Geschichte Nachricht giebt. Denn freylich, wie langsam vielleicht in den vorhistorischen Zeiten die ersten Erhebungen unseres Geschlechts gelungen seyen: darüber fehlt es beynahe eben so sehr an Vermuthungen als an Zeugnissen, falls man sich nicht grundlosen Einfällen überlassen will. Diejenige höhere Bildung, welche jetzo als ein Factum dem Psychologen vor Augen steht, wird nur ihrer Möglichkeit nach können begriffen werden; hin- gegen den Lauf ihres Entstehens vom ersten Anfang an zu überschauen, wie wäre das anzustellen? Welches Fernrohr soll uns die Geheimnisse der Vorzeit nahe brin- gen, wenn die Geschichte schweigt?
In den historischen Zeiten sehen wir die Erweite- rung der menschlichen Kenntnisse gar sehr vom Zufall abhangen, und die absichtliche Forschung, so wie die Erhebung der Gemüther, scheint ein Werk weniger klei- ner Völkerschaften, ja einzelner Menschen. Den aller- meisten Individuen scheint es von jeher gegangen zu seyn wie jetzt; ihnen ist ihre Cultur überliefert; wie man sie gewöhnte, so sind sie geworden; was man ihnen vor- dachte, das haben sie im besten Falle verstanden; was aufgeregte Gemüther vorempfanden, das hat sich mitge- theilt und verbreitet; was die Herrscher frey liessen, da- mit haben sich die Uebrigen beholfen. Rückwärts ha- ben die hervorragenden Menschen nur soviel ausgeführt, als durch die Menge konnte ausgeführt werden; nur so- viel verewigt, als die Menge bevestigte und bewahrte; was die Menge entweder nicht verstand, oder nicht ehrte, nicht wollte, davon ist das Meiste untergegangen; es befindet sich nicht unter den Stützen derjenigen Bil- dung, die heute vor uns liegt, und psychologisch erklärt seyn will.
Diese Zusammenwirkung Weniger mit Vielen, und daneben dennoch das Fortschreiten der höchsten Bildung bloss durch die Besten und Edelsten, ohne das Volk zu berühren: dies beydes sind selbst psychologische Phäno- mene; und die Analyse derselben würde uns vorzugsweise
Geschichte Nachricht giebt. Denn freylich, wie langsam vielleicht in den vorhistorischen Zeiten die ersten Erhebungen unseres Geschlechts gelungen seyen: darüber fehlt es beynahe eben so sehr an Vermuthungen als an Zeugnissen, falls man sich nicht grundlosen Einfällen überlassen will. Diejenige höhere Bildung, welche jetzo als ein Factum dem Psychologen vor Augen steht, wird nur ihrer Möglichkeit nach können begriffen werden; hin- gegen den Lauf ihres Entstehens vom ersten Anfang an zu überschauen, wie wäre das anzustellen? Welches Fernrohr soll uns die Geheimnisse der Vorzeit nahe brin- gen, wenn die Geschichte schweigt?
In den historischen Zeiten sehen wir die Erweite- rung der menschlichen Kenntnisse gar sehr vom Zufall abhangen, und die absichtliche Forschung, so wie die Erhebung der Gemüther, scheint ein Werk weniger klei- ner Völkerschaften, ja einzelner Menschen. Den aller- meisten Individuen scheint es von jeher gegangen zu seyn wie jetzt; ihnen ist ihre Cultur überliefert; wie man sie gewöhnte, so sind sie geworden; was man ihnen vor- dachte, das haben sie im besten Falle verstanden; was aufgeregte Gemüther vorempfanden, das hat sich mitge- theilt und verbreitet; was die Herrscher frey lieſsen, da- mit haben sich die Uebrigen beholfen. Rückwärts ha- ben die hervorragenden Menschen nur soviel ausgeführt, als durch die Menge konnte ausgeführt werden; nur so- viel verewigt, als die Menge bevestigte und bewahrte; was die Menge entweder nicht verstand, oder nicht ehrte, nicht wollte, davon ist das Meiste untergegangen; es befindet sich nicht unter den Stützen derjenigen Bil- dung, die heute vor uns liegt, und psychologisch erklärt seyn will.
Diese Zusammenwirkung Weniger mit Vielen, und daneben dennoch das Fortschreiten der höchsten Bildung bloſs durch die Besten und Edelsten, ohne das Volk zu berühren: dies beydes sind selbst psychologische Phäno- mene; und die Analyse derselben würde uns vorzugsweise
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Geschichte Nachricht giebt. Denn freylich, wie langsam
vielleicht in den vorhistorischen Zeiten die ersten
Erhebungen unseres Geschlechts gelungen seyen: darüber
fehlt es beynahe eben so sehr an Vermuthungen als an
Zeugnissen, falls man sich nicht grundlosen Einfällen
überlassen will. Diejenige höhere Bildung, welche jetzo
als ein Factum dem Psychologen vor Augen steht, wird
nur ihrer Möglichkeit nach können begriffen werden; hin-
gegen den Lauf ihres Entstehens vom ersten Anfang an
zu überschauen, wie wäre das anzustellen? Welches
Fernrohr soll uns die Geheimnisse der Vorzeit nahe brin-
gen, wenn die Geschichte schweigt?
In den historischen Zeiten sehen wir die Erweite-
rung der menschlichen Kenntnisse gar sehr vom Zufall
abhangen, und die absichtliche Forschung, so wie die
Erhebung der Gemüther, scheint ein Werk weniger klei-
ner Völkerschaften, ja einzelner Menschen. Den aller-
meisten Individuen scheint es von jeher gegangen zu
seyn wie jetzt; ihnen ist ihre Cultur überliefert; wie man
sie gewöhnte, so sind sie geworden; was man ihnen vor-
dachte, das haben sie im besten Falle verstanden; was
aufgeregte Gemüther vorempfanden, das hat sich mitge-
theilt und verbreitet; was die Herrscher frey lieſsen, da-
mit haben sich die Uebrigen beholfen. Rückwärts ha-
ben die hervorragenden Menschen nur soviel ausgeführt,
als durch die Menge konnte ausgeführt werden; nur so-
viel verewigt, als die Menge bevestigte und bewahrte;
was die Menge entweder nicht verstand, oder nicht ehrte,
nicht wollte, davon ist das Meiste untergegangen; es
befindet sich nicht unter den Stützen derjenigen Bil-
dung, die heute vor uns liegt, und psychologisch erklärt
seyn will.
Diese Zusammenwirkung Weniger mit Vielen, und
daneben dennoch das Fortschreiten der höchsten Bildung
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/398>, abgerufen am 24.11.2024.
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