Eben so flüchtig sind die Affecten; (§. 106.) und daher eben so untauglich, Maximen zu stiften; wiewohl sie sehr füglich die Gegenstände werden können, wor- über in praktischen Grundsätzen etwas angeordnet wird. Dann liegt aber das thätige Princip der Maximen in hö- hern, appercipirenden Vorstellungsmassen, die wir im §. 126. u. f. beschrieben haben.
Es bleiben noch die Leidenschaften, die Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen im strengen Sinn, (de- nen man die Lustgefühle des §. 87. in dem Falle zu- gesellen muss, wenn die Bedingungen derselben auf be- harrliche Weise an den Objecten haften,) und die ästhe- tischen Urtheile. Jede dieser Arten des Vorziehens und Verwerfens ergiebt wirklich Maximen.
Zuvörderst die Leidenschaften. Sie sind nach §. 107. bleibende Dispositionen zu Begierden, die in der ganzen Verwebung der Vorstellungen ihren Sitz haben. Aus ihnen also kömmt ein häufiges, gleichartig sich wieder- hohlendes Begehren; welchem gemäss die übrigen Vor- stellungen sich stets auf ähnliche Weise fügen und schik- ken. Nimmt man hiezu die Wiedererweckung der ähnli- chen Vorstellungen, und ihre Verschmelzung: so sieht man wohl, wie nach und nach ein Wollen entstehe, bey welchem die Umstände des Zeitmoments im einzelnen Fall, oder die Bestimmungen eines einzelnen Gegenstan- des, sich beynahe aus dem Bewusstseyn verlieren neben dem Gleichartigen aller der Fälle, in denen die Leiden- schaft wirkte und sich befriedigte. Der Zustand des durch diese Leidenschaft aufgeregten Gemüths gleicht also dem Denken eines rohen allgemeinen Begriffs in dem Puncte, dass auch hier eine Totalkraft vorhanden ist, in welcher verworrener Weise viel Ungleichartiges verschmolzen liegt, das von dem Gleichartigen grossen- theils erstickt wird. Der Mensch, der bekannt, dass er die Karten liebe, drückt hiemit auf einmal alle die ver- schmolzenen Strebungen aus, die er zu verschiedenen Zeiten, spielend mit verschiedenen Personen, vielleicht
Eben so flüchtig sind die Affecten; (§. 106.) und daher eben so untauglich, Maximen zu stiften; wiewohl sie sehr füglich die Gegenstände werden können, wor- über in praktischen Grundsätzen etwas angeordnet wird. Dann liegt aber das thätige Princip der Maximen in hö- hern, appercipirenden Vorstellungsmassen, die wir im §. 126. u. f. beschrieben haben.
Es bleiben noch die Leidenschaften, die Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen im strengen Sinn, (de- nen man die Lustgefühle des §. 87. in dem Falle zu- gesellen muſs, wenn die Bedingungen derselben auf be- harrliche Weise an den Objecten haften,) und die ästhe- tischen Urtheile. Jede dieser Arten des Vorziehens und Verwerfens ergiebt wirklich Maximen.
Zuvörderst die Leidenschaften. Sie sind nach §. 107. bleibende Dispositionen zu Begierden, die in der ganzen Verwebung der Vorstellungen ihren Sitz haben. Aus ihnen also kömmt ein häufiges, gleichartig sich wieder- hohlendes Begehren; welchem gemäſs die übrigen Vor- stellungen sich stets auf ähnliche Weise fügen und schik- ken. Nimmt man hiezu die Wiedererweckung der ähnli- chen Vorstellungen, und ihre Verschmelzung: so sieht man wohl, wie nach und nach ein Wollen entstehe, bey welchem die Umstände des Zeitmoments im einzelnen Fall, oder die Bestimmungen eines einzelnen Gegenstan- des, sich beynahe aus dem Bewuſstseyn verlieren neben dem Gleichartigen aller der Fälle, in denen die Leiden- schaft wirkte und sich befriedigte. Der Zustand des durch diese Leidenschaft aufgeregten Gemüths gleicht also dem Denken eines rohen allgemeinen Begriffs in dem Puncte, daſs auch hier eine Totalkraft vorhanden ist, in welcher verworrener Weise viel Ungleichartiges verschmolzen liegt, das von dem Gleichartigen groſsen- theils erstickt wird. Der Mensch, der bekannt, daſs er die Karten liebe, drückt hiemit auf einmal alle die ver- schmolzenen Strebungen aus, die er zu verschiedenen Zeiten, spielend mit verschiedenen Personen, vielleicht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0446"n="411"/><p>Eben so flüchtig sind die Affecten; (§. 106.) und<lb/>
daher eben so untauglich, Maximen zu stiften; wiewohl<lb/>
sie sehr füglich die Gegenstände werden können, <hirendition="#g">wor-<lb/>
