gelegen ist, dass sich der Leser erst jene psychologischen Gesetze, wie sie durch Rechnung gefunden worden, ge- läufig mache, ehe ich nach Art der Vernunft-Kritiken unternehme, die Psychologie zur Aufhellung der Meta- physik zu benutzen. Dies Letztere ist mein eigentlicher Hauptzweck in dem vorliegenden zweyten Theile; jenes erstere ist nur das Mittel zum Zwecke. Daher werde ich keinesweges, dem Platon nachahmend, mich in die Staatslehre vertiefen; sondern bloss soviel aus diesem Ge- biete entlehnen, als mir zur Einleitung, und zur Vorberei- tung auf schwierigere Gegenstände nützlich seyn kann.
Jedoch darf ich mich nicht so eng beschränken, dass aus der Kürze Dunkelheit entstehen könnte, die leicht zu irrigen Auslegungen Anlass geben möchte. Um Mis- deutungen zu begegnen, schicke ich zwei Bemerkungen voran.
Erstlich: ich werde hier nur eine Seite der Staats- lehre in Betracht ziehn; die rein theoretische, welche viel- leicht Mancher die Kehrseite nennen möchte. Diese Einseitigkeit darf ich mir erlauben, weil ich längst die andre Seite, die der praktischen Ideen, beleuchtet habe; nämlich in meiner praktischen Philosophie; und zwar auf eine Weise, wodurch Niemand zum politischen Schwär- mer verbildet, wohl aber vielleicht hie und da Jemand vor Schwärmerey ist gehütet worden.
Zweytens: um jeden Gedanken, als ob ich versteck- ter Weise auf die heutigen Staaten zielte, rein abzu- schneiden: will ich offen anzeigen, wie ich, falls dies meine Absicht wäre, zu Werke gehn würde. Alsdann nämlich wäre nach meiner Ueberzeugung zuerst von dem Umstande zu reden, dass die heutigen europäischen Na- tionen zu ihrer Sicherheit einer stehenden Kriegsmacht bedürfen. Daher würde ich den Grad der militärischen Spannung eines jeden Staates untersuchen; und hiebey unterscheiden, welche Staaten in einer solchen Spannung sich ihrer Lage nach befinden müssen, welche andre dies nicht nöthig haben, und wiederum welche zu schwach
gelegen ist, daſs sich der Leser erst jene psychologischen Gesetze, wie sie durch Rechnung gefunden worden, ge- läufig mache, ehe ich nach Art der Vernunft-Kritiken unternehme, die Psychologie zur Aufhellung der Meta- physik zu benutzen. Dies Letztere ist mein eigentlicher Hauptzweck in dem vorliegenden zweyten Theile; jenes erstere ist nur das Mittel zum Zwecke. Daher werde ich keinesweges, dem Platon nachahmend, mich in die Staatslehre vertiefen; sondern bloſs soviel aus diesem Ge- biete entlehnen, als mir zur Einleitung, und zur Vorberei- tung auf schwierigere Gegenstände nützlich seyn kann.
Jedoch darf ich mich nicht so eng beschränken, daſs aus der Kürze Dunkelheit entstehen könnte, die leicht zu irrigen Auslegungen Anlaſs geben möchte. Um Mis- deutungen zu begegnen, schicke ich zwei Bemerkungen voran.
Erstlich: ich werde hier nur eine Seite der Staats- lehre in Betracht ziehn; die rein theoretische, welche viel- leicht Mancher die Kehrseite nennen möchte. Diese Einseitigkeit darf ich mir erlauben, weil ich längst die andre Seite, die der praktischen Ideen, beleuchtet habe; nämlich in meiner praktischen Philosophie; und zwar auf eine Weise, wodurch Niemand zum politischen Schwär- mer verbildet, wohl aber vielleicht hie und da Jemand vor Schwärmerey ist gehütet worden.
Zweytens: um jeden Gedanken, als ob ich versteck- ter Weise auf die heutigen Staaten zielte, rein abzu- schneiden: will ich offen anzeigen, wie ich, falls dies meine Absicht wäre, zu Werke gehn würde. Alsdann nämlich wäre nach meiner Ueberzeugung zuerst von dem Umstande zu reden, daſs die heutigen europäischen Na- tionen zu ihrer Sicherheit einer stehenden Kriegsmacht bedürfen. Daher würde ich den Grad der militärischen Spannung eines jeden Staates untersuchen; und hiebey unterscheiden, welche Staaten in einer solchen Spannung sich ihrer Lage nach befinden müssen, welche andre dies nicht nöthig haben, und wiederum welche zu schwach
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[5/0040]
gelegen ist, daſs sich der Leser erst jene psychologischen
Gesetze, wie sie durch Rechnung gefunden worden, ge-
läufig mache, ehe ich nach Art der Vernunft-Kritiken
unternehme, die Psychologie zur Aufhellung der Meta-
physik zu benutzen. Dies Letztere ist mein eigentlicher
Hauptzweck in dem vorliegenden zweyten Theile; jenes
erstere ist nur das Mittel zum Zwecke. Daher werde ich
keinesweges, dem Platon nachahmend, mich in die
Staatslehre vertiefen; sondern bloſs soviel aus diesem Ge-
biete entlehnen, als mir zur Einleitung, und zur Vorberei-
tung auf schwierigere Gegenstände nützlich seyn kann.
Jedoch darf ich mich nicht so eng beschränken, daſs
aus der Kürze Dunkelheit entstehen könnte, die leicht
zu irrigen Auslegungen Anlaſs geben möchte. Um Mis-
deutungen zu begegnen, schicke ich zwei Bemerkungen
voran.
Erstlich: ich werde hier nur eine Seite der Staats-
lehre in Betracht ziehn; die rein theoretische, welche viel-
leicht Mancher die Kehrseite nennen möchte. Diese
Einseitigkeit darf ich mir erlauben, weil ich längst die
andre Seite, die der praktischen Ideen, beleuchtet habe;
nämlich in meiner praktischen Philosophie; und zwar auf
eine Weise, wodurch Niemand zum politischen Schwär-
mer verbildet, wohl aber vielleicht hie und da Jemand
vor Schwärmerey ist gehütet worden.
Zweytens: um jeden Gedanken, als ob ich versteck-
ter Weise auf die heutigen Staaten zielte, rein abzu-
schneiden: will ich offen anzeigen, wie ich, falls dies
meine Absicht wäre, zu Werke gehn würde. Alsdann
nämlich wäre nach meiner Ueberzeugung zuerst von dem
Umstande zu reden, daſs die heutigen europäischen Na-
tionen zu ihrer Sicherheit einer stehenden Kriegsmacht
bedürfen. Daher würde ich den Grad der militärischen
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/40>, abgerufen am 21.11.2024.
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