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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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ken: so höret ihn der Morgenländer! Höret ihn
schnauben! Höret ihn brennenden Rauch, und
stürmende Funken sprühen! Das ward Namen
des Worts: die Nase Sitz des Zorns: das ganze
Geschlecht der Zornwörter und Zornmetaphern
schnauben ihren Ursprung.

Wenn uns das Leben sich durch Pulsschlag,
durch Wallen und feine Merkmale auch in der
Sprache äussert: so offenbahrte es sich jenem Laut
othmend, der Mensch lebte, da er hauchte; starb,
da er aushauchte: und man hört die Wurzel des
Worts, wie den ersten belebten Adam hauchen.

Wenn wir das Gebären nach unsrer Art cha-
rakterisiren: so hört jener auch in den Benennun-
gen Geschrei der Mutterangst, oder bei Thieren
das Ausschütteln eines Fruchtschlauches: um diese
Mittelidee wenden sich seine Bilder!

Wenn wir im Wort Morgenröthe etwa das
Schöne, Glänzende, Frische, dunkel hören: so
fühlt der harrende Wandrer in Orient auch in der
Wurzel des Worts den ersten, schnellen, erfreu-
lichen Lichtstral, den unser Einer vielleicht nie ge-
sehen, wenigstens nie mit dem Gefühl gefühlet. --

Die

ken: ſo hoͤret ihn der Morgenlaͤnder! Hoͤret ihn
ſchnauben! Hoͤret ihn brennenden Rauch, und
ſtuͤrmende Funken ſpruͤhen! Das ward Namen
des Worts: die Naſe Sitz des Zorns: das ganze
Geſchlecht der Zornwoͤrter und Zornmetaphern
ſchnauben ihren Urſprung.

Wenn uns das Leben ſich durch Pulsſchlag,
durch Wallen und feine Merkmale auch in der
Sprache aͤuſſert: ſo offenbahrte es ſich jenem Laut
othmend, der Menſch lebte, da er hauchte; ſtarb,
da er aushauchte: und man hoͤrt die Wurzel des
Worts, wie den erſten belebten Adam hauchen.

Wenn wir das Gebaͤren nach unſrer Art cha-
rakteriſiren: ſo hoͤrt jener auch in den Benennun-
gen Geſchrei der Mutterangſt, oder bei Thieren
das Ausſchuͤtteln eines Fruchtſchlauches: um dieſe
Mittelidee wenden ſich ſeine Bilder!

Wenn wir im Wort Morgenroͤthe etwa das
Schoͤne, Glaͤnzende, Friſche, dunkel hoͤren: ſo
fuͤhlt der harrende Wandrer in Orient auch in der
Wurzel des Worts den erſten, ſchnellen, erfreu-
lichen Lichtſtral, den unſer Einer vielleicht nie ge-
ſehen, wenigſtens nie mit dem Gefuͤhl gefuͤhlet. —

Die
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[109/0115] ken: ſo hoͤret ihn der Morgenlaͤnder! Hoͤret ihn ſchnauben! Hoͤret ihn brennenden Rauch, und ſtuͤrmende Funken ſpruͤhen! Das ward Namen des Worts: die Naſe Sitz des Zorns: das ganze Geſchlecht der Zornwoͤrter und Zornmetaphern ſchnauben ihren Urſprung. Wenn uns das Leben ſich durch Pulsſchlag, durch Wallen und feine Merkmale auch in der Sprache aͤuſſert: ſo offenbahrte es ſich jenem Laut othmend, der Menſch lebte, da er hauchte; ſtarb, da er aushauchte: und man hoͤrt die Wurzel des Worts, wie den erſten belebten Adam hauchen. Wenn wir das Gebaͤren nach unſrer Art cha- rakteriſiren: ſo hoͤrt jener auch in den Benennun- gen Geſchrei der Mutterangſt, oder bei Thieren das Ausſchuͤtteln eines Fruchtſchlauches: um dieſe Mittelidee wenden ſich ſeine Bilder! Wenn wir im Wort Morgenroͤthe etwa das Schoͤne, Glaͤnzende, Friſche, dunkel hoͤren: ſo fuͤhlt der harrende Wandrer in Orient auch in der Wurzel des Worts den erſten, ſchnellen, erfreu- lichen Lichtſtral, den unſer Einer vielleicht nie ge- ſehen, wenigſtens nie mit dem Gefuͤhl gefuͤhlet. — Die

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/115>, abgerufen am 29.11.2024.