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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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Hiebey frage man nicht, wie es möglich sey, die bey-
den Entgegengesetzten, Vorstellendes und Vorgestelltes, als
Eins und dasselbe aufzufassen? Dieses schwere metaphy-
sische
Problem ist, im psychologischen Sinne ebenso
leicht, als das obige, wie die Auffassungen mehrerer
Merkmale zusammen die Vorstellung Eines Dinges
ausmachen, oder das noch frühere, wie die endlichen Raum-
größen als unendlich theilbar erscheinen können? Jn der
Seele stießt überall Vieles Vorgestellte in Ein. Vorstellen
zusammen, sobald die Hemmungen es nicht hindern; ob
aber das Vorgestellte also werde bleiben können, wann irgend
einmal die zerlegenden Urtheile (191) dazu kommen und ein
metaphysisches Denken hervorrufen: wie sollte davon die ge-
ringste Ahndung ursprünglich der Seele beywohnen?

Jemand besehe oder betaste seine eignen Gliedmaaßen,
der gegenüberstehende Zuschauer sagt alsdann nach gemei-
nem Sprachgebrauche: Er hat sich selbst gesehen, sich selbst
betastet. Die Jdentität in diesem Selbst ist offenbar keine
wahre, denn das Auge und die tastende Hand sind verschie-
den von dem Arme, der gesehen und betastet wurde. Den-
noch ist im ursprünglichen psychologischen Sinne Jdentität
vorhanden; denn der ganze Leib gilt für Eins, weil alle
Theil-Vorstellungen von demselben innigst verscholzen sind.
Sich selbst sehen, oder fühlen ist übrigens nur ein besonde-
rer Fall des: Von Sich Wissen.

201. Dies alles ist jedoch nur noch Vorbereitung zur
Erklärung des Selbstbewußtseyns. Jn dem nächst Vorher-
gehenden liegt nur der Anfang der Vorstellung von irgend
einem Jch
; hievon ist die Vorstellung von Mir, d. h. von
meinem Jch, noch verschieden. Jene ist indessen doch die
Grundlage von dieser, wie die Erfahrung bestätigt, denn
das Kind spricht zuerst von Sich in der dritten Person.

Hingegen die erste Person, als die Erste, ist An-

Hiebey frage man nicht, wie es möglich sey, die bey-
den Entgegengesetzten, Vorstellendes und Vorgestelltes, als
Eins und dasselbe aufzufassen? Dieses schwere metaphy-
sische
Problem ist, im psychologischen Sinne ebenso
leicht, als das obige, wie die Auffassungen mehrerer
Merkmale zusammen die Vorstellung Eines Dinges
ausmachen, oder das noch frühere, wie die endlichen Raum-
größen als unendlich theilbar erscheinen können? Jn der
Seele stießt überall Vieles Vorgestellte in Ein. Vorstellen
zusammen, sobald die Hemmungen es nicht hindern; ob
aber das Vorgestellte also werde bleiben können, wann irgend
einmal die zerlegenden Urtheile (191) dazu kommen und ein
metaphysisches Denken hervorrufen: wie sollte davon die ge-
ringste Ahndung ursprünglich der Seele beywohnen?

Jemand besehe oder betaste seine eignen Gliedmaaßen,
der gegenüberstehende Zuschauer sagt alsdann nach gemei-
nem Sprachgebrauche: Er hat sich selbst gesehen, sich selbst
betastet. Die Jdentität in diesem Selbst ist offenbar keine
wahre, denn das Auge und die tastende Hand sind verschie-
den von dem Arme, der gesehen und betastet wurde. Den-
noch ist im ursprünglichen psychologischen Sinne Jdentität
vorhanden; denn der ganze Leib gilt für Eins, weil alle
Theil-Vorstellungen von demselben innigst verscholzen sind.
Sich selbst sehen, oder fühlen ist übrigens nur ein besonde-
rer Fall des: Von Sich Wissen.

201. Dies alles ist jedoch nur noch Vorbereitung zur
Erklärung des Selbstbewußtseyns. Jn dem nächst Vorher-
gehenden liegt nur der Anfang der Vorstellung von irgend
einem Jch
; hievon ist die Vorstellung von Mir, d. h. von
meinem Jch, noch verschieden. Jene ist indessen doch die
Grundlage von dieser, wie die Erfahrung bestätigt, denn
das Kind spricht zuerst von Sich in der dritten Person.

Hingegen die erste Person, als die Erste, ist An-

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[160/0168] Hiebey frage man nicht, wie es möglich sey, die bey- den Entgegengesetzten, Vorstellendes und Vorgestelltes, als Eins und dasselbe aufzufassen? Dieses schwere metaphy- sische Problem ist, im psychologischen Sinne ebenso leicht, als das obige, wie die Auffassungen mehrerer Merkmale zusammen die Vorstellung Eines Dinges ausmachen, oder das noch frühere, wie die endlichen Raum- größen als unendlich theilbar erscheinen können? Jn der Seele stießt überall Vieles Vorgestellte in Ein. Vorstellen zusammen, sobald die Hemmungen es nicht hindern; ob aber das Vorgestellte also werde bleiben können, wann irgend einmal die zerlegenden Urtheile (191) dazu kommen und ein metaphysisches Denken hervorrufen: wie sollte davon die ge- ringste Ahndung ursprünglich der Seele beywohnen? Jemand besehe oder betaste seine eignen Gliedmaaßen, der gegenüberstehende Zuschauer sagt alsdann nach gemei- nem Sprachgebrauche: Er hat sich selbst gesehen, sich selbst betastet. Die Jdentität in diesem Selbst ist offenbar keine wahre, denn das Auge und die tastende Hand sind verschie- den von dem Arme, der gesehen und betastet wurde. Den- noch ist im ursprünglichen psychologischen Sinne Jdentität vorhanden; denn der ganze Leib gilt für Eins, weil alle Theil-Vorstellungen von demselben innigst verscholzen sind. Sich selbst sehen, oder fühlen ist übrigens nur ein besonde- rer Fall des: Von Sich Wissen. 201. Dies alles ist jedoch nur noch Vorbereitung zur Erklärung des Selbstbewußtseyns. Jn dem nächst Vorher- gehenden liegt nur der Anfang der Vorstellung von irgend einem Jch; hievon ist die Vorstellung von Mir, d. h. von meinem Jch, noch verschieden. Jene ist indessen doch die Grundlage von dieser, wie die Erfahrung bestätigt, denn das Kind spricht zuerst von Sich in der dritten Person. Hingegen die erste Person, als die Erste, ist An-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/168>, abgerufen am 09.11.2024.