stand und eine glaubende Vernunft dabey zum Grunde läge. Die gemeine Psychologie hat den Menschen zugleich nach Oben und nach Unten gezerrt; ihn mit eben soviel Unmuth als Ueber- muth erfüllt, die wahre Psychologie muss das doppelte Unheil dieser falschen Selbstbetrach- tung wieder gut machen. Insbesondere muss der Metaphysik, die so wenig zum Dogmatismus er- starren, als in sublimer Schwärmerey davon flie- gen darf, ein, zwar bescheidener, jedoch vester Muth zu einer regelmässigen Bewegung zurück- gegeben werden. Für den Glauben wird immer noch ein unendlich weiter Raum übrig bleiben, wohin jene Bewegung des Wissens gar nicht einmal gerichtet ist.
Soll ich endlich noch einige Worte sagen über den Anstoss, den Mancher nehmen könnte, weil in der Einleitung dem Herrn v. Haller, der jetzt das allgemeine Vorurtheil wider sich hat, einige Auctorität in seiner Sphäre, der Politik, ist eingeräumt worden? Wohl eher hätte man Ursache zufrieden zu seyn, dass hier auf ein merkwürdiges psychologisches Phänomen hingewiesen wird; denn Herr v. Haller ist ein solches. Nicht eifrige Kunstliebe, nicht Fröm- meley, nicht politischer Egoismus erklärt die bekannten Schritte dieses Mannes. Das aber ist gewiss, dass die Vaterlandsliebe des Schwei- zers schwer verwundet wurde durch jene Staats- umwälzung, welche Frankreich mit Arglist und Gewalt erzwang. Und womit endete die Bitter- keit, die sich, auf gerechte Weise veranlasst, seit- dem in ihm vestsetzte? Nicht bloss damit, ihn der Römischen Kirche zuzuführen; sondern sie hat
II. ***
stand und eine glaubende Vernunft dabey zum Grunde läge. Die gemeine Psychologie hat den Menschen zugleich nach Oben und nach Unten gezerrt; ihn mit eben soviel Unmuth als Ueber- muth erfüllt, die wahre Psychologie muſs das doppelte Unheil dieser falschen Selbstbetrach- tung wieder gut machen. Insbesondere muſs der Metaphysik, die so wenig zum Dogmatismus er- starren, als in sublimer Schwärmerey davon flie- gen darf, ein, zwar bescheidener, jedoch vester Muth zu einer regelmäſsigen Bewegung zurück- gegeben werden. Für den Glauben wird immer noch ein unendlich weiter Raum übrig bleiben, wohin jene Bewegung des Wissens gar nicht einmal gerichtet ist.
Soll ich endlich noch einige Worte sagen über den Anstoſs, den Mancher nehmen könnte, weil in der Einleitung dem Herrn v. Haller, der jetzt das allgemeine Vorurtheil wider sich hat, einige Auctorität in seiner Sphäre, der Politik, ist eingeräumt worden? Wohl eher hätte man Ursache zufrieden zu seyn, daſs hier auf ein merkwürdiges psychologisches Phänomen hingewiesen wird; denn Herr v. Haller ist ein solches. Nicht eifrige Kunstliebe, nicht Fröm- meley, nicht politischer Egoismus erklärt die bekannten Schritte dieses Mannes. Das aber ist gewiſs, daſs die Vaterlandsliebe des Schwei- zers schwer verwundet wurde durch jene Staats- umwälzung, welche Frankreich mit Arglist und Gewalt erzwang. Und womit endete die Bitter- keit, die sich, auf gerechte Weise veranlaſst, seit- dem in ihm vestsetzte? Nicht bloſs damit, ihn der Römischen Kirche zuzuführen; sondern sie hat
II. ***
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0032"n="XXV"/>
stand und eine glaubende Vernunft dabey zum<lb/>
Grunde läge. Die gemeine Psychologie hat den<lb/>
Menschen zugleich nach Oben und nach Unten<lb/>
gezerrt; ihn mit eben soviel Unmuth als Ueber-<lb/>
muth erfüllt, die wahre Psychologie muſs das<lb/>
