Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

"zeug des Unterrichts, Heldengesang von
"den Thaten der Väter,
und die Stimme der-
"selben aus ihren Gräbern
" war. Die konnte
also unmöglich Einerlei bleiben, und so schuf das-
selbe Familiengefühl, das Eine Sprache gebildet
hatte, da es Nationalhaß wurde, oft Verschie-
denheit, völlige Verschiedenheit
der Sprache.
Er ist Barbar, er redet eine fremde Sprache --
die dritte, so gewöhnliche Synonyme.

So umgekehrt die Etymologie dieser Worte
scheine, so beweiset doch die Geschichte aller kleinen
Völker und Sprachen, über die die Frage gilt,
völlig ihre Wahrheit; die Absätze der Etymologie
sind auch nur Abstraktionen, nicht Trennungen in
der Geschichte. Alle solche nahen Polyglotten sind
zugleich die grimmigsten, unversöhnlichsten Feinde:
und zwar alle nicht aus Raub und Habsucht, da
sie meistens nicht plündern, sondern nur tödten
und verwüsten, und dem Schatten ihrer Vä-
ter opfern.
Schatten der Väter sind die Gott-
heiten, und die einzigen unsichtbaren Maschinen
der ganzen blutigen Epopee, wie in den Gesän-
gen Ossians. Sie sinds, die den Anführer in

Träu
N 4

zeug des Unterrichts, Heldengeſang von
„den Thaten der Vaͤter,
und die Stimme der-
„ſelben aus ihren Graͤbern
„ war. Die konnte
alſo unmoͤglich Einerlei bleiben, und ſo ſchuf daſ-
ſelbe Familiengefuͤhl, das Eine Sprache gebildet
hatte, da es Nationalhaß wurde, oft Verſchie-
denheit, voͤllige Verſchiedenheit
der Sprache.
Er iſt Barbar, er redet eine fremde Sprache
die dritte, ſo gewoͤhnliche Synonyme.

So umgekehrt die Etymologie dieſer Worte
ſcheine, ſo beweiſet doch die Geſchichte aller kleinen
Voͤlker und Sprachen, uͤber die die Frage gilt,
voͤllig ihre Wahrheit; die Abſaͤtze der Etymologie
ſind auch nur Abſtraktionen, nicht Trennungen in
der Geſchichte. Alle ſolche nahen Polyglotten ſind
zugleich die grimmigſten, unverſoͤhnlichſten Feinde:
und zwar alle nicht aus Raub und Habſucht, da
ſie meiſtens nicht pluͤndern, ſondern nur toͤdten
und verwuͤſten, und dem Schatten ihrer Vaͤ-
ter opfern.
Schatten der Vaͤter ſind die Gott-
heiten, und die einzigen unſichtbaren Maſchinen
der ganzen blutigen Epopee, wie in den Geſaͤn-
gen Oſſians. Sie ſinds, die den Anfuͤhrer in

Traͤu
N 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0205" n="199"/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">zeug des Unterrichts, Heldenge&#x017F;ang von<lb/>
&#x201E;den Thaten der Va&#x0364;ter,</hi> und <hi rendition="#fr">die Stimme der-<lb/>
&#x201E;&#x017F;elben aus ihren Gra&#x0364;bern</hi>&#x201E; war. Die konnte<lb/>
al&#x017F;o unmo&#x0364;glich <hi rendition="#fr">Einerlei</hi> bleiben, und &#x017F;o &#x017F;chuf da&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elbe <hi rendition="#fr">Familiengefu&#x0364;hl,</hi> das Eine Sprache gebildet<lb/>
hatte, da es Nationalhaß wurde, oft <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;chie-<lb/>
denheit, vo&#x0364;llige Ver&#x017F;chiedenheit</hi> der Sprache.<lb/>
Er i&#x017F;t <hi rendition="#fr">Barbar,</hi> er redet <hi rendition="#fr">eine fremde Sprache</hi> &#x2014;<lb/>
die dritte, &#x017F;o gewo&#x0364;hnliche Synonyme.</p><lb/>
          <p>So umgekehrt die Etymologie die&#x017F;er Worte<lb/>
&#x017F;cheine, &#x017F;o bewei&#x017F;et doch die Ge&#x017F;chichte aller kleinen<lb/>
Vo&#x0364;lker und Sprachen, u&#x0364;ber die die Frage gilt,<lb/>
vo&#x0364;llig ihre Wahrheit; die Ab&#x017F;a&#x0364;tze der Etymologie<lb/>
&#x017F;ind auch nur Ab&#x017F;traktionen, nicht Trennungen in<lb/>
der Ge&#x017F;chichte. Alle &#x017F;olche nahen Polyglotten &#x017F;ind<lb/>
zugleich die grimmig&#x017F;ten, unver&#x017F;o&#x0364;hnlich&#x017F;ten Feinde:<lb/>
und zwar alle nicht aus Raub und Hab&#x017F;ucht, da<lb/>
&#x017F;ie mei&#x017F;tens nicht plu&#x0364;ndern, &#x017F;ondern nur to&#x0364;dten<lb/>
und verwu&#x0364;&#x017F;ten, und <hi rendition="#fr">dem Schatten ihrer Va&#x0364;-<lb/>
ter opfern.</hi> Schatten der Va&#x0364;ter &#x017F;ind die Gott-<lb/>
heiten, und die einzigen un&#x017F;ichtbaren Ma&#x017F;chinen<lb/>
der ganzen blutigen Epopee, wie in den Ge&#x017F;a&#x0364;n-<lb/>
gen <hi rendition="#fr">O&#x017F;&#x017F;ians.</hi> Sie &#x017F;inds, die den Anfu&#x0364;hrer in<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Tra&#x0364;u</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0205] „zeug des Unterrichts, Heldengeſang von „den Thaten der Vaͤter, und die Stimme der- „ſelben aus ihren Graͤbern„ war. Die konnte alſo unmoͤglich Einerlei bleiben, und ſo ſchuf daſ- ſelbe Familiengefuͤhl, das Eine Sprache gebildet hatte, da es Nationalhaß wurde, oft Verſchie- denheit, voͤllige Verſchiedenheit der Sprache. Er iſt Barbar, er redet eine fremde Sprache — die dritte, ſo gewoͤhnliche Synonyme. So umgekehrt die Etymologie dieſer Worte ſcheine, ſo beweiſet doch die Geſchichte aller kleinen Voͤlker und Sprachen, uͤber die die Frage gilt, voͤllig ihre Wahrheit; die Abſaͤtze der Etymologie ſind auch nur Abſtraktionen, nicht Trennungen in der Geſchichte. Alle ſolche nahen Polyglotten ſind zugleich die grimmigſten, unverſoͤhnlichſten Feinde: und zwar alle nicht aus Raub und Habſucht, da ſie meiſtens nicht pluͤndern, ſondern nur toͤdten und verwuͤſten, und dem Schatten ihrer Vaͤ- ter opfern. Schatten der Vaͤter ſind die Gott- heiten, und die einzigen unſichtbaren Maſchinen der ganzen blutigen Epopee, wie in den Geſaͤn- gen Oſſians. Sie ſinds, die den Anfuͤhrer in Traͤu N 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/205
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/205>, abgerufen am 21.11.2024.