Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.ohne auch nicht einmal das weite, helle Licht der unregel- L 5
ohne auch nicht einmal das weite, helle Licht der unregel- L 5
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ohne auch nicht einmal das weite, helle Licht der
uneingekerkerten Natur erkennen zu wollen. Aus
den groͤſſeſten Heldenthaten des menſchlichen Gei-
ſtes, die er nur im Zuſammenſtoß der lebendigen
Welt thun und aͤußern konnte, ſind Schuluͤbungen
im Staube unſrer Lehrkerker; aus den Meiſter-
ſtuͤcken menſchlicher Dichtkunſt und Beredſamkeit
Kindereien geworden, an welchen greiſe Kinder und
junge Kinder Phraſes lernen und Regeln klauben.
Wir haſchen ihre Formalitaͤten und haben ihren
Geiſt verloren; wir lernen ihre Sprache und fuͤh-
len nicht die lebendige Welt ihrer Gedanken. Der-
ſelbe Fall iſts mit unſern Urtheilen uͤber das Mei-
ſterſtuͤck des menſchlichen Geiſtes, die Bildung der
Sprache uͤberhaupt. Da ſoll uns das todte Nach-
denken Dinge lehren, die blos aus dem lebendigen
Hauche der Welt, aus dem Geiſte der großen
wuͤrkſamen Natur den Menſchen beſeelen, ihn auf-
rufen und fortbilden konnten. Da ſollen die
ſtumpfen, ſpaͤten Geſetze der Grammatiker das
Goͤttlichſte ſeyn, was wir verehren, und vergeſſen
die wahre goͤttliche Sprachnatur, die ſich in ihrem
Herzen mit dem menſchlichen Geiſte bildete: ſo
unregel-
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