oder Repulsion der Theile. -- Gerade nun auf die näm- liche Weise, wie die, völlig unausgedehnten, völlig un- räumlichen Wesen, für welche, wenn man jedes einzeln betrachtet, nicht einmal die Frage: Wo es sey? einen Sinn hat, -- gerade wie diese Wesen, aus denen die Materie besteht, zusammengenommen räumliche Ganze, Körper, bilden: nicht anders gebührt auch der Seele, die- sem ebenfalls dem Raume völlig fremdartigen Wesen, dennoch, so fern sie mit dem Leibe in einem vesten Causalverhältnisse steht, eine bestimmte Stelle, minde- stens eine bestimmte Gegend in dem Leibe, wo sie sich befinde; und dieses Wo ist für die Seele genau in dem nämlichen Sinne zu nehmen, wie für jedes Element der Materie.
Obgleich nun der Raum, den ein einfaches Wesen einnimmt, nur ein mathematischer Punct seyn kann, so dürfte dennoch die Frage nach dem Sitze der Seele in so fern vergeblich ausfallen, als man den Punct im Ge- hirn würde bestimmen wollen, wo die Seele ihre blei- bende Stelle hätte. Denn das Causalverhältniss zwischen Leib und Seele kann entweder ganz, oder doch grössten- theils unverändert bleiben, wenn schon der Seele eine (ihr freylich gänzlich unbewusste) Beweglichkeit zugeschrieben wird; indem ihr innerer Zustand nicht von denjenigen Elementen allein abhängt, von welchen sie in jedem Au- genblicke zunächst umgeben ist, sondern auf eine sich gleichbleibende Weise von dem ganzen System, dessen einfache Bestandtheile einander ihre innern Zustände ge- genseitig bestimmen. Wahrscheinlich hat die Seele keine bleibende Stelle; sonst würde den Physiologen ein aus- gezeichneter Mittelpunct im Gehirn aufgefallen seyn, wo- hin alles zusammenlaufe. Aber die ganze mittlere Ge- gend, in welcher längst das sensorium commune ist ge- sucht worden, kann der Seele ihren Aufenthalt darbieten. Mag also dieselbe sich auf, oder vielmehr in der Brücke des Varols hin und her bewegen; nur dass man zu dieser Bewegung nicht etwan einen Kanal suche, denn
oder Repulsion der Theile. — Gerade nun auf die näm- liche Weise, wie die, völlig unausgedehnten, völlig un- räumlichen Wesen, für welche, wenn man jedes einzeln betrachtet, nicht einmal die Frage: Wo es sey? einen Sinn hat, — gerade wie diese Wesen, aus denen die Materie besteht, zusammengenommen räumliche Ganze, Körper, bilden: nicht anders gebührt auch der Seele, die- sem ebenfalls dem Raume völlig fremdartigen Wesen, dennoch, so fern sie mit dem Leibe in einem vesten Causalverhältnisse steht, eine bestimmte Stelle, minde- stens eine bestimmte Gegend in dem Leibe, wo sie sich befinde; und dieses Wo ist für die Seele genau in dem nämlichen Sinne zu nehmen, wie für jedes Element der Materie.
Obgleich nun der Raum, den ein einfaches Wesen einnimmt, nur ein mathematischer Punct seyn kann, so dürfte dennoch die Frage nach dem Sitze der Seele in so fern vergeblich ausfallen, als man den Punct im Ge- hirn würde bestimmen wollen, wo die Seele ihre blei- bende Stelle hätte. Denn das Causalverhältniſs zwischen Leib und Seele kann entweder ganz, oder doch gröſsten- theils unverändert bleiben, wenn schon der Seele eine (ihr freylich gänzlich unbewuſste) Beweglichkeit zugeschrieben wird; indem ihr innerer Zustand nicht von denjenigen Elementen allein abhängt, von welchen sie in jedem Au- genblicke zunächst umgeben ist, sondern auf eine sich gleichbleibende Weise von dem ganzen System, dessen einfache Bestandtheile einander ihre innern Zustände ge- genseitig bestimmen. Wahrscheinlich hat die Seele keine bleibende Stelle; sonst würde den Physiologen ein aus- gezeichneter Mittelpunct im Gehirn aufgefallen seyn, wo- hin alles zusammenlaufe. Aber die ganze mittlere Ge- gend, in welcher längst das sensorium commune ist ge- sucht worden, kann der Seele ihren Aufenthalt darbieten. Mag also dieselbe sich auf, oder vielmehr in der Brücke des Varols hin und her bewegen; nur daſs man zu dieser Bewegung nicht etwan einen Kanal suche, denn
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oder Repulsion der Theile. — Gerade nun auf die näm-
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räumlichen Wesen, für welche, wenn man jedes einzeln
betrachtet, nicht einmal die Frage: Wo es sey? einen
Sinn hat, — gerade wie diese Wesen, aus denen die
Materie besteht, zusammengenommen räumliche Ganze,
Körper, bilden: nicht anders gebührt auch der Seele, die-
sem ebenfalls dem Raume völlig fremdartigen Wesen,
dennoch, so fern sie mit dem Leibe in einem vesten
Causalverhältnisse steht, eine bestimmte Stelle, minde-
stens eine bestimmte Gegend in dem Leibe, wo sie sich
befinde; und dieses Wo ist für die Seele genau in dem
nämlichen Sinne zu nehmen, wie für jedes Element der
Materie.
Obgleich nun der Raum, den ein einfaches Wesen
einnimmt, nur ein mathematischer Punct seyn kann, so
dürfte dennoch die Frage nach dem Sitze der Seele in
so fern vergeblich ausfallen, als man den Punct im Ge-
hirn würde bestimmen wollen, wo die Seele ihre blei-
bende Stelle hätte. Denn das Causalverhältniſs zwischen
Leib und Seele kann entweder ganz, oder doch gröſsten-
theils unverändert bleiben, wenn schon der Seele eine (ihr
freylich gänzlich unbewuſste) Beweglichkeit zugeschrieben
wird; indem ihr innerer Zustand nicht von denjenigen
Elementen allein abhängt, von welchen sie in jedem Au-
genblicke zunächst umgeben ist, sondern auf eine sich
gleichbleibende Weise von dem ganzen System, dessen
einfache Bestandtheile einander ihre innern Zustände ge-
genseitig bestimmen. Wahrscheinlich hat die Seele keine
bleibende Stelle; sonst würde den Physiologen ein aus-
gezeichneter Mittelpunct im Gehirn aufgefallen seyn, wo-
hin alles zusammenlaufe. Aber die ganze mittlere Ge-
gend, in welcher längst das sensorium commune ist ge-
sucht worden, kann der Seele ihren Aufenthalt darbieten.
Mag also dieselbe sich auf, oder vielmehr in der Brücke
des Varols hin und her bewegen; nur daſs man zu
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/496>, abgerufen am 22.11.2024.
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