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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Pflanzen auf allen den unzähligen Bildungs-
stufen derselben
vorgeht. Ja! kennten wir dieses
letztere genau, dann erst würde die ungeheure Schwie-
rigkeit hervortreten, aus den innern Zuständen die
äussern, räumlichen Veränderungen zu erklä-
ren
. Und das grösste Unglück ist, dass unsre Physiker
von dieser Aufgabe nicht einmal den ersten Begriff ha-
ben. Sie wissen gar nicht, dass Materie überhaupt,
gleichviel ob todte oder lebende, nichts anders ist als
das Resultat der innern Zustände, worein sich
die einfachen Elemente gegenseitig versetzen
.
Sie wissen es nicht, obgleich es ihnen schon Chemie
und Mineralogie so deutlich vor Augen legen, als die
Erfahrung dergleichen Dinge aussprechen kann. Ein
paar dürftige Hypothesen von Polaritäten, elektrischen
Kräften, -- und das allmächtige Wort Leben, -- diese
sollen alle jene ungeheuren Klüfte und Lücken unseres
Wissens bedecken; damit ja Niemand sich einfallen lasse,
zu Fleiss und Genauigkeit im speculativen Denken auf-
zufordern! Aber ich lasse mich dadurch nicht abhalten.

Herr Professor Rudolphi wird mir nach diesen
Erklärungen verzeihen, wenn ich den Streit, den er in
seinem §. 324. mit mir angefangen hat, nicht fortsetze.
Es gereicht mir zur Ehre, dass er auf mein Lehrbuch
der Psychologie einige Rücksicht hat nehmen wollen;
allein so sehr ich wünschte, mit einem so ausgezeichne-
ten Gelehrten in Untersuchung gemeinschaftlich eintreten
zu können, so müssten doch die Anfangspuncte unserer
Discussion ganz anders gewählt werden, wenn einige
Hoffnung des Erfolgs vorhanden seyn sollte. Auf jeden
Fall aber ist gerade Herr Prof. Rudolphi derjenige un-
ter den Physiologen, (so weit ich sie kenne,) dem ich
noch am ersten mich nähern könnte; denn jene Puncte,
worin er von meiner Ansicht sich freylich weit entfernt,
charakterisiren, wie es mir scheint, nicht sowohl ihn, als
vielmehr die jetzige Lage der Wissenschaft, der jeder ein-
zelne Gelehrte natürlich mehr oder weniger nachgeben wird.

Pflanzen auf allen den unzähligen Bildungs-
stufen derselben
vorgeht. Ja! kennten wir dieses
letztere genau, dann erst würde die ungeheure Schwie-
rigkeit hervortreten, aus den innern Zuständen die
äuſsern, räumlichen Veränderungen zu erklä-
ren
. Und das gröſste Unglück ist, daſs unsre Physiker
von dieser Aufgabe nicht einmal den ersten Begriff ha-
ben. Sie wissen gar nicht, daſs Materie überhaupt,
gleichviel ob todte oder lebende, nichts anders ist als
das Resultat der innern Zustände, worein sich
die einfachen Elemente gegenseitig versetzen
.
Sie wissen es nicht, obgleich es ihnen schon Chemie
und Mineralogie so deutlich vor Augen legen, als die
Erfahrung dergleichen Dinge aussprechen kann. Ein
paar dürftige Hypothesen von Polaritäten, elektrischen
Kräften, — und das allmächtige Wort Leben, — diese
sollen alle jene ungeheuren Klüfte und Lücken unseres
Wissens bedecken; damit ja Niemand sich einfallen lasse,
zu Fleiſs und Genauigkeit im speculativen Denken auf-
zufordern! Aber ich lasse mich dadurch nicht abhalten.

Herr Professor Rudolphi wird mir nach diesen
Erklärungen verzeihen, wenn ich den Streit, den er in
seinem §. 324. mit mir angefangen hat, nicht fortsetze.
Es gereicht mir zur Ehre, daſs er auf mein Lehrbuch
der Psychologie einige Rücksicht hat nehmen wollen;
allein so sehr ich wünschte, mit einem so ausgezeichne-
ten Gelehrten in Untersuchung gemeinschaftlich eintreten
zu können, so müſsten doch die Anfangspuncte unserer
Discussion ganz anders gewählt werden, wenn einige
Hoffnung des Erfolgs vorhanden seyn sollte. Auf jeden
Fall aber ist gerade Herr Prof. Rudolphi derjenige un-
ter den Physiologen, (so weit ich sie kenne,) dem ich
noch am ersten mich nähern könnte; denn jene Puncte,
worin er von meiner Ansicht sich freylich weit entfernt,
charakterisiren, wie es mir scheint, nicht sowohl ihn, als
vielmehr die jetzige Lage der Wissenschaft, der jeder ein-
zelne Gelehrte natürlich mehr oder weniger nachgeben wird.

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[59/0094] Pflanzen auf allen den unzähligen Bildungs- stufen derselben vorgeht. Ja! kennten wir dieses letztere genau, dann erst würde die ungeheure Schwie- rigkeit hervortreten, aus den innern Zuständen die äuſsern, räumlichen Veränderungen zu erklä- ren. Und das gröſste Unglück ist, daſs unsre Physiker von dieser Aufgabe nicht einmal den ersten Begriff ha- ben. Sie wissen gar nicht, daſs Materie überhaupt, gleichviel ob todte oder lebende, nichts anders ist als das Resultat der innern Zustände, worein sich die einfachen Elemente gegenseitig versetzen. Sie wissen es nicht, obgleich es ihnen schon Chemie und Mineralogie so deutlich vor Augen legen, als die Erfahrung dergleichen Dinge aussprechen kann. Ein paar dürftige Hypothesen von Polaritäten, elektrischen Kräften, — und das allmächtige Wort Leben, — diese sollen alle jene ungeheuren Klüfte und Lücken unseres Wissens bedecken; damit ja Niemand sich einfallen lasse, zu Fleiſs und Genauigkeit im speculativen Denken auf- zufordern! Aber ich lasse mich dadurch nicht abhalten. Herr Professor Rudolphi wird mir nach diesen Erklärungen verzeihen, wenn ich den Streit, den er in seinem §. 324. mit mir angefangen hat, nicht fortsetze. Es gereicht mir zur Ehre, daſs er auf mein Lehrbuch der Psychologie einige Rücksicht hat nehmen wollen; allein so sehr ich wünschte, mit einem so ausgezeichne- ten Gelehrten in Untersuchung gemeinschaftlich eintreten zu können, so müſsten doch die Anfangspuncte unserer Discussion ganz anders gewählt werden, wenn einige Hoffnung des Erfolgs vorhanden seyn sollte. Auf jeden Fall aber ist gerade Herr Prof. Rudolphi derjenige un- ter den Physiologen, (so weit ich sie kenne,) dem ich noch am ersten mich nähern könnte; denn jene Puncte, worin er von meiner Ansicht sich freylich weit entfernt, charakterisiren, wie es mir scheint, nicht sowohl ihn, als vielmehr die jetzige Lage der Wissenschaft, der jeder ein- zelne Gelehrte natürlich mehr oder weniger nachgeben wird.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/94>, abgerufen am 21.11.2024.