Störungen und Selbsterhaltungen den Begriff der Sub- stanz so umzubilden, dass er keinem von allen den vor- erwähnten Begriffen, keinem der bisher bekannten, sich vergleichen lässt. Meine Substanzen sind einfach, wie das Eleatische Eins, aber in der Mehrzahl vorhanden, und als im (intelligibeln) Raume befindlich zu denken, wie die Leibnitzischen Monaden; sie sind diesen Mona- den ungleich, indem sie nicht ursprünglich leben und wahrnehmen, aber ihnen ähnlich, indem alle ihre wahre Thätigkeit innerlich vorgeht, und nur mit geistiger Thä- tigkeit eine Analogie verstattet; ihre räumlichen Kräfte sind blosser Schein, aber dieser Schein, wiewohl verschie- den von einer Kantischen Erscheinung, ist dennoch völ- lig gesetzmässig, und zunächst bestimmt durch Gesetze der Attraction und Repulsion, nicht minder als die Kan- tische substantia phaenomenon, die Materie; -- endlich verschwinden alle diese gemachten Vergleichungen, indem man einsieht, dass sie nur zufällig sind, dass aus ihnen der Begriff von diesen Substanzen sich gar nicht zusam- mensetzen lässt; sondern dass man erst aus der beobach- teten Form der Erfahrung, die uns Dinge darstellt, welche nichts als Complexionen von Merkmalen sind, zu der allmählig sich entwickelnden metaphysischen Erkenntniss gelangen muss, unter welchen Bedingungen die eigentli- chen Wesen in Substanzen übergehn; um von hier aus alle jene Vergleichungen verstehen und selbst finden zu können. Man wird zweifeln, ob meine Theorie rich- tiger sey als eine der früheren; und ich werde mich wohl hüten, die Theorie durch Betheuerungen bekräftigen zu wollen. Aber eben so wenig werde ich auf die Versi- cherungen derer achten, die da meinen, ihre Meinung sey die wahre Aussage von den, dem menschlichen Geiste inwohnenden Grundbegriffen von der Substanz und der Kraft. Ist meine Theorie unrichtig: so bestätigt sie meine jetzige Behauptung, dass diese Begriffe ein noch unvoll- endetes Werk sind, an welchem der menschliche Geist fortdauernd arbeitet; sie bestätigt meinen Satz: dass die
Störungen und Selbsterhaltungen den Begriff der Sub- stanz so umzubilden, daſs er keinem von allen den vor- erwähnten Begriffen, keinem der bisher bekannten, sich vergleichen läſst. Meine Substanzen sind einfach, wie das Eleatische Eins, aber in der Mehrzahl vorhanden, und als im (intelligibeln) Raume befindlich zu denken, wie die Leibnitzischen Monaden; sie sind diesen Mona- den ungleich, indem sie nicht ursprünglich leben und wahrnehmen, aber ihnen ähnlich, indem alle ihre wahre Thätigkeit innerlich vorgeht, und nur mit geistiger Thä- tigkeit eine Analogie verstattet; ihre räumlichen Kräfte sind bloſser Schein, aber dieser Schein, wiewohl verschie- den von einer Kantischen Erscheinung, ist dennoch völ- lig gesetzmäſsig, und zunächst bestimmt durch Gesetze der Attraction und Repulsion, nicht minder als die Kan- tische ſubstantia phaenomenon, die Materie; — endlich verschwinden alle diese gemachten Vergleichungen, indem man einsieht, daſs sie nur zufällig sind, daſs aus ihnen der Begriff von diesen Substanzen sich gar nicht zusam- mensetzen läſst; sondern daſs man erst aus der beobach- teten Form der Erfahrung, die uns Dinge darstellt, welche nichts als Complexionen von Merkmalen sind, zu der allmählig sich entwickelnden metaphysischen Erkenntniſs gelangen muſs, unter welchen Bedingungen die eigentli- chen Wesen in Substanzen übergehn; um von hier aus alle jene Vergleichungen verstehen und selbst finden zu können. Man wird zweifeln, ob meine Theorie rich- tiger sey als eine der früheren; und ich werde mich wohl hüten, die Theorie durch Betheuerungen bekräftigen zu wollen. Aber eben so wenig werde ich auf die Versi- cherungen derer achten, die da meinen, ihre Meinung sey die wahre Aussage von den, dem menschlichen Geiste inwohnenden Grundbegriffen von der Substanz und der Kraft. Ist meine Theorie unrichtig: so bestätigt sie meine jetzige Behauptung, daſs diese Begriffe ein noch unvoll- endetes Werk sind, an welchem der menschliche Geist fortdauernd arbeitet; sie bestätigt meinen Satz: daſs die
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Störungen und Selbsterhaltungen den Begriff der Sub-
stanz so umzubilden, daſs er keinem von allen den vor-
erwähnten Begriffen, keinem der bisher bekannten, sich
vergleichen läſst. Meine Substanzen sind einfach, wie
das Eleatische Eins, aber in der Mehrzahl vorhanden,
und als im (intelligibeln) Raume befindlich zu denken,
wie die Leibnitzischen Monaden; sie sind diesen Mona-
den ungleich, indem sie nicht ursprünglich leben und
wahrnehmen, aber ihnen ähnlich, indem alle ihre wahre
Thätigkeit innerlich vorgeht, und nur mit geistiger Thä-
tigkeit eine Analogie verstattet; ihre räumlichen Kräfte
sind bloſser Schein, aber dieser Schein, wiewohl verschie-
den von einer Kantischen Erscheinung, ist dennoch völ-
lig gesetzmäſsig, und zunächst bestimmt durch Gesetze
der Attraction und Repulsion, nicht minder als die Kan-
tische ſubstantia phaenomenon, die Materie; — endlich
verschwinden alle diese gemachten Vergleichungen, indem
man einsieht, daſs sie nur zufällig sind, daſs aus ihnen
der Begriff von diesen Substanzen sich gar nicht zusam-
mensetzen läſst; sondern daſs man erst aus der beobach-
teten Form der Erfahrung, die uns Dinge darstellt, welche
nichts als Complexionen von Merkmalen sind, zu der
allmählig sich entwickelnden metaphysischen Erkenntniſs
gelangen muſs, unter welchen Bedingungen die eigentli-
chen Wesen in Substanzen übergehn; um von hier
aus alle jene Vergleichungen verstehen und selbst finden
zu können. Man wird zweifeln, ob meine Theorie rich-
tiger sey als eine der früheren; und ich werde mich wohl
hüten, die Theorie durch Betheuerungen bekräftigen zu
wollen. Aber eben so wenig werde ich auf die Versi-
cherungen derer achten, die da meinen, ihre Meinung
sey die wahre Aussage von den, dem menschlichen Geiste
inwohnenden Grundbegriffen von der Substanz und der
Kraft. Ist meine Theorie unrichtig: so bestätigt sie meine
jetzige Behauptung, daſs diese Begriffe ein noch unvoll-
endetes Werk sind, an welchem der menschliche Geist
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/344>, abgerufen am 22.11.2024.
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