Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.
fangspunct einer Reihe, und muß nach Art der Rei- Der Mensch, sobald seine räumlichen Auffassungen eini- Anmerkung. Von der größten moralischen und über- 202. Die Complexion, welche das eigne Selbst eines
fangspunct einer Reihe, und muß nach Art der Rei- Der Mensch, sobald seine räumlichen Auffassungen eini- Anmerkung. Von der größten moralischen und über- 202. Die Complexion, welche das eigne Selbst eines <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0169" n="161"/> fangspunct einer Reihe</hi>, und muß nach Art der Rei-<lb/> henformen erklärt werden (168 —177).</p><lb/> <p>Der Mensch, sobald seine räumlichen Auffassungen eini-<lb/> germaaßen zur Reife kommen, findet sich als den bewegli-<lb/> chen Mittelpunct der Dinge, von wo aus nicht bloß die<lb/> Entfernungen, sondern auch die Schwierigkeiten wachsen,<lb/> das Begehrte zu erreichen, und zu welchem hin sich allemal<lb/> das Erreichte bewegt, indem es die Begierden befriedigt.<lb/> So ist der Egoismus nicht der <hi rendition="#g">Grund</hi> der Begierden,<lb/> sondern er ist eine <hi rendition="#g">Vorstellungsart, die zu densel-<lb/> ben hinzugedacht wird</hi>. Gebrochen aber wird der<lb/> Egoismus schon einigermaaßen dadurch, wenn der Mensch<lb/> einen andern Mittelpunct der Dinge faßt; zu diesem fühlt<lb/> er sich alsdann unfehlbar hingezogen, wie im Sinnlichen zu<lb/> der Hauptstadt des Landes, im Geistigen zu der Gottheit.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Anmerkung</hi>. Von der größten moralischen und über-<lb/> haupt praktischen Wichtigkeit ist die Vorstellung des <hi rendition="#g">Wir</hi>,<lb/> welche auf der Voraussetzung gemeinschaftlicher Empfindung<lb/> und Auffassung beruhet. Dem eigentlichen Egoismus giebt<lb/> sie ein natürliches Gegengewicht; auch <hi rendition="#g">ist</hi> sie natürlich, denn<lb/> kein Mensch weiß eigentlich, wer er ganz allein seyn würde.<lb/> Jn dem Kreise des <hi rendition="#g">Wir</hi> erzeugt sich, während er in ein<lb/> mehrfaches Jch aufgelöset wird, die Rechtlichkeit und der<lb/> Ehrtrieb. Aber dem Wir stellt sich ein Jhr und Sie ent-<lb/> gegen, mit allen Uebeln des Corporations-Geistes. Das<lb/> Sonderbarste ist, daß <hi rendition="#g">Wir selbst</hi> bald diese bald jene Ge-<lb/> sellschaft sind; die Menschen sind nämlich in <hi rendition="#g">diesem</hi> Puncte<lb/> Freunde, in <hi rendition="#g">jenem</hi> Feinde. Hier beklagt sich der Unter-<lb/> gebene beym Obern, dort klagen sie gemeinschaftlich über<lb/> den Obern.</p><lb/> <p>202. Die Complexion, welche das eigne Selbst eines<lb/> Jeden ausmacht, bekommt im Laufe des Lebens unaufhör-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [161/0169]
fangspunct einer Reihe, und muß nach Art der Rei-
henformen erklärt werden (168 —177).
Der Mensch, sobald seine räumlichen Auffassungen eini-
germaaßen zur Reife kommen, findet sich als den bewegli-
chen Mittelpunct der Dinge, von wo aus nicht bloß die
Entfernungen, sondern auch die Schwierigkeiten wachsen,
das Begehrte zu erreichen, und zu welchem hin sich allemal
das Erreichte bewegt, indem es die Begierden befriedigt.
So ist der Egoismus nicht der Grund der Begierden,
sondern er ist eine Vorstellungsart, die zu densel-
ben hinzugedacht wird. Gebrochen aber wird der
Egoismus schon einigermaaßen dadurch, wenn der Mensch
einen andern Mittelpunct der Dinge faßt; zu diesem fühlt
er sich alsdann unfehlbar hingezogen, wie im Sinnlichen zu
der Hauptstadt des Landes, im Geistigen zu der Gottheit.
Anmerkung. Von der größten moralischen und über-
haupt praktischen Wichtigkeit ist die Vorstellung des Wir,
welche auf der Voraussetzung gemeinschaftlicher Empfindung
und Auffassung beruhet. Dem eigentlichen Egoismus giebt
sie ein natürliches Gegengewicht; auch ist sie natürlich, denn
kein Mensch weiß eigentlich, wer er ganz allein seyn würde.
Jn dem Kreise des Wir erzeugt sich, während er in ein
mehrfaches Jch aufgelöset wird, die Rechtlichkeit und der
Ehrtrieb. Aber dem Wir stellt sich ein Jhr und Sie ent-
gegen, mit allen Uebeln des Corporations-Geistes. Das
Sonderbarste ist, daß Wir selbst bald diese bald jene Ge-
sellschaft sind; die Menschen sind nämlich in diesem Puncte
Freunde, in jenem Feinde. Hier beklagt sich der Unter-
gebene beym Obern, dort klagen sie gemeinschaftlich über
den Obern.
202. Die Complexion, welche das eigne Selbst eines
Jeden ausmacht, bekommt im Laufe des Lebens unaufhör-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |