der umgekehrten. Oben auf liegen würde das, was zu- letzt hineingelegt war; und wollten wir nicht Alles durch einander werfen, und es mannigfaltiger Beschädigung aussetzen, so müssten wir das, was beym Einpacken sei- nen Platz am Boden gefunden hatte, nicht zuerst her- ausreissen, sondern zuletzt herausnehmen.
Die Erfahrung zeigt den Menschen in zeitlicher Ent- wickelung begriffen. Als reife Männer beobachten wir uns zum Behuf der Psychologie; aber für diejenigen Zu- stände, in welchen wir als kleine Kinder die ersten räum- lichen und zeitlichen Sinnes-Anschauungen bildeten, die Muttersprache uns aneigneten, uns selbst von den Din- gen unterschieden, die Begriffe von Ursachen und Wir- kungen in uns erzeugten, u. s. w. haben wir die Erinne- rung völlig verloren. Und doch beginnen die empiri- schen Psychologien von dem, in Hinsicht dessen für Jeden die einzig ächte, nämlich seine eigne unmittelbare Erfahrung, unwiederbringlich entflohen ist! Die Sinn- lichkeit, meint man, sey das gemeinste, darum das leichteste!
Freylich jetzt und hier, da wir die Grundlinien der Statik und Mechanik des Geistes schon haben, ist es auch richtig, von dem auszugehn, was sich zuerst durch den psychologischen Mechanismus bildet; und so werden wir tiefer unten wirklich verfahren. Aber wo hätten Die- jenigen anfangen sollen, die nun einmal das undankbare Geschäft, mathematische Gegenstände ohne mathemati- sches Auge zu betrachten, über sich nahmen? Unstreitig da, wo die hellste Gegend der Erfahrung ist; da, wo die Dichter sich am freyesten bewegen; mitten im Leben, worin der Mann sich mit seines Gleichen vereinigt findet; und bey den obersten der sogenannten Seelenvermögen am liebsten; denn was man ihnen zuschreibt, das ist das Neueste, was entstand; und im Kasten liegt es oben auf.
Auch von Vernunft und Verstand ist zwar genug geredet worden; aber es ist nicht überflüssig, auch hier noch davon zu reden. Der Weg muss gezeigt werden,
der umgekehrten. Oben auf liegen würde das, was zu- letzt hineingelegt war; und wollten wir nicht Alles durch einander werfen, und es mannigfaltiger Beschädigung aussetzen, so müſsten wir das, was beym Einpacken sei- nen Platz am Boden gefunden hatte, nicht zuerst her- ausreiſsen, sondern zuletzt herausnehmen.
Die Erfahrung zeigt den Menschen in zeitlicher Ent- wickelung begriffen. Als reife Männer beobachten wir uns zum Behuf der Psychologie; aber für diejenigen Zu- stände, in welchen wir als kleine Kinder die ersten räum- lichen und zeitlichen Sinnes-Anschauungen bildeten, die Muttersprache uns aneigneten, uns selbst von den Din- gen unterschieden, die Begriffe von Ursachen und Wir- kungen in uns erzeugten, u. s. w. haben wir die Erinne- rung völlig verloren. Und doch beginnen die empiri- schen Psychologien von dem, in Hinsicht dessen für Jeden die einzig ächte, nämlich seine eigne unmittelbare Erfahrung, unwiederbringlich entflohen ist! Die Sinn- lichkeit, meint man, sey das gemeinste, darum das leichteste!
Freylich jetzt und hier, da wir die Grundlinien der Statik und Mechanik des Geistes schon haben, ist es auch richtig, von dem auszugehn, was sich zuerst durch den psychologischen Mechanismus bildet; und so werden wir tiefer unten wirklich verfahren. Aber wo hätten Die- jenigen anfangen sollen, die nun einmal das undankbare Geschäft, mathematische Gegenstände ohne mathemati- sches Auge zu betrachten, über sich nahmen? Unstreitig da, wo die hellste Gegend der Erfahrung ist; da, wo die Dichter sich am freyesten bewegen; mitten im Leben, worin der Mann sich mit seines Gleichen vereinigt findet; und bey den obersten der sogenannten Seelenvermögen am liebsten; denn was man ihnen zuschreibt, das ist das Neueste, was entstand; und im Kasten liegt es oben auf.
Auch von Vernunft und Verstand ist zwar genug geredet worden; aber es ist nicht überflüssig, auch hier noch davon zu reden. Der Weg muſs gezeigt werden,
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der umgekehrten. Oben auf liegen würde das, was zu-
letzt hineingelegt war; und wollten wir nicht Alles durch
einander werfen, und es mannigfaltiger Beschädigung
aussetzen, so müſsten wir das, was beym Einpacken sei-
nen Platz am Boden gefunden hatte, nicht zuerst her-
ausreiſsen, sondern zuletzt herausnehmen.
Die Erfahrung zeigt den Menschen in zeitlicher Ent-
wickelung begriffen. Als reife Männer beobachten wir
uns zum Behuf der Psychologie; aber für diejenigen Zu-
stände, in welchen wir als kleine Kinder die ersten räum-
lichen und zeitlichen Sinnes-Anschauungen bildeten, die
Muttersprache uns aneigneten, uns selbst von den Din-
gen unterschieden, die Begriffe von Ursachen und Wir-
kungen in uns erzeugten, u. s. w. haben wir die Erinne-
rung völlig verloren. Und doch beginnen die empiri-
schen Psychologien von dem, in Hinsicht dessen für
Jeden die einzig ächte, nämlich seine eigne unmittelbare
Erfahrung, unwiederbringlich entflohen ist! Die Sinn-
lichkeit, meint man, sey das gemeinste, darum das
leichteste!
Freylich jetzt und hier, da wir die Grundlinien der
Statik und Mechanik des Geistes schon haben, ist es
auch richtig, von dem auszugehn, was sich zuerst durch
den psychologischen Mechanismus bildet; und so werden
wir tiefer unten wirklich verfahren. Aber wo hätten Die-
jenigen anfangen sollen, die nun einmal das undankbare
Geschäft, mathematische Gegenstände ohne mathemati-
sches Auge zu betrachten, über sich nahmen? Unstreitig
da, wo die hellste Gegend der Erfahrung ist; da, wo die
Dichter sich am freyesten bewegen; mitten im Leben,
worin der Mann sich mit seines Gleichen vereinigt findet;
und bey den obersten der sogenannten Seelenvermögen
am liebsten; denn was man ihnen zuschreibt, das ist das
Neueste, was entstand; und im Kasten liegt es oben auf.
Auch von Vernunft und Verstand ist zwar genug
geredet worden; aber es ist nicht überflüssig, auch hier
noch davon zu reden. Der Weg muſs gezeigt werden,
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/72>, abgerufen am 16.02.2025.
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