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0315] längst Bekanntes und Vorhandenes. Die Zeitreihe wird nicht als ablaufend, sondern als abgelaufen vorgestellt; so, daſs ein geringer Theil derselben, rückwärts genom- men, genügt; indem die frübern Glieder unmerklich sich im Dunkeln verlieren. Man kennt schon aus §. 100. die rückwärts gerichtete, nicht successive, sondern simultane, aber abgestufte Reproduction; und ihren Unterschied von der vorwärts gehenden, wirklich ablaufenden. Soll hin- gegen die Lebensgeschichte hinzugedacht, und das Ich wirklich als Zeitwesen vorgestellt werden, so gehört dazu eine Verbindung beyder Arten der Reproduction. (§. 115.) 3) Gleichwohl liegt in den wichtigsten geistigen Ele- menten der Vorstellung Ich, im Empfinden, Erfahren, Begehren, ursprünglich, sobald das Subject gesetzt wird, ein Vorwärtsgehen, wenn auch nur durch eine unendlich kleine Reihe; wie die Reihe a b im §. 131. Wiewohl nun solche Reihen keine bestimmte Succession, und am wenigsten von endlicher Gröſse, anzeigen, so wird doch durch sie das Ich als ein Trieb gedacht, wenn auch ganz unbestimmt, ohne Angabe des Woher und Wohin. 4) Soll die dunkle Vorstellung dieses sehr zusam- mengesetzten Triebes deutlich hervortreten: so muſs sie sich entwickeln als ein Trieb zum Empfinden, zum Er- fahren, zum Denken, zum Handeln u. s. w., nach den Kategorien der innern Apperception. Allein hier fehlt immer zur vollen Deutlichkeit die bestimmte Richtung des Triebes von einem Puncte zum andern. Um sie zu gewinnen, muſs ein äuſserer Punct, ein Gegenstand gesetzt werden, zu welchem hin, eine Reihe sichtbarer Veränderungen gehe. Am deutlichsten also wird das Ich erscheinen in äuſserer Thätigkeit. Diese aber kann hier kein blindes Wirken seyn. Die Elemente der Vorstellung Ich, und deren Complica- tion, bringen es mit sich, daſs das Thun angesehen werde als Eins mit dem Abbilden desselben, dem Wis- sen. Und das hat eine zwiefache Bedeutung; denn das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/315
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/315>, abgerufen am 22.11.2024.