Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.stand als eine Kraft; oder als ein
Vermögen denken 237. Es folgt die Betrachtung der sittlichen Selbst- stand als eine Kraft; oder als ein
Vermögen denken 237. Es folgt die Betrachtung der sittlichen Selbst- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0198" n="190"/> stand als eine <hi rendition="#g">Kraft</hi>; oder als ein <hi rendition="#g">Vermögen</hi> denken<lb/> will. Denn die Wirksamkeit, die geistige Energie, liegt nir-<lb/> gends anders als in gewissen Vorstellungsmassen; und die-<lb/> ser giebt es gar viele und höchst verschiedene, die alle als<lb/> Verstand wirken tonnen. Dasselbe gilt von der Einbil-<lb/> dungskraft, vom Gebächtniß, von der Vernunft, — mit<lb/> einem Worte, von allen sogenannten Seelenvermögen. Aber<lb/> wenn man sich auch eine solche Neuerung im Sprachge-<lb/> brauche wollte gefallen lassen, so würde sie zur gewöhnlichen<lb/> Anwendung nicht einmal zu empfehlen seyn. Denn wer von<lb/> mehreren Verständen, von mehreren Einbildungskräften, u.<lb/> dergl. redete, der würde scheinen anzudeuten, daß die meh-<lb/> reren als entschieden getrennt zu betrachten seyen. Es sind<lb/> aber die verschiedenen Vörstellungsmassen, auf welche dies<lb/> alles hinweiset, gar nicht so scharf zu sondern, vielmehr ent-<lb/> stehn bey jedem Zusammenwirken derselben immer neue,<lb/> wenn gleich oft nur schwache, Verschmelzungen der gleichar-<lb/> tigen Vorstellungen, aus welchen, als ihren Bestandtheilen,<lb/> sie zusammengesetzt sind. — Die eben gebrauchte Art zu<lb/> Leben ist also nur Ausnahme, und es bleibt dabey, daß der<lb/> Mensch nur <hi rendition="#g">einen</hi> Verstand, <hi rendition="#g">eine</hi> Einbildungskraft, u. s.<lb/> w. besitzt; dieses aber sind man nicht Kräfte, nicht Vermö-<lb/> gen, überhaupt nichts Reales, sondern bloß logische Gat-<lb/> tungsnamen zur vorläufigen Classification der psychischem<lb/> Phänomene.</p><lb/> <p>237. Es folgt die Betrachtung der sittlichen Selbst-<lb/> beherrschung. Als Vorbereitung dazu mussen wir das <hi rendition="#g">mo-<lb/> ralische Gefühl</hi> begreiflich machen. Dies ist in der kan-<lb/> tischen Philosophie für untauglich zur Begründung der Sit-<lb/> tenlehre erklärt woren, und zwar mit Recht; denn man<lb/> darf es keinesweges verwechseln mit den moralischen (oder,<lb/> mit dem allgemeinen Namen, ästhetischen) <hi rendition="#g">Urtheilen</hi>, auf<lb/> welchen, wie in der praktischen Philosophie gezeigt wird,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [190/0198]
stand als eine Kraft; oder als ein Vermögen denken
will. Denn die Wirksamkeit, die geistige Energie, liegt nir-
gends anders als in gewissen Vorstellungsmassen; und die-
ser giebt es gar viele und höchst verschiedene, die alle als
Verstand wirken tonnen. Dasselbe gilt von der Einbil-
dungskraft, vom Gebächtniß, von der Vernunft, — mit
einem Worte, von allen sogenannten Seelenvermögen. Aber
wenn man sich auch eine solche Neuerung im Sprachge-
brauche wollte gefallen lassen, so würde sie zur gewöhnlichen
Anwendung nicht einmal zu empfehlen seyn. Denn wer von
mehreren Verständen, von mehreren Einbildungskräften, u.
dergl. redete, der würde scheinen anzudeuten, daß die meh-
reren als entschieden getrennt zu betrachten seyen. Es sind
aber die verschiedenen Vörstellungsmassen, auf welche dies
alles hinweiset, gar nicht so scharf zu sondern, vielmehr ent-
stehn bey jedem Zusammenwirken derselben immer neue,
wenn gleich oft nur schwache, Verschmelzungen der gleichar-
tigen Vorstellungen, aus welchen, als ihren Bestandtheilen,
sie zusammengesetzt sind. — Die eben gebrauchte Art zu
Leben ist also nur Ausnahme, und es bleibt dabey, daß der
Mensch nur einen Verstand, eine Einbildungskraft, u. s.
w. besitzt; dieses aber sind man nicht Kräfte, nicht Vermö-
gen, überhaupt nichts Reales, sondern bloß logische Gat-
tungsnamen zur vorläufigen Classification der psychischem
Phänomene.
237. Es folgt die Betrachtung der sittlichen Selbst-
beherrschung. Als Vorbereitung dazu mussen wir das mo-
ralische Gefühl begreiflich machen. Dies ist in der kan-
tischen Philosophie für untauglich zur Begründung der Sit-
tenlehre erklärt woren, und zwar mit Recht; denn man
darf es keinesweges verwechseln mit den moralischen (oder,
mit dem allgemeinen Namen, ästhetischen) Urtheilen, auf
welchen, wie in der praktischen Philosophie gezeigt wird,
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(2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription.
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