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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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zu Tage fördert. Er besteht in der Unterlassungs-
sünde, dass man zur wahren Metaphysik nicht
fortschreitet
; dass man sich nicht aufmacht, das Werk
nicht angreift, selbst nachdem Jahrhunderte und Jahr-
tausende gelehrt haben, es könne so nicht bleiben, wie
es ursprünglich in jedem menschlichen Kopfe sich fügt
und giebt. Die erste, und unvermeidliche Bedeutung je-
ner Grundbegriffe ist eben nicht die wahre, nicht ein-
mal die denkbare, sondern sie unterliegt der Kritik des
fortgesetzten Nachdenkens; die wahre Bedeutung aber
kommt erst durch die Wissenschaft, welche der Kritik
nachfolgt. Nicht die Vernunft, sondern die rohen Er-
zeugnisse des psychologischen Mechanismus sind der
rechte Gegenstand für die Kritik; und dadurch soll die
Vernunft, als die höchste Thätigkeit, ganz und gar nicht
in Unternehmungen beschränkt, sondern zu neuen Unter-
nehmungen aufgemuntert, ja aufgefordert werden. Wehe
uns, wenn Kants Kritik die beabsichtigte einschränkende
Wirkung in der That gehabt hätte. Wohl uns, wenn
die wirklich beschränkenden Einflüsse dieser Zeit über-
wunden werden durch die Aufregung, welche von Jenem,
wider seinen Willen, oder mindestens wider seine Worte,
sich herschreibt.


Viertes Capitel.
Von der höhern Ausbildung.
§. 146.

Aeusserst auffallend ist der Contrast zwischen den
zögernden Fortschritten des metaphysischen Denkens,
und der Eile, womit andre Arten des Wissens und der
Künste, ja womit die sämmtlichen Vorzüge der eigentli-
chen Menschheit, (jenen Zweig der Speculation allein
abgerechnet,) sich entwickelt haben; -- wenigstens in
der Periode des menschlichen Daseyns, von welcher die

zu Tage fördert. Er besteht in der Unterlassungs-
sünde, daſs man zur wahren Metaphysik nicht
fortschreitet
; daſs man sich nicht aufmacht, das Werk
nicht angreift, selbst nachdem Jahrhunderte und Jahr-
tausende gelehrt haben, es könne so nicht bleiben, wie
es ursprünglich in jedem menschlichen Kopfe sich fügt
und giebt. Die erste, und unvermeidliche Bedeutung je-
ner Grundbegriffe ist eben nicht die wahre, nicht ein-
mal die denkbare, sondern sie unterliegt der Kritik des
fortgesetzten Nachdenkens; die wahre Bedeutung aber
kommt erst durch die Wissenschaft, welche der Kritik
nachfolgt. Nicht die Vernunft, sondern die rohen Er-
zeugnisse des psychologischen Mechanismus sind der
rechte Gegenstand für die Kritik; und dadurch soll die
Vernunft, als die höchste Thätigkeit, ganz und gar nicht
in Unternehmungen beschränkt, sondern zu neuen Unter-
nehmungen aufgemuntert, ja aufgefordert werden. Wehe
uns, wenn Kants Kritik die beabsichtigte einschränkende
Wirkung in der That gehabt hätte. Wohl uns, wenn
die wirklich beschränkenden Einflüsse dieser Zeit über-
wunden werden durch die Aufregung, welche von Jenem,
wider seinen Willen, oder mindestens wider seine Worte,
sich herschreibt.


Viertes Capitel.
Von der höhern Ausbildung.
§. 146.

Aeuſserst auffallend ist der Contrast zwischen den
zögernden Fortschritten des metaphysischen Denkens,
und der Eile, womit andre Arten des Wissens und der
Künste, ja womit die sämmtlichen Vorzüge der eigentli-
chen Menschheit, (jenen Zweig der Speculation allein
abgerechnet,) sich entwickelt haben; — wenigstens in
der Periode des menschlichen Daseyns, von welcher die

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[362/0397] zu Tage fördert. Er besteht in der Unterlassungs- sünde, daſs man zur wahren Metaphysik nicht fortschreitet; daſs man sich nicht aufmacht, das Werk nicht angreift, selbst nachdem Jahrhunderte und Jahr- tausende gelehrt haben, es könne so nicht bleiben, wie es ursprünglich in jedem menschlichen Kopfe sich fügt und giebt. Die erste, und unvermeidliche Bedeutung je- ner Grundbegriffe ist eben nicht die wahre, nicht ein- mal die denkbare, sondern sie unterliegt der Kritik des fortgesetzten Nachdenkens; die wahre Bedeutung aber kommt erst durch die Wissenschaft, welche der Kritik nachfolgt. Nicht die Vernunft, sondern die rohen Er- zeugnisse des psychologischen Mechanismus sind der rechte Gegenstand für die Kritik; und dadurch soll die Vernunft, als die höchste Thätigkeit, ganz und gar nicht in Unternehmungen beschränkt, sondern zu neuen Unter- nehmungen aufgemuntert, ja aufgefordert werden. Wehe uns, wenn Kants Kritik die beabsichtigte einschränkende Wirkung in der That gehabt hätte. Wohl uns, wenn die wirklich beschränkenden Einflüsse dieser Zeit über- wunden werden durch die Aufregung, welche von Jenem, wider seinen Willen, oder mindestens wider seine Worte, sich herschreibt. Viertes Capitel. Von der höhern Ausbildung. §. 146. Aeuſserst auffallend ist der Contrast zwischen den zögernden Fortschritten des metaphysischen Denkens, und der Eile, womit andre Arten des Wissens und der Künste, ja womit die sämmtlichen Vorzüge der eigentli- chen Menschheit, (jenen Zweig der Speculation allein abgerechnet,) sich entwickelt haben; — wenigstens in der Periode des menschlichen Daseyns, von welcher die

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/397>, abgerufen am 24.11.2024.