über Substanzen und Kräfte beweist factisch, dass die Begriffe hievon im menschlichen Geiste nicht vest stehn, dass sie keinesweges Kategorien oder angeborne Begriffe sind, sondern wandel- bare Erzeugnisse eines durch die Erfahrung aufgeregten, durch allerley Meinungen umher- geworfenen, Nachdenkens, welches nur dann erst in eine sichere und bleibende Ueberzeu- gung übergehn wird, wenn die Wissenschaft, Metaphysik genannt, zur Reife gelangt. Wie die astronomische Betrachtung, die in die Weiten des Weltbaues hinausgeht, so muss auch die metaphysische Forschung, welche in die Tiefen der Natur hineindringt, mancherley Revolutionen durchlaufen, ehe sie so glück- lich ist, solche Begriffe zu erzeugen, welche der Er- scheinung genugthun, und mit sich selbst zusammenstim- men. Und wie es keine angeborne Ichheit giebt, son- dern die Selbst-Auffassung verschiedene Perioden hat, in denen sie sehr verschiedene Resultate giebt (§. 137.) so auch findet der menschliche Geist, indem er die Rea- lität der Natur zu bestimmen sucht, bald Atomen, bald Platonische Ideen oder Pythagorische Zahlen, bald ein Eleatisches Eins, bald einen Spinozistischen Gott, der da ist ausgedehnt und denkend, bald Substanzen als Substrate von Eigenschaften, bald Leibnitzische Mona- den, bald beharrliche Träger von Veränderungen und nach aussen wirkenden Kräften. Meint nun ein Vernunft- kritiker ganz dogmatisch seinen Begriff von der Sub- stanz als eine Kategorie, als eine ursprüngliche und all- gemeine Denkform hinstellen zu können: so läuft er nicht bloss Gefahr, dass man ihm auf metaphysischem Wege die Ungültigkeit und Undenkbarkeit seines Begriffs nach- weise, sondern er zieht sich auch noch den Vorwurf zu, der gesammten Geschichte der Philosophie, welche in diesem Puncte die Geschichte des menschlichen Denkens ist, Trotz geboten zu haben. -- Ich bin so dreist ge- wesen, in meiner Metaphysik durch die Theorie der
über Substanzen und Kräfte beweiſt factisch, daſs die Begriffe hievon im menschlichen Geiste nicht vest stehn, daſs sie keinesweges Kategorien oder angeborne Begriffe sind, sondern wandel- bare Erzeugnisse eines durch die Erfahrung aufgeregten, durch allerley Meinungen umher- geworfenen, Nachdenkens, welches nur dann erst in eine sichere und bleibende Ueberzeu- gung übergehn wird, wenn die Wissenschaft, Metaphysik genannt, zur Reife gelangt. Wie die astronomische Betrachtung, die in die Weiten des Weltbaues hinausgeht, so muſs auch die metaphysische Forschung, welche in die Tiefen der Natur hineindringt, mancherley Revolutionen durchlaufen, ehe sie so glück- lich ist, solche Begriffe zu erzeugen, welche der Er- scheinung genugthun, und mit sich selbst zusammenstim- men. Und wie es keine angeborne Ichheit giebt, son- dern die Selbst-Auffassung verschiedene Perioden hat, in denen sie sehr verschiedene Resultate giebt (§. 137.) so auch findet der menschliche Geist, indem er die Rea- lität der Natur zu bestimmen sucht, bald Atomen, bald Platonische Ideen oder Pythagorische Zahlen, bald ein Eleatisches Eins, bald einen Spinozistischen Gott, der da ist ausgedehnt und denkend, bald Substanzen als Substrate von Eigenschaften, bald Leibnitzische Mona- den, bald beharrliche Träger von Veränderungen und nach auſsen wirkenden Kräften. Meint nun ein Vernunft- kritiker ganz dogmatisch seinen Begriff von der Sub- stanz als eine Kategorie, als eine ursprüngliche und all- gemeine Denkform hinstellen zu können: so läuft er nicht bloſs Gefahr, daſs man ihm auf metaphysischem Wege die Ungültigkeit und Undenkbarkeit seines Begriffs nach- weise, sondern er zieht sich auch noch den Vorwurf zu, der gesammten Geschichte der Philosophie, welche in diesem Puncte die Geschichte des menschlichen Denkens ist, Trotz geboten zu haben. — Ich bin so dreist ge- wesen, in meiner Metaphysik durch die Theorie der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0343"n="308"/>
über Substanzen und Kräfte beweiſt factisch, <hirendition="#g">daſs die<lb/>
Begriffe hievon im menschlichen Geiste nicht<lb/>
vest stehn, daſs sie keinesweges Kategorien<lb/>
