ruhigen können, (worüber Herr von Haller klagt,) son- dern der noch viel weiter reichenden Unbegreiflichkeit, wie man, mit und ohne Logik, eine Metaphysik Jahrtausende lang hat suchen können, ohne auch nur den ersten, einzig nothwendigen Schritt zu thun, durch welchen man sich ihr hätte nähern können.
Indessen findet sich doch ein sehr wichtiger Unter- schied zwischen dem Begriffe des Staats, und den me- taphysischen Begriffen. Der Staat ist ein unendlich wich- tiger praktischer Gegenstand; er ist von den grössten, rechtschaffensten, würdigsten und klügsten Männern nicht bloss besprochen, sondern auch behandelt worden; und zwar bey den verschiedensten Verfassungen, in ruhigen sowohl als in unruhigen Zeiten. Die Ansichten dieser Männer waren freylich höchst verschieden; aber wie un- zulänglich auch ihre Theorieen im Allgemeinen seyn mochten, in der Praxis konnten sie nicht dasjenige, wor- auf die ganze Möglichkeit des Staats überhaupt beruht, verfehlen; sie müssen es im Einzelnen erkannt haben, wenn sie es auch nicht mit wissenschaftlicher Genauig- keit ausgesprochen haben.
Fragt man den gemeinen, verständigen Bürger, warum er nicht den Wahnwitz des Caligula, nicht die Grau- samkeit des Nero, -- und überhaupt keinen orientali- schen Despotismus fürchte; so wird er antworten: "das "kommt bey uns nicht vor! Es ist nicht Sitte. Es fällt "dem Fürsten nicht ein; oder setzen wir den äussersten "Fall, es fiele ihm, wie ein böser Traum, so etwas ein, "so würde er sich dennoch enthalten, die Nation in Ver- "suchung zu führen."
Und fragt man den grossen, vom Herrn von Hal- ler so hart angeklagten, Montesquieu, wie denn seine vertheilten Gewalten zusammen wirken sollen: so antwor- tet er in dem berühmten Capitel von der englischen Verfassung *), Ces trois puissances devroient former un
*)Esprit des loix, liv. XI., chap. VI., gegen das Ende.
ruhigen können, (worüber Herr von Haller klagt,) son- dern der noch viel weiter reichenden Unbegreiflichkeit, wie man, mit und ohne Logik, eine Metaphysik Jahrtausende lang hat suchen können, ohne auch nur den ersten, einzig nothwendigen Schritt zu thun, durch welchen man sich ihr hätte nähern können.
Indessen findet sich doch ein sehr wichtiger Unter- schied zwischen dem Begriffe des Staats, und den me- taphysischen Begriffen. Der Staat ist ein unendlich wich- tiger praktischer Gegenstand; er ist von den gröſsten, rechtschaffensten, würdigsten und klügsten Männern nicht bloſs besprochen, sondern auch behandelt worden; und zwar bey den verschiedensten Verfassungen, in ruhigen sowohl als in unruhigen Zeiten. Die Ansichten dieser Männer waren freylich höchst verschieden; aber wie un- zulänglich auch ihre Theorieen im Allgemeinen seyn mochten, in der Praxis konnten sie nicht dasjenige, wor- auf die ganze Möglichkeit des Staats überhaupt beruht, verfehlen; sie müssen es im Einzelnen erkannt haben, wenn sie es auch nicht mit wissenschaftlicher Genauig- keit ausgesprochen haben.
