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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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stand und eine glaubende Vernunft dabey zum
Grunde läge. Die gemeine Psychologie hat den
Menschen zugleich nach Oben und nach Unten
gezerrt; ihn mit eben soviel Unmuth als Ueber-
muth erfüllt, die wahre Psychologie muss das
doppelte Unheil dieser falschen Selbstbetrach-
tung wieder gut machen. Insbesondere muss der
Metaphysik, die so wenig zum Dogmatismus er-
starren, als in sublimer Schwärmerey davon flie-
gen darf, ein, zwar bescheidener, jedoch vester
Muth zu einer regelmässigen Bewegung zurück-
gegeben werden. Für den Glauben wird immer
noch ein unendlich weiter Raum übrig bleiben,
wohin jene Bewegung des Wissens gar nicht
einmal gerichtet ist.

Soll ich endlich noch einige Worte sagen
über den Anstoss, den Mancher nehmen könnte,
weil in der Einleitung dem Herrn v. Haller,
der jetzt das allgemeine Vorurtheil wider sich
hat, einige Auctorität in seiner Sphäre, der
Politik, ist eingeräumt worden? Wohl eher hätte
man Ursache zufrieden zu seyn, dass hier auf
ein merkwürdiges psychologisches Phänomen
hingewiesen wird; denn Herr v. Haller ist ein
solches. Nicht eifrige Kunstliebe, nicht Fröm-
meley, nicht politischer Egoismus erklärt die
bekannten Schritte dieses Mannes. Das aber ist
gewiss, dass die Vaterlandsliebe des Schwei-
zers
schwer verwundet wurde durch jene Staats-
umwälzung, welche Frankreich mit Arglist und
Gewalt erzwang. Und womit endete die Bitter-
keit, die sich, auf gerechte Weise veranlasst, seit-
dem in ihm vestsetzte? Nicht bloss damit, ihn der
Römischen Kirche zuzuführen; sondern sie hat

II. ***

stand und eine glaubende Vernunft dabey zum
Grunde läge. Die gemeine Psychologie hat den
Menschen zugleich nach Oben und nach Unten
gezerrt; ihn mit eben soviel Unmuth als Ueber-
muth erfüllt, die wahre Psychologie muſs das
doppelte Unheil dieser falschen Selbstbetrach-
tung wieder gut machen. Insbesondere muſs der
Metaphysik, die so wenig zum Dogmatismus er-
starren, als in sublimer Schwärmerey davon flie-
gen darf, ein, zwar bescheidener, jedoch vester
Muth zu einer regelmäſsigen Bewegung zurück-
gegeben werden. Für den Glauben wird immer
noch ein unendlich weiter Raum übrig bleiben,
wohin jene Bewegung des Wissens gar nicht
einmal gerichtet ist.

Soll ich endlich noch einige Worte sagen
über den Anstoſs, den Mancher nehmen könnte,
weil in der Einleitung dem Herrn v. Haller,
der jetzt das allgemeine Vorurtheil wider sich
hat, einige Auctorität in seiner Sphäre, der
Politik, ist eingeräumt worden? Wohl eher hätte
man Ursache zufrieden zu seyn, daſs hier auf
ein merkwürdiges psychologisches Phänomen
hingewiesen wird; denn Herr v. Haller ist ein
solches. Nicht eifrige Kunstliebe, nicht Fröm-
meley, nicht politischer Egoismus erklärt die
bekannten Schritte dieses Mannes. Das aber ist
gewiſs, daſs die Vaterlandsliebe des Schwei-
zers
schwer verwundet wurde durch jene Staats-
umwälzung, welche Frankreich mit Arglist und
Gewalt erzwang. Und womit endete die Bitter-
keit, die sich, auf gerechte Weise veranlaſst, seit-
dem in ihm vestsetzte? Nicht bloſs damit, ihn der
Römischen Kirche zuzuführen; sondern sie hat

II. ***
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[XXV/0032] stand und eine glaubende Vernunft dabey zum Grunde läge. Die gemeine Psychologie hat den Menschen zugleich nach Oben und nach Unten gezerrt; ihn mit eben soviel Unmuth als Ueber- muth erfüllt, die wahre Psychologie muſs das doppelte Unheil dieser falschen Selbstbetrach- tung wieder gut machen. Insbesondere muſs der Metaphysik, die so wenig zum Dogmatismus er- starren, als in sublimer Schwärmerey davon flie- gen darf, ein, zwar bescheidener, jedoch vester Muth zu einer regelmäſsigen Bewegung zurück- gegeben werden. Für den Glauben wird immer noch ein unendlich weiter Raum übrig bleiben, wohin jene Bewegung des Wissens gar nicht einmal gerichtet ist. Soll ich endlich noch einige Worte sagen über den Anstoſs, den Mancher nehmen könnte, weil in der Einleitung dem Herrn v. Haller, der jetzt das allgemeine Vorurtheil wider sich hat, einige Auctorität in seiner Sphäre, der Politik, ist eingeräumt worden? Wohl eher hätte man Ursache zufrieden zu seyn, daſs hier auf ein merkwürdiges psychologisches Phänomen hingewiesen wird; denn Herr v. Haller ist ein solches. Nicht eifrige Kunstliebe, nicht Fröm- meley, nicht politischer Egoismus erklärt die bekannten Schritte dieses Mannes. Das aber ist gewiſs, daſs die Vaterlandsliebe des Schwei- zers schwer verwundet wurde durch jene Staats- umwälzung, welche Frankreich mit Arglist und Gewalt erzwang. Und womit endete die Bitter- keit, die sich, auf gerechte Weise veranlaſst, seit- dem in ihm vestsetzte? Nicht bloſs damit, ihn der Römischen Kirche zuzuführen; sondern sie hat II. ***

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. XXV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/32>, abgerufen am 21.11.2024.