oder angeborne Begriffe sind, sondern <hirendition="#i">wandel-<lb/>
bare Erzeugnisse</hi> eines durch die Erfahrung<lb/>
aufgeregten, durch allerley Meinungen umher-<lb/>
geworfenen, Nachdenkens, welches nur dann<lb/>
erst in eine sichere und bleibende Ueberzeu-<lb/>
gung übergehn wird, wenn die Wissenschaft,<lb/>
Metaphysik genannt, zur Reife gelangt</hi>. Wie<lb/>
die astronomische Betrachtung, die in die Weiten des<lb/>
Weltbaues hinausgeht, so muſs auch die metaphysische<lb/>
Forschung, welche in die Tiefen der Natur hineindringt,<lb/>
mancherley Revolutionen durchlaufen, ehe sie so glück-<lb/>
lich ist, solche Begriffe zu <hirendition="#g">erzeugen</hi>, welche der Er-<lb/>
scheinung genugthun, und mit sich selbst zusammenstim-<lb/>
men. Und wie es keine angeborne Ichheit giebt, son-<lb/>
dern die Selbst-Auffassung verschiedene Perioden hat,<lb/>
in denen sie sehr verschiedene Resultate giebt (§. 137.)<lb/>
so auch findet der menschliche Geist, indem er die Rea-<lb/>
lität der Natur zu bestimmen sucht, bald Atomen, bald<lb/>
Platonische Ideen oder Pythagorische Zahlen, bald ein<lb/>
Eleatisches Eins, bald einen Spinozistischen Gott, der<lb/>
da ist ausgedehnt <hirendition="#g">und</hi> denkend, bald Substanzen als<lb/>
Substrate von Eigenschaften, bald Leibnitzische Mona-<lb/>
den, bald beharrliche Träger von Veränderungen und<lb/>
nach auſsen wirkenden Kräften. Meint nun ein Vernunft-<lb/>
kritiker ganz dogmatisch <hirendition="#g">seinen</hi> Begriff von der Sub-<lb/>
stanz als eine Kategorie, als eine ursprüngliche und all-<lb/>
gemeine Denkform hinstellen zu können: so läuft er nicht<lb/>
bloſs Gefahr, daſs man ihm auf metaphysischem Wege<lb/>
die Ungültigkeit und Undenkbarkeit seines Begriffs nach-<lb/>
weise, sondern er zieht sich auch noch den Vorwurf zu,<lb/>
der gesammten Geschichte der Philosophie, welche in<lb/>
diesem Puncte die Geschichte des menschlichen Denkens<lb/>
ist, Trotz geboten zu haben. — Ich bin so dreist ge-<lb/>
wesen, in meiner Metaphysik durch die Theorie der<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[308/0343]
über Substanzen und Kräfte beweiſt factisch, daſs die
Begriffe hievon im menschlichen Geiste nicht
vest stehn, daſs sie keinesweges Kategorien
oder angeborne Begriffe sind, sondern wandel-
bare Erzeugnisse eines durch die Erfahrung
aufgeregten, durch allerley Meinungen umher-
geworfenen, Nachdenkens, welches nur dann
erst in eine sichere und bleibende Ueberzeu-
gung übergehn wird, wenn die Wissenschaft,
Metaphysik genannt, zur Reife gelangt. Wie
die astronomische Betrachtung, die in die Weiten des
Weltbaues hinausgeht, so muſs auch die metaphysische
Forschung, welche in die Tiefen der Natur hineindringt,
mancherley Revolutionen durchlaufen, ehe sie so glück-
lich ist, solche Begriffe zu erzeugen, welche der Er-
scheinung genugthun, und mit sich selbst zusammenstim-
men. Und wie es keine angeborne Ichheit giebt, son-
dern die Selbst-Auffassung verschiedene Perioden hat,
in denen sie sehr verschiedene Resultate giebt (§. 137.)
so auch findet der menschliche Geist, indem er die Rea-
lität der Natur zu bestimmen sucht, bald Atomen, bald
Platonische Ideen oder Pythagorische Zahlen, bald ein
Eleatisches Eins, bald einen Spinozistischen Gott, der
da ist ausgedehnt und denkend, bald Substanzen als
Substrate von Eigenschaften, bald Leibnitzische Mona-
den, bald beharrliche Träger von Veränderungen und
nach auſsen wirkenden Kräften. Meint nun ein Vernunft-
kritiker ganz dogmatisch seinen Begriff von der Sub-
stanz als eine Kategorie, als eine ursprüngliche und all-
gemeine Denkform hinstellen zu können: so läuft er nicht
bloſs Gefahr, daſs man ihm auf metaphysischem Wege
die Ungültigkeit und Undenkbarkeit seines Begriffs nach-
weise, sondern er zieht sich auch noch den Vorwurf zu,
der gesammten Geschichte der Philosophie, welche in
diesem Puncte die Geschichte des menschlichen Denkens
ist, Trotz geboten zu haben. — Ich bin so dreist ge-
wesen, in meiner Metaphysik durch die Theorie der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/343>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.