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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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nun bey jeder neuen Aufregung von allen Puncten einander
entgegen, und die Auffassung ist eine räumliche.

Beyde Sätze in 174 gelten übrigens auch vom Vor-
stellen des Zeitlichen. Um uns ein ganzes Jahr oder Jahr-
hundert vorzustellen, verbrauchen wir nur eine kleine Zeit,
wofern anders die Partial-Vorstellungen in der hiezu nö-
thigen Reihe unter einander wohl verschmolzen sind; die
Zeit aber, welche wir verbrauchen, ist in dem Vorgestellten
nicht enthalten. Wenn man sich übt, das Zeitliche mit glei-
cher Geläufigkeit rückwärts wie vorwärts zu durchlaufen: so
entsteht die Vorstellung eines Zeitraums.

176. Lange Zeitstrecken aufzufassen, ist nur dem Ge-
bildeten möglich; das Kind kann in den frühesten Jahren
nur sehr kurze Zeiträume zusammenhalten. Der Grund
liegt hauptsächlich in der hiezu nöthigen Rückwirkung der
letzten Vorstellungen auf die früheren in der Reihe (171).
Bey dem Kinde nun ist die Empfänglichkeit noch groß (47);
deshalb und weil die Complexionen und Verschmelzungen
noch wenig Stärke besitzen, wirft der Eindruck des Augen-
blicks das früher Aufgefaßte zu schnell auf die Schwellen
des Bewußtseyns nieder, und so können sich keine langen
Reihen bilden.

177. Psychologisch betrachtet, ist alles Räum-
liche und Zeitliche unendlich theilbar
. Denn es
beruht auf solchen Resten einer und derselben Vorstellung,
wie r, r', r'', u. s. w. (28). Könnte es nur eine bestimmte
Menge von dergleichen Resten geben, so wäre auch nur eine
entsprechende Anzahl verschiedener Reproductionsgesetze für
dieselbe Vorstellung möglich. Aber die ganze Vorstellung
ist keinesweges ein Compositum aus solchen Theilen, wie
jene Reste; vielmehr ist alle Verdunkelung, wodurch die Reste
entstehen, der Vorstellung zufällig, ja ihr zuwider. Da
nun hier das Ganze den Theilen vorangeht, so hat die

nun bey jeder neuen Aufregung von allen Puncten einander
entgegen, und die Auffassung ist eine räumliche.

Beyde Sätze in 174 gelten übrigens auch vom Vor-
stellen des Zeitlichen. Um uns ein ganzes Jahr oder Jahr-
hundert vorzustellen, verbrauchen wir nur eine kleine Zeit,
wofern anders die Partial-Vorstellungen in der hiezu nö-
thigen Reihe unter einander wohl verschmolzen sind; die
Zeit aber, welche wir verbrauchen, ist in dem Vorgestellten
nicht enthalten. Wenn man sich übt, das Zeitliche mit glei-
cher Geläufigkeit rückwärts wie vorwärts zu durchlaufen: so
entsteht die Vorstellung eines Zeitraums.

176. Lange Zeitstrecken aufzufassen, ist nur dem Ge-
bildeten möglich; das Kind kann in den frühesten Jahren
nur sehr kurze Zeiträume zusammenhalten. Der Grund
liegt hauptsächlich in der hiezu nöthigen Rückwirkung der
letzten Vorstellungen auf die früheren in der Reihe (171).
Bey dem Kinde nun ist die Empfänglichkeit noch groß (47);
deshalb und weil die Complexionen und Verschmelzungen
noch wenig Stärke besitzen, wirft der Eindruck des Augen-
blicks das früher Aufgefaßte zu schnell auf die Schwellen
des Bewußtseyns nieder, und so können sich keine langen
Reihen bilden.

177. Psychologisch betrachtet, ist alles Räum-
liche und Zeitliche unendlich theilbar
. Denn es
beruht auf solchen Resten einer und derselben Vorstellung,
wie r, r‘, r‘‘, u. s. w. (28). Könnte es nur eine bestimmte
Menge von dergleichen Resten geben, so wäre auch nur eine
entsprechende Anzahl verschiedener Reproductionsgesetze für
dieselbe Vorstellung möglich. Aber die ganze Vorstellung
ist keinesweges ein Compositum aus solchen Theilen, wie
jene Reste; vielmehr ist alle Verdunkelung, wodurch die Reste
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[138/0146] nun bey jeder neuen Aufregung von allen Puncten einander entgegen, und die Auffassung ist eine räumliche. Beyde Sätze in 174 gelten übrigens auch vom Vor- stellen des Zeitlichen. Um uns ein ganzes Jahr oder Jahr- hundert vorzustellen, verbrauchen wir nur eine kleine Zeit, wofern anders die Partial-Vorstellungen in der hiezu nö- thigen Reihe unter einander wohl verschmolzen sind; die Zeit aber, welche wir verbrauchen, ist in dem Vorgestellten nicht enthalten. Wenn man sich übt, das Zeitliche mit glei- cher Geläufigkeit rückwärts wie vorwärts zu durchlaufen: so entsteht die Vorstellung eines Zeitraums. 176. Lange Zeitstrecken aufzufassen, ist nur dem Ge- bildeten möglich; das Kind kann in den frühesten Jahren nur sehr kurze Zeiträume zusammenhalten. Der Grund liegt hauptsächlich in der hiezu nöthigen Rückwirkung der letzten Vorstellungen auf die früheren in der Reihe (171). Bey dem Kinde nun ist die Empfänglichkeit noch groß (47); deshalb und weil die Complexionen und Verschmelzungen noch wenig Stärke besitzen, wirft der Eindruck des Augen- blicks das früher Aufgefaßte zu schnell auf die Schwellen des Bewußtseyns nieder, und so können sich keine langen Reihen bilden. 177. Psychologisch betrachtet, ist alles Räum- liche und Zeitliche unendlich theilbar. Denn es beruht auf solchen Resten einer und derselben Vorstellung, wie r, r‘, r‘‘, u. s. w. (28). Könnte es nur eine bestimmte Menge von dergleichen Resten geben, so wäre auch nur eine entsprechende Anzahl verschiedener Reproductionsgesetze für dieselbe Vorstellung möglich. Aber die ganze Vorstellung ist keinesweges ein Compositum aus solchen Theilen, wie jene Reste; vielmehr ist alle Verdunkelung, wodurch die Reste entstehen, der Vorstellung zufällig, ja ihr zuwider. Da nun hier das Ganze den Theilen vorangeht, so hat die

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/146>, abgerufen am 21.11.2024.