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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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nicht; zu denken versuchen wir, was wir eben so wenig
denkend als anschauend fassen können.

Dies Alles bey Seite gesetzt: was leistet denn nun
der Causalbegriff, nicht etwan um der Veränderung zur
Heilung ihrer innern Pein zu helfen, sondern (denn da-
von war ja die Rede) die Erscheinungen in der Zeit vest-
zustellen? Spricht er etwan zu den Erscheinungen a
und b: Eine von Euch beyden muss die erste seyn!
Wählt nun; oder streitet; und welche von Euch den er-
sten Rang gewinnet, die soll ihn behalten! --? Nein;
er erlaubt keine Wahl, welches eine Unbestimmtheit in
der Zeit seyn würde. Also befiehlt er vermuthlich aus
eigner Macht, a solle vorangehn, und b solle folgen? --
Auch das nicht! Der Causalbegriff ist allgemein; die
einzelnen Erscheinungen a und b sind ihm völlig unbe-
kannt; es ist ihm gleichgültig, ob wir b a oder ab spre-
chen. Es liegt ihm nichts daran, ob in dem Kantischen
Beyspiele das Schiff mit dem Strome fährt, oder wider
den Strom gezogen wird; selbst die Triebkraft des Stro-
mes, und der Zug gespannter Seile sind nichts als Er-
fahrungsgegenstände; kein Begriff a priori hat gelehrt,
dass die Körper schwer seyen, der Strom sein Gefälle
habe, die eingetauchten Körper von der Dichtigkeit des
Wassers mit fort gerissen werden, die Seile stark ge-
nug sind, um nicht zu reissen u. d. gl. m. Die blosse
Anschauung des Schiffs, welches dahinfährt, giebt mir
unmittelbar die Reihenfolge seiner Bewegung, auch wenn
ich weder die Richtung des Stroms, noch irgendwo die
auf das Schiff wirkenden Kräfte sehe, weiss und kenne.
Desgleichen, der allgemeine Causalbegriff lehrt uns gar
nicht, wie es zugegangen seyn möge, dass Kant, in
dem Beyspiele von der Kugel, die im Küssen ein Grüb-
chen drückt, am Schlusse seiner Rede plötzlich von ei-
ner bleyernen Kugel redet, während er sich vorher mit
einer Kugel überhaupt begnügte. Wir sehen freylich
wohl, dass ihm hintennach eine sehr nöthige Ergänzung
seines Beyspiels einfiel. Der Causalbegriff für sich allein

nicht; zu denken versuchen wir, was wir eben so wenig
denkend als anschauend fassen können.

Dies Alles bey Seite gesetzt: was leistet denn nun
der Causalbegriff, nicht etwan um der Veränderung zur
Heilung ihrer innern Pein zu helfen, sondern (denn da-
von war ja die Rede) die Erscheinungen in der Zeit vest-
zustellen? Spricht er etwan zu den Erscheinungen a
und b: Eine von Euch beyden muſs die erste seyn!
Wählt nun; oder streitet; und welche von Euch den er-
sten Rang gewinnet, die soll ihn behalten! —? Nein;
er erlaubt keine Wahl, welches eine Unbestimmtheit in
der Zeit seyn würde. Also befiehlt er vermuthlich aus
eigner Macht, a solle vorangehn, und b solle folgen? —
Auch das nicht! Der Causalbegriff ist allgemein; die
einzelnen Erscheinungen a und b sind ihm völlig unbe-
kannt; es ist ihm gleichgültig, ob wir b a oder ab spre-
chen. Es liegt ihm nichts daran, ob in dem Kantischen
Beyspiele das Schiff mit dem Strome fährt, oder wider
den Strom gezogen wird; selbst die Triebkraft des Stro-
mes, und der Zug gespannter Seile sind nichts als Er-
fahrungsgegenstände; kein Begriff a priori hat gelehrt,
daſs die Körper schwer seyen, der Strom sein Gefälle
habe, die eingetauchten Körper von der Dichtigkeit des
Wassers mit fort gerissen werden, die Seile stark ge-
nug sind, um nicht zu reiſsen u. d. gl. m. Die bloſse
Anschauung des Schiffs, welches dahinfährt, giebt mir
unmittelbar die Reihenfolge seiner Bewegung, auch wenn
ich weder die Richtung des Stroms, noch irgendwo die
auf das Schiff wirkenden Kräfte sehe, weiſs und kenne.
Desgleichen, der allgemeine Causalbegriff lehrt uns gar
nicht, wie es zugegangen seyn möge, daſs Kant, in
dem Beyspiele von der Kugel, die im Küssen ein Grüb-
chen drückt, am Schlusse seiner Rede plötzlich von ei-
ner bleyernen Kugel redet, während er sich vorher mit
einer Kugel überhaupt begnügte. Wir sehen freylich
wohl, daſs ihm hintennach eine sehr nöthige Ergänzung
seines Beyspiels einfiel. Der Causalbegriff für sich allein

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[338/0373] nicht; zu denken versuchen wir, was wir eben so wenig denkend als anschauend fassen können. Dies Alles bey Seite gesetzt: was leistet denn nun der Causalbegriff, nicht etwan um der Veränderung zur Heilung ihrer innern Pein zu helfen, sondern (denn da- von war ja die Rede) die Erscheinungen in der Zeit vest- zustellen? Spricht er etwan zu den Erscheinungen a und b: Eine von Euch beyden muſs die erste seyn! Wählt nun; oder streitet; und welche von Euch den er- sten Rang gewinnet, die soll ihn behalten! —? Nein; er erlaubt keine Wahl, welches eine Unbestimmtheit in der Zeit seyn würde. Also befiehlt er vermuthlich aus eigner Macht, a solle vorangehn, und b solle folgen? — Auch das nicht! Der Causalbegriff ist allgemein; die einzelnen Erscheinungen a und b sind ihm völlig unbe- kannt; es ist ihm gleichgültig, ob wir b a oder ab spre- chen. Es liegt ihm nichts daran, ob in dem Kantischen Beyspiele das Schiff mit dem Strome fährt, oder wider den Strom gezogen wird; selbst die Triebkraft des Stro- mes, und der Zug gespannter Seile sind nichts als Er- fahrungsgegenstände; kein Begriff a priori hat gelehrt, daſs die Körper schwer seyen, der Strom sein Gefälle habe, die eingetauchten Körper von der Dichtigkeit des Wassers mit fort gerissen werden, die Seile stark ge- nug sind, um nicht zu reiſsen u. d. gl. m. Die bloſse Anschauung des Schiffs, welches dahinfährt, giebt mir unmittelbar die Reihenfolge seiner Bewegung, auch wenn ich weder die Richtung des Stroms, noch irgendwo die auf das Schiff wirkenden Kräfte sehe, weiſs und kenne. Desgleichen, der allgemeine Causalbegriff lehrt uns gar nicht, wie es zugegangen seyn möge, daſs Kant, in dem Beyspiele von der Kugel, die im Küssen ein Grüb- chen drückt, am Schlusse seiner Rede plötzlich von ei- ner bleyernen Kugel redet, während er sich vorher mit einer Kugel überhaupt begnügte. Wir sehen freylich wohl, daſs ihm hintennach eine sehr nöthige Ergänzung seines Beyspiels einfiel. Der Causalbegriff für sich allein

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/373>, abgerufen am 24.11.2024.