wird es doch nicht überflüssig seyn, auf jenen Punct we- nigstens hinzuweisen.
In der Abhandlung von den Phänomenen und Noume- nen nennt Kant den letztern Begriff bloss problematisch, denn er sey zwar nicht widersprechend, vielmehr zur Be- schränkung der sinnlichen Erkenntniss unentbehrlich, allein die Möglichkeit der Noumene sey gar nicht einzusehen; und der Umfang ausser der Sphäre der Erschei- nungen sey für uns leer; so dass sich gar kein Ob- ject der Erkenntniss in ihn setzen lasse.
Dieser Ausspruch ist für Kants theoretische Lehre vollkommen consequent, und charakteristisch. Wenn ich hierin von ihm abweiche: so geschieht es deswegen, weil ich aus den Widersprüchen in den Erfahrungsbegriffen weiss, dass man, um nur sie selbst denken zu können, nothwendig über sie hinausgehen muss; daher die Nou- mene, oder einfachen Wesen, nun zwar ihrer innern, und ursprünglichen Qualität nach gerade so unbekannt blei- ben, wie Kant sie wollte; aber nichts desto weniger doch irgend eine Qualität derselben oder vielmehr verschiedene, ja zum Theil entgegengesetzte Qualitäten der verschiede- nen Noumene, angenommen werden müssen; weil sonst die anscheinende Existenz der Sinnenwelt schlechthin un- möglich wäre. Was übrigens die Möglichkeit der Nou- mene anlangt: so ist die Frage darnach widersinnig; denn Möglichkeit ist niemals real; (dies sagen schon die Worte;) sondern was wir reale Möglichkeit zu nennen pflegen, ist selbst nur ein Ausdruck, der sich aufs Geschehen, nicht aufs Seyn bezieht. Dies Bey- des wohl zu unterscheiden, ist für alle metaphysische Einsicht eine Grundbedingung. Real möglich nennen wir dasjenige Geschehen, dessen Grund im Realen kann angetroffen werden.
Der Gegensatz nun zwischen dem Seyn und dem Schein ist derjenige, welcher uns in unserm Denken die Pforte der Metaphysik öffnet. Der Schein ist gegeben; darum müssen wir das Seyende setzen, und dergestalt
wird es doch nicht überflüssig seyn, auf jenen Punct we- nigstens hinzuweisen.
In der Abhandlung von den Phänomenen und Noume- nen nennt Kant den letztern Begriff bloſs problematisch, denn er sey zwar nicht widersprechend, vielmehr zur Be- schränkung der sinnlichen Erkenntniſs unentbehrlich, allein die Möglichkeit der Noumene sey gar nicht einzusehen; und der Umfang auſser der Sphäre der Erschei- nungen sey für uns leer; so daſs sich gar kein Ob- ject der Erkenntniſs in ihn setzen lasse.
Dieser Ausspruch ist für Kants theoretische Lehre vollkommen consequent, und charakteristisch. Wenn ich hierin von ihm abweiche: so geschieht es deswegen, weil ich aus den Widersprüchen in den Erfahrungsbegriffen weiſs, daſs man, um nur sie selbst denken zu können, nothwendig über sie hinausgehen muſs; daher die Nou- mene, oder einfachen Wesen, nun zwar ihrer innern, und ursprünglichen Qualität nach gerade so unbekannt blei- ben, wie Kant sie wollte; aber nichts desto weniger doch irgend eine Qualität derselben oder vielmehr verschiedene, ja zum Theil entgegengesetzte Qualitäten der verschiede- nen Noumene, angenommen werden müssen; weil sonst die anscheinende Existenz der Sinnenwelt schlechthin un- möglich wäre. Was übrigens die Möglichkeit der Nou- mene anlangt: so ist die Frage darnach widersinnig; denn Möglichkeit ist niemals real; (dies sagen schon die Worte;) sondern was wir reale Möglichkeit zu nennen pflegen, ist selbst nur ein Ausdruck, der sich aufs Geschehen, nicht aufs Seyn bezieht. Dies Bey- des wohl zu unterscheiden, ist für alle metaphysische Einsicht eine Grundbedingung. Real möglich nennen wir dasjenige Geschehen, dessen Grund im Realen kann angetroffen werden.
Der Gegensatz nun zwischen dem Seyn und dem Schein ist derjenige, welcher uns in unserm Denken die Pforte der Metaphysik öffnet. Der Schein ist gegeben; darum müssen wir das Seyende setzen, und dergestalt
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wird es doch nicht überflüssig seyn, auf jenen Punct we-
nigstens hinzuweisen.
In der Abhandlung von den Phänomenen und Noume-
nen nennt Kant den letztern Begriff bloſs problematisch,
denn er sey zwar nicht widersprechend, vielmehr zur Be-
schränkung der sinnlichen Erkenntniſs unentbehrlich, allein
die Möglichkeit der Noumene sey gar nicht einzusehen;
und der Umfang auſser der Sphäre der Erschei-
nungen sey für uns leer; so daſs sich gar kein Ob-
ject der Erkenntniſs in ihn setzen lasse.
Dieser Ausspruch ist für Kants theoretische Lehre
vollkommen consequent, und charakteristisch. Wenn ich
hierin von ihm abweiche: so geschieht es deswegen, weil
ich aus den Widersprüchen in den Erfahrungsbegriffen
weiſs, daſs man, um nur sie selbst denken zu können,
nothwendig über sie hinausgehen muſs; daher die Nou-
mene, oder einfachen Wesen, nun zwar ihrer innern, und
ursprünglichen Qualität nach gerade so unbekannt blei-
ben, wie Kant sie wollte; aber nichts desto weniger doch
irgend eine Qualität derselben oder vielmehr verschiedene,
ja zum Theil entgegengesetzte Qualitäten der verschiede-
nen Noumene, angenommen werden müssen; weil sonst
die anscheinende Existenz der Sinnenwelt schlechthin un-
möglich wäre. Was übrigens die Möglichkeit der Nou-
mene anlangt: so ist die Frage darnach widersinnig;
denn Möglichkeit ist niemals real; (dies sagen schon
die Worte;) sondern was wir reale Möglichkeit zu
nennen pflegen, ist selbst nur ein Ausdruck, der sich
aufs Geschehen, nicht aufs Seyn bezieht. Dies Bey-
des wohl zu unterscheiden, ist für alle metaphysische
Einsicht eine Grundbedingung. Real möglich nennen
wir dasjenige Geschehen, dessen Grund im Realen kann
angetroffen werden.
Der Gegensatz nun zwischen dem Seyn und dem
Schein ist derjenige, welcher uns in unserm Denken die
Pforte der Metaphysik öffnet. Der Schein ist gegeben;
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/433>, abgerufen am 22.11.2024.
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