doppelte Unheil dieser falschen Selbstbetrach-<lb/>
tung wieder gut machen. Insbesondere muſs der<lb/>
Metaphysik, die so wenig zum Dogmatismus er-<lb/>
starren, als in sublimer Schwärmerey davon flie-<lb/>
gen darf, ein, zwar bescheidener, jedoch vester<lb/>
Muth zu einer regelmäſsigen Bewegung zurück-<lb/>
gegeben werden. Für den Glauben wird immer<lb/>
noch ein unendlich weiter Raum übrig bleiben,<lb/>
wohin jene Bewegung des Wissens gar nicht<lb/>
einmal gerichtet ist.</p><lb/><p>Soll ich endlich noch einige Worte sagen<lb/>
über den Anstoſs, den Mancher nehmen könnte,<lb/>
weil in der Einleitung dem Herrn v. <hirendition="#g">Haller</hi>,<lb/>
der jetzt das allgemeine Vorurtheil wider sich<lb/>
hat, einige Auctorität <hirendition="#g">in seiner Sphäre</hi>, der<lb/>
Politik, ist eingeräumt worden? Wohl eher hätte<lb/>
man Ursache zufrieden zu seyn, daſs hier auf<lb/>
ein merkwürdiges psychologisches Phänomen<lb/>
hingewiesen wird; denn Herr v. <hirendition="#g">Haller</hi> ist ein<lb/>
solches. Nicht eifrige Kunstliebe, nicht Fröm-<lb/>
meley, nicht politischer Egoismus erklärt die<lb/>
bekannten Schritte dieses Mannes. Das aber ist<lb/>
gewiſs, daſs die Vaterlandsliebe des <hirendition="#g">Schwei-<lb/>
zers</hi> schwer verwundet wurde durch jene Staats-<lb/>
umwälzung, welche Frankreich mit Arglist und<lb/>
Gewalt erzwang. Und womit endete die Bitter-<lb/>
keit, die sich, auf gerechte Weise veranlaſst, seit-<lb/>
dem in ihm vestsetzte? Nicht bloſs damit, ihn der<lb/>
Römischen Kirche zuzuführen; sondern sie hat<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#i">II.</hi> ***</fw><lb/></p></div></front></text></TEI>
[XXV/0032]
stand und eine glaubende Vernunft dabey zum
Grunde läge. Die gemeine Psychologie hat den
Menschen zugleich nach Oben und nach Unten
gezerrt; ihn mit eben soviel Unmuth als Ueber-
muth erfüllt, die wahre Psychologie muſs das
doppelte Unheil dieser falschen Selbstbetrach-
tung wieder gut machen. Insbesondere muſs der
Metaphysik, die so wenig zum Dogmatismus er-
starren, als in sublimer Schwärmerey davon flie-
gen darf, ein, zwar bescheidener, jedoch vester
Muth zu einer regelmäſsigen Bewegung zurück-
gegeben werden. Für den Glauben wird immer
noch ein unendlich weiter Raum übrig bleiben,
wohin jene Bewegung des Wissens gar nicht
einmal gerichtet ist.
Soll ich endlich noch einige Worte sagen
über den Anstoſs, den Mancher nehmen könnte,
weil in der Einleitung dem Herrn v. Haller,
der jetzt das allgemeine Vorurtheil wider sich
hat, einige Auctorität in seiner Sphäre, der
Politik, ist eingeräumt worden? Wohl eher hätte
man Ursache zufrieden zu seyn, daſs hier auf
ein merkwürdiges psychologisches Phänomen
hingewiesen wird; denn Herr v. Haller ist ein
solches. Nicht eifrige Kunstliebe, nicht Fröm-
meley, nicht politischer Egoismus erklärt die
bekannten Schritte dieses Mannes. Das aber ist
gewiſs, daſs die Vaterlandsliebe des Schwei-
zers schwer verwundet wurde durch jene Staats-
umwälzung, welche Frankreich mit Arglist und
Gewalt erzwang. Und womit endete die Bitter-
keit, die sich, auf gerechte Weise veranlaſst, seit-
dem in ihm vestsetzte? Nicht bloſs damit, ihn der
Römischen Kirche zuzuführen; sondern sie hat
II. ***
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. XXV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/32>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.