über</hi> in praktischen Grundsätzen etwas angeordnet wird.<lb/>
Dann liegt aber das thätige Princip der Maximen in hö-<lb/>
hern, appercipirenden Vorstellungsmassen, die wir im<lb/>
§. 126. u. f. beschrieben haben.</p><lb/><p>Es bleiben noch die Leidenschaften, die Gefühle des<lb/>
Angenehmen und Unangenehmen im strengen Sinn, (de-<lb/>
nen man die Lustgefühle des §. 87. <hirendition="#g">in dem Falle</hi> zu-<lb/>
gesellen muſs, wenn die Bedingungen derselben auf be-<lb/>
harrliche Weise an den Objecten haften,) und die ästhe-<lb/>
tischen Urtheile. Jede dieser Arten des Vorziehens und<lb/>
Verwerfens ergiebt wirklich Maximen.</p><lb/><p>Zuvörderst die Leidenschaften. Sie sind nach §. 107.<lb/>
bleibende Dispositionen zu Begierden, die in der ganzen<lb/>
Verwebung der Vorstellungen ihren Sitz haben. Aus<lb/>
ihnen also kömmt ein häufiges, gleichartig sich wieder-<lb/>
hohlendes Begehren; welchem gemäſs die übrigen Vor-<lb/>
stellungen sich stets auf ähnliche Weise fügen und schik-<lb/>
ken. Nimmt man hiezu die Wiedererweckung der ähnli-<lb/>
chen Vorstellungen, und ihre Verschmelzung: so sieht<lb/>
man wohl, wie nach und nach ein Wollen entstehe, bey<lb/>
welchem die Umstände des Zeitmoments im einzelnen<lb/>
Fall, oder die Bestimmungen eines einzelnen Gegenstan-<lb/>
des, sich beynahe aus dem Bewuſstseyn verlieren neben<lb/>
dem Gleichartigen aller der Fälle, in denen die Leiden-<lb/>
schaft wirkte und sich befriedigte. Der Zustand des<lb/>
durch diese Leidenschaft aufgeregten Gemüths gleicht<lb/>
also dem Denken eines rohen allgemeinen Begriffs in<lb/><hirendition="#g">dem</hi> Puncte, daſs auch hier eine Totalkraft vorhanden<lb/>
ist, in welcher verworrener Weise viel Ungleichartiges<lb/>
verschmolzen liegt, das von dem Gleichartigen groſsen-<lb/>
theils erstickt wird. Der Mensch, der bekannt, daſs er<lb/>
die Karten liebe, drückt hiemit auf einmal alle die ver-<lb/>
schmolzenen Strebungen aus, die er zu verschiedenen<lb/>
Zeiten, spielend mit verschiedenen Personen, vielleicht<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[411/0446]
Eben so flüchtig sind die Affecten; (§. 106.) und
daher eben so untauglich, Maximen zu stiften; wiewohl
sie sehr füglich die Gegenstände werden können, wor-
über in praktischen Grundsätzen etwas angeordnet wird.
Dann liegt aber das thätige Princip der Maximen in hö-
hern, appercipirenden Vorstellungsmassen, die wir im
§. 126. u. f. beschrieben haben.
Es bleiben noch die Leidenschaften, die Gefühle des
Angenehmen und Unangenehmen im strengen Sinn, (de-
nen man die Lustgefühle des §. 87. in dem Falle zu-
gesellen muſs, wenn die Bedingungen derselben auf be-
harrliche Weise an den Objecten haften,) und die ästhe-
tischen Urtheile. Jede dieser Arten des Vorziehens und
Verwerfens ergiebt wirklich Maximen.
Zuvörderst die Leidenschaften. Sie sind nach §. 107.
bleibende Dispositionen zu Begierden, die in der ganzen
Verwebung der Vorstellungen ihren Sitz haben. Aus
ihnen also kömmt ein häufiges, gleichartig sich wieder-
hohlendes Begehren; welchem gemäſs die übrigen Vor-
stellungen sich stets auf ähnliche Weise fügen und schik-
ken. Nimmt man hiezu die Wiedererweckung der ähnli-
chen Vorstellungen, und ihre Verschmelzung: so sieht
man wohl, wie nach und nach ein Wollen entstehe, bey
welchem die Umstände des Zeitmoments im einzelnen
Fall, oder die Bestimmungen eines einzelnen Gegenstan-
des, sich beynahe aus dem Bewuſstseyn verlieren neben
dem Gleichartigen aller der Fälle, in denen die Leiden-
schaft wirkte und sich befriedigte. Der Zustand des
durch diese Leidenschaft aufgeregten Gemüths gleicht
also dem Denken eines rohen allgemeinen Begriffs in
dem Puncte, daſs auch hier eine Totalkraft vorhanden
ist, in welcher verworrener Weise viel Ungleichartiges
verschmolzen liegt, das von dem Gleichartigen groſsen-
theils erstickt wird. Der Mensch, der bekannt, daſs er
die Karten liebe, drückt hiemit auf einmal alle die ver-
schmolzenen Strebungen aus, die er zu verschiedenen
Zeiten, spielend mit verschiedenen Personen, vielleicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/446>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.