der Verdruss, oder die Unzufriedenheit; und hiedurch scheint er ein solches, mit dem Gefühle der Unlust verbundenes, Streben der Vorstellungen anzudeuten, wie wir im §. 104. beschrieben haben. Also liegt darin die schon bekannte Bemerkung, dass bey weitem der klei- nere Theil unseres Begehrens von den Gefühlen des An- genehmen und Unangenehmen (die von denen der Lust und Unlust schon oben unterschieden wurden,) abhänge. Dennoch ist dieser kleinere Theil vorhanden, und sehr wichtig; ja das Räthsel liegt gerade in dem Verlangen, von welchem Locke, noch etwas zu allgemein, zuge- steht, dass es mit jedem Gefühl jener Art verbunden sey.
Das eigentlich Dunkle jedoch hat seinen Sitz ur- sprünglich in der Natur des Angenehmen und Unange- nehmen selbst. Wir können dieses eben nur fühlen, nicht aber es zersetzen in Begriffe, noch durch die letz- teren es mit Sicherheit nachconstruiren. Darum entzieht sich uns auch der Anfang und Ursprung derjenigen Be- wegung des Gemüths, die wir als ein Verlangen nach dem Angenehmen, als ein Wegwünschen des Unange- nehmen, aus der Erfahrung kennen.
Nur aus Untersuchungen über gewisse ästhetische Urtheile habe ich die wahrscheinliche Hypothese geschöpft, das Angenehme und Unangenehme beruhe auf der Ver- schmelzung sehr vieler Vorstellungen, die sich einzeln nicht angeben lassen. Wäre es möglich sie anzugeben, so würde sich das Angenehme in das Schöne, das Un- angenehme in das Hässliche verwandeln. Soviel nämlich lässt sich mit Sicherheit behaupten, dass Schönes und Hässliches lediglich in Verhältnissen bestehe, dass es folglich in der Zusammenfassung der Verhältnissglieder, also durch die Verschmelzung der Vorstellungen von die- sen Gliedern vernommen werde.
Diese Erklärung des Angenehmen und Unangeneh- men wird vielleicht scheinen dasselbe dem Aesthetischen gar zu nahe zu rücken. Allein wir betrachten hier bey- des in psychologischer Hinsicht; und da lehrt die Erfah-
der Verdruſs, oder die Unzufriedenheit; und hiedurch scheint er ein solches, mit dem Gefühle der Unlust verbundenes, Streben der Vorstellungen anzudeuten, wie wir im §. 104. beschrieben haben. Also liegt darin die schon bekannte Bemerkung, daſs bey weitem der klei- nere Theil unseres Begehrens von den Gefühlen des An- genehmen und Unangenehmen (die von denen der Lust und Unlust schon oben unterschieden wurden,) abhänge. Dennoch ist dieser kleinere Theil vorhanden, und sehr wichtig; ja das Räthsel liegt gerade in dem Verlangen, von welchem Locke, noch etwas zu allgemein, zuge- steht, daſs es mit jedem Gefühl jener Art verbunden sey.
Das eigentlich Dunkle jedoch hat seinen Sitz ur- sprünglich in der Natur des Angenehmen und Unange- nehmen selbst. Wir können dieses eben nur fühlen, nicht aber es zersetzen in Begriffe, noch durch die letz- teren es mit Sicherheit nachconstruiren. Darum entzieht sich uns auch der Anfang und Ursprung derjenigen Be- wegung des Gemüths, die wir als ein Verlangen nach dem Angenehmen, als ein Wegwünschen des Unange- nehmen, aus der Erfahrung kennen.
Nur aus Untersuchungen über gewisse ästhetische Urtheile habe ich die wahrscheinliche Hypothese geschöpft, das Angenehme und Unangenehme beruhe auf der Ver- schmelzung sehr vieler Vorstellungen, die sich einzeln nicht angeben lassen. Wäre es möglich sie anzugeben, so würde sich das Angenehme in das Schöne, das Un- angenehme in das Häſsliche verwandeln. Soviel nämlich läſst sich mit Sicherheit behaupten, daſs Schönes und Häſsliches lediglich in Verhältnissen bestehe, daſs es folglich in der Zusammenfassung der Verhältniſsglieder, also durch die Verschmelzung der Vorstellungen von die- sen Gliedern vernommen werde.
Diese Erklärung des Angenehmen und Unangeneh- men wird vielleicht scheinen dasselbe dem Aesthetischen gar zu nahe zu rücken. Allein wir betrachten hier bey- des in psychologischer Hinsicht; und da lehrt die Erfah-
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der Verdruſs, oder die Unzufriedenheit; und hiedurch
scheint er ein solches, mit dem Gefühle der Unlust
verbundenes, Streben der Vorstellungen anzudeuten, wie
wir im §. 104. beschrieben haben. Also liegt darin die
schon bekannte Bemerkung, daſs bey weitem der klei-
nere Theil unseres Begehrens von den Gefühlen des An-
genehmen und Unangenehmen (die von denen der Lust
und Unlust schon oben unterschieden wurden,) abhänge.
Dennoch ist dieser kleinere Theil vorhanden, und sehr
wichtig; ja das Räthsel liegt gerade in dem Verlangen,
von welchem Locke, noch etwas zu allgemein, zuge-
steht, daſs es mit jedem Gefühl jener Art verbunden sey.
Das eigentlich Dunkle jedoch hat seinen Sitz ur-
sprünglich in der Natur des Angenehmen und Unange-
nehmen selbst. Wir können dieses eben nur fühlen,
nicht aber es zersetzen in Begriffe, noch durch die letz-
teren es mit Sicherheit nachconstruiren. Darum entzieht
sich uns auch der Anfang und Ursprung derjenigen Be-
wegung des Gemüths, die wir als ein Verlangen nach
dem Angenehmen, als ein Wegwünschen des Unange-
nehmen, aus der Erfahrung kennen.
Nur aus Untersuchungen über gewisse ästhetische
Urtheile habe ich die wahrscheinliche Hypothese geschöpft,
das Angenehme und Unangenehme beruhe auf der Ver-
schmelzung sehr vieler Vorstellungen, die sich einzeln
nicht angeben lassen. Wäre es möglich sie anzugeben,
so würde sich das Angenehme in das Schöne, das Un-
angenehme in das Häſsliche verwandeln. Soviel nämlich
läſst sich mit Sicherheit behaupten, daſs Schönes und
Häſsliches lediglich in Verhältnissen bestehe, daſs es
folglich in der Zusammenfassung der Verhältniſsglieder,
also durch die Verschmelzung der Vorstellungen von die-
sen Gliedern vernommen werde.
Diese Erklärung des Angenehmen und Unangeneh-
men wird vielleicht scheinen dasselbe dem Aesthetischen
gar zu nahe zu rücken. Allein wir betrachten hier bey-
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/448>, abgerufen am 22.11.2024.
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