Fragt man den gemeinen, verständigen Bürger, warum er nicht den Wahnwitz des Caligula, nicht die Grau- samkeit des Nero, — und überhaupt keinen orientali- schen Despotismus fürchte; so wird er antworten: „das „kommt bey uns nicht vor! Es ist nicht Sitte. Es fällt „dem Fürsten nicht ein; oder setzen wir den äuſsersten „Fall, es fiele ihm, wie ein böser Traum, so etwas ein, „so würde er sich dennoch enthalten, die Nation in Ver- „suchung zu führen.“
Und fragt man den groſsen, vom Herrn von Hal- ler so hart angeklagten, Montesquieu, wie denn seine vertheilten Gewalten zusammen wirken sollen: so antwor- tet er in dem berühmten Capitel von der englischen Verfassung *), Ces trois puissances devroient former un
*)Esprit des loix, liv. XI., chap. VI., gegen das Ende.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0048"n="13"/>
ruhigen können, (worüber Herr von <hirendition="#g">Haller</hi> klagt,) son-<lb/>
dern der noch viel weiter reichenden Unbegreiflichkeit,<lb/>
wie man, <hirendition="#g">mit</hi> und <hirendition="#g">ohne</hi> Logik, eine <hirendition="#g">Metaphysik</hi><lb/>
Jahrtausende lang hat suchen können, ohne auch nur<lb/>
den ersten, einzig nothwendigen Schritt zu thun, durch<lb/>
welchen man sich ihr hätte nähern können.</p><lb/><p>Indessen findet sich doch ein sehr wichtiger Unter-<lb/>
schied zwischen dem Begriffe des Staats, und den me-<lb/>
taphysischen Begriffen. Der Staat ist ein unendlich wich-<lb/>
tiger praktischer Gegenstand; er ist von den gröſsten,<lb/>
rechtschaffensten, würdigsten und klügsten Männern nicht<lb/>
bloſs besprochen, sondern auch behandelt worden; und<lb/>
zwar bey den verschiedensten Verfassungen, in ruhigen<lb/>
sowohl als in unruhigen Zeiten. Die Ansichten dieser<lb/>
Männer waren freylich höchst verschieden; aber wie un-<lb/>
zulänglich auch ihre Theorieen im Allgemeinen seyn<lb/>
mochten, in der Praxis konnten sie nicht dasjenige, wor-<lb/>
auf die ganze Möglichkeit des Staats überhaupt beruht,<lb/>
verfehlen; sie müssen es im Einzelnen erkannt haben,<lb/>
wenn sie es auch nicht mit wissenschaftlicher Genauig-<lb/>
keit ausgesprochen haben.</p><lb/><p>Fragt man den gemeinen, verständigen Bürger, warum<lb/>
er nicht den Wahnwitz des Caligula, nicht die Grau-<lb/>
samkeit des Nero, — und überhaupt keinen orientali-<lb/>
schen Despotismus fürchte; so wird er antworten: „das<lb/>„kommt bey uns nicht vor! Es ist nicht Sitte. Es fällt<lb/>„dem Fürsten nicht ein; oder setzen wir den äuſsersten<lb/>„Fall, es fiele ihm, wie ein böser Traum, so etwas ein,<lb/>„so würde er sich dennoch enthalten, die Nation in Ver-<lb/>„suchung zu führen.“</p><lb/><p>Und fragt man den groſsen, vom Herrn von <hirendition="#g">Hal-<lb/>
ler</hi> so hart angeklagten, Montesquieu, wie denn seine<lb/>
vertheilten Gewalten zusammen wirken sollen: so antwor-<lb/>
tet er in dem berühmten Capitel von der englischen<lb/>
Verfassung <noteplace="foot"n="*)"><hirendition="#i">Esprit des loix, liv. XI., chap. VI.</hi>, gegen das Ende.</note>, <hirendition="#i">Ces trois puissances devroient former un<lb/></hi></p></div></body></text></TEI>
[13/0048]
ruhigen können, (worüber Herr von Haller klagt,) son-
dern der noch viel weiter reichenden Unbegreiflichkeit,
wie man, mit und ohne Logik, eine Metaphysik
Jahrtausende lang hat suchen können, ohne auch nur
den ersten, einzig nothwendigen Schritt zu thun, durch
welchen man sich ihr hätte nähern können.
Indessen findet sich doch ein sehr wichtiger Unter-
schied zwischen dem Begriffe des Staats, und den me-
taphysischen Begriffen. Der Staat ist ein unendlich wich-
tiger praktischer Gegenstand; er ist von den gröſsten,
rechtschaffensten, würdigsten und klügsten Männern nicht
bloſs besprochen, sondern auch behandelt worden; und
zwar bey den verschiedensten Verfassungen, in ruhigen
sowohl als in unruhigen Zeiten. Die Ansichten dieser
Männer waren freylich höchst verschieden; aber wie un-
zulänglich auch ihre Theorieen im Allgemeinen seyn
mochten, in der Praxis konnten sie nicht dasjenige, wor-
auf die ganze Möglichkeit des Staats überhaupt beruht,
verfehlen; sie müssen es im Einzelnen erkannt haben,
wenn sie es auch nicht mit wissenschaftlicher Genauig-
keit ausgesprochen haben.
Fragt man den gemeinen, verständigen Bürger, warum
er nicht den Wahnwitz des Caligula, nicht die Grau-
samkeit des Nero, — und überhaupt keinen orientali-
schen Despotismus fürchte; so wird er antworten: „das
„kommt bey uns nicht vor! Es ist nicht Sitte. Es fällt
„dem Fürsten nicht ein; oder setzen wir den äuſsersten
„Fall, es fiele ihm, wie ein böser Traum, so etwas ein,
„so würde er sich dennoch enthalten, die Nation in Ver-
„suchung zu führen.“
Und fragt man den groſsen, vom Herrn von Hal-
ler so hart angeklagten, Montesquieu, wie denn seine
vertheilten Gewalten zusammen wirken sollen: so antwor-
tet er in dem berühmten Capitel von der englischen
Verfassung *), Ces trois puissances devroient former un
*) Esprit des loix, liv. XI., chap. VI., gegen das Ende.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/48>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.