Auflösungsmittels und des auflösbaren Körpers. Was Wunder also, wenn ein Muskel zuckt, weil die innern Zustände seiner Theile geändert sind durch die innern Zustände in dem Nerven, und diese durch einen innern Zustand der Seele?
Der zweyte Fall ist gewissermaassen noch einfacher als der eben beleuchtete. Vom Lichte wird der Sehenerv, von Salzen der Geschmacksnerv, u. s. w. in neue innere Zustände versetzt. Der Bewegungen bedürfen wir hier gar nicht, denn die vorgeblichen Schwingungen der Nerven können nicht nachgewiesen werden, und sind bey der ge- ringen Anspannung der Nervenfäden, und wegen ihrer weichen Umgebungen, eben so unwahrscheinlich, als der Nervensaft es nur immer seyn kann. Und was folgt denn aus diesen Affectionen der Sinnesnerven? Das allerna- türlichste von der Welt; ein innerer Zustand der Seele, eine Vorstellung. Hier ist gar nichts Heterogenes in der Ursache und dem Bewirkten, denn hier mischt der Raum sich weiter nicht ein, als in so fern die räumliche Aus- dehnung des Nervenfadens in Betracht kommt, wovon schon vorhin die Rede war.
Nachdem solchergestalt die Verbindung zwischen Leib und Seele im Allgemeinen erklärt ist: muss die Frage vom Sitze der Seele berührt werden, über die man sich neuerlich weit hinaus geschwungen hat, jedoch nur auf den Fittichen grosser Irrthümer. Es hat zwar seine Richtigkeit, dass der Seele selbst, als einem einfa- chen Wesen, gar keine räumliche Prädicate können bey- gelegt werden. Aber dasselbe gilt in demselben Grade von allen den einfachen Wesen, welche den Leib, ja welche jeden beliebigen Klumpen Materie constituiren. Der Klumpen als solcher ist nur in so fern real, wiefern er eine bestimmte Menge und Zusammenordnung von Wesen enthält, die im Causalverhältnisse zu einander stehn. Daher man denn auch noch nie einen Klumpen wird gesehn haben, der bloss realisirter Raum wäre, ohne andre Kraftäusserungen, mindestens von Cohäsion
Auflösungsmittels und des auflösbaren Körpers. Was Wunder also, wenn ein Muskel zuckt, weil die innern Zustände seiner Theile geändert sind durch die innern Zustände in dem Nerven, und diese durch einen innern Zustand der Seele?
Der zweyte Fall ist gewissermaaſsen noch einfacher als der eben beleuchtete. Vom Lichte wird der Sehenerv, von Salzen der Geschmacksnerv, u. s. w. in neue innere Zustände versetzt. Der Bewegungen bedürfen wir hier gar nicht, denn die vorgeblichen Schwingungen der Nerven können nicht nachgewiesen werden, und sind bey der ge- ringen Anspannung der Nervenfäden, und wegen ihrer weichen Umgebungen, eben so unwahrscheinlich, als der Nervensaft es nur immer seyn kann. Und was folgt denn aus diesen Affectionen der Sinnesnerven? Das allerna- türlichste von der Welt; ein innerer Zustand der Seele, eine Vorstellung. Hier ist gar nichts Heterogenes in der Ursache und dem Bewirkten, denn hier mischt der Raum sich weiter nicht ein, als in so fern die räumliche Aus- dehnung des Nervenfadens in Betracht kommt, wovon schon vorhin die Rede war.
Nachdem solchergestalt die Verbindung zwischen Leib und Seele im Allgemeinen erklärt ist: muſs die Frage vom Sitze der Seele berührt werden, über die man sich neuerlich weit hinaus geschwungen hat, jedoch nur auf den Fittichen groſser Irrthümer. Es hat zwar seine Richtigkeit, daſs der Seele selbst, als einem einfa- chen Wesen, gar keine räumliche Prädicate können bey- gelegt werden. Aber dasselbe gilt in demselben Grade von allen den einfachen Wesen, welche den Leib, ja welche jeden beliebigen Klumpen Materie constituiren. Der Klumpen als solcher ist nur in so fern real, wiefern er eine bestimmte Menge und Zusammenordnung von Wesen enthält, die im Causalverhältnisse zu einander stehn. Daher man denn auch noch nie einen Klumpen wird gesehn haben, der bloſs realisirter Raum wäre, ohne andre Kraftäuſserungen, mindestens von Cohäsion
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Auflösungsmittels und des auflösbaren Körpers. Was
Wunder also, wenn ein Muskel zuckt, weil die innern
Zustände seiner Theile geändert sind durch die innern
Zustände in dem Nerven, und diese durch einen innern
Zustand der Seele?
Der zweyte Fall ist gewissermaaſsen noch einfacher
als der eben beleuchtete. Vom Lichte wird der Sehenerv,
von Salzen der Geschmacksnerv, u. s. w. in neue innere
Zustände versetzt. Der Bewegungen bedürfen wir hier gar
nicht, denn die vorgeblichen Schwingungen der Nerven
können nicht nachgewiesen werden, und sind bey der ge-
ringen Anspannung der Nervenfäden, und wegen ihrer
weichen Umgebungen, eben so unwahrscheinlich, als der
Nervensaft es nur immer seyn kann. Und was folgt denn
aus diesen Affectionen der Sinnesnerven? Das allerna-
türlichste von der Welt; ein innerer Zustand der Seele,
eine Vorstellung. Hier ist gar nichts Heterogenes in der
Ursache und dem Bewirkten, denn hier mischt der Raum
sich weiter nicht ein, als in so fern die räumliche Aus-
dehnung des Nervenfadens in Betracht kommt, wovon
schon vorhin die Rede war.
Nachdem solchergestalt die Verbindung zwischen
Leib und Seele im Allgemeinen erklärt ist: muſs die
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man sich neuerlich weit hinaus geschwungen hat, jedoch
nur auf den Fittichen groſser Irrthümer. Es hat zwar
seine Richtigkeit, daſs der Seele selbst, als einem einfa-
chen Wesen, gar keine räumliche Prädicate können bey-
gelegt werden. Aber dasselbe gilt in demselben Grade
von allen den einfachen Wesen, welche den Leib, ja
welche jeden beliebigen Klumpen Materie constituiren.
Der Klumpen als solcher ist nur in so fern real, wiefern
er eine bestimmte Menge und Zusammenordnung von
Wesen enthält, die im Causalverhältnisse zu einander
stehn. Daher man denn auch noch nie einen Klumpen
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/495>, abgerufen am 22.11.2024.
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