Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

zu empfangen und mitzutheilen -- dadurch wird,
"Fortbildung der Sprache."

Endlich geht dieser sonderbare Plan auch aufs
ganze Menschengeschlech
fort; und dadurch
wird "eine Fortbildung im höchsten Verstande,"
die aus den beiden vorigen unmittelbar folgt.

Jedes Jndividuum ist Mensch, folglich denkt
er die Kette seines Lebens fort. Jedes Jndivi-
duum ist Sohn oder Tochter: ward durch Unter-
richt gebildet: folglich bekam es immer einen Theil
der Gedankenschätze seiner Vorfahren frühe mit,
und wird sie nach seiner Art weiter reichen --
also ist auf gewisse Weise "kein Gedanke, keine
Erfindung, keine Vervollkommung, die nicht
weiter, fast ins Unendliche reiche.
" So wie
ich keine Handlung thun, keinen Gedanken den-
ken kann, der nicht auf die ganze Unermeßlichkeit
meines Daseyns natürlich hinwürke; so nicht ich
und kein Geschöpf meiner Gattung, was nicht mit
jedem auch für die ganze Gattung und für das
fortgehende Ganze der ganzen Gattung würke.
Jedes treibt immer eine große oder kleine Welle:
jedes verändert den Zustand der Einzelnen Seele,

mit-

zu empfangen und mitzutheilen — dadurch wird,
Fortbildung der Sprache.

Endlich geht dieſer ſonderbare Plan auch aufs
ganze Menſchengeſchlech
fort; und dadurch
wird „eine Fortbildung im hoͤchſten Verſtande,„
die aus den beiden vorigen unmittelbar folgt.

Jedes Jndividuum iſt Menſch, folglich denkt
er die Kette ſeines Lebens fort. Jedes Jndivi-
duum iſt Sohn oder Tochter: ward durch Unter-
richt gebildet: folglich bekam es immer einen Theil
der Gedankenſchaͤtze ſeiner Vorfahren fruͤhe mit,
und wird ſie nach ſeiner Art weiter reichen —
alſo iſt auf gewiſſe Weiſe „kein Gedanke, keine
Erfindung, keine Vervollkommung, die nicht
weiter, faſt ins Unendliche reiche.
„ So wie
ich keine Handlung thun, keinen Gedanken den-
ken kann, der nicht auf die ganze Unermeßlichkeit
meines Daſeyns natuͤrlich hinwuͤrke; ſo nicht ich
und kein Geſchoͤpf meiner Gattung, was nicht mit
jedem auch fuͤr die ganze Gattung und fuͤr das
fortgehende Ganze der ganzen Gattung wuͤrke.
Jedes treibt immer eine große oder kleine Welle:
jedes veraͤndert den Zuſtand der Einzelnen Seele,

mit-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0210" n="204"/>
zu empfangen und mitzutheilen &#x2014; dadurch wird,<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">Fortbildung der Sprache.</hi>&#x201E;</p><lb/>
          <p>Endlich geht die&#x017F;er &#x017F;onderbare Plan auch <hi rendition="#fr">aufs<lb/>
ganze Men&#x017F;chenge&#x017F;chlech</hi> fort; und dadurch<lb/>
wird &#x201E;eine <hi rendition="#fr">Fortbildung</hi> im ho&#x0364;ch&#x017F;ten Ver&#x017F;tande,&#x201E;<lb/>
die aus den beiden vorigen unmittelbar folgt.</p><lb/>
          <p>Jedes Jndividuum i&#x017F;t Men&#x017F;ch, folglich denkt<lb/>
er die Kette &#x017F;eines Lebens fort. Jedes Jndivi-<lb/>
duum i&#x017F;t Sohn oder Tochter: ward durch Unter-<lb/>
richt gebildet: folglich bekam es immer einen Theil<lb/>
der Gedanken&#x017F;cha&#x0364;tze &#x017F;einer Vorfahren fru&#x0364;he mit,<lb/>
und wird &#x017F;ie nach &#x017F;einer Art weiter reichen &#x2014;<lb/>
al&#x017F;o i&#x017F;t auf gewi&#x017F;&#x017F;e Wei&#x017F;e &#x201E;<hi rendition="#fr">kein Gedanke, keine<lb/>
Erfindung, keine Vervollkommung, die nicht<lb/>
weiter, fa&#x017F;t ins Unendliche reiche.</hi>&#x201E; So wie<lb/>
ich keine Handlung thun, keinen Gedanken den-<lb/>
ken kann, der nicht auf die ganze Unermeßlichkeit<lb/><hi rendition="#fr">meines</hi> Da&#x017F;eyns natu&#x0364;rlich hinwu&#x0364;rke; &#x017F;o nicht ich<lb/>
und kein Ge&#x017F;cho&#x0364;pf meiner Gattung, was nicht mit<lb/>
jedem auch fu&#x0364;r <hi rendition="#fr">die ganze Gattung</hi> und fu&#x0364;r das<lb/><hi rendition="#fr">fortgehende Ganze der ganzen Gattung</hi> wu&#x0364;rke.<lb/>
Jedes treibt immer eine große oder kleine Welle:<lb/>
jedes vera&#x0364;ndert den Zu&#x017F;tand der <hi rendition="#fr">Einzelnen</hi> Seele,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mit-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0210] zu empfangen und mitzutheilen — dadurch wird, „Fortbildung der Sprache.„ Endlich geht dieſer ſonderbare Plan auch aufs ganze Menſchengeſchlech fort; und dadurch wird „eine Fortbildung im hoͤchſten Verſtande,„ die aus den beiden vorigen unmittelbar folgt. Jedes Jndividuum iſt Menſch, folglich denkt er die Kette ſeines Lebens fort. Jedes Jndivi- duum iſt Sohn oder Tochter: ward durch Unter- richt gebildet: folglich bekam es immer einen Theil der Gedankenſchaͤtze ſeiner Vorfahren fruͤhe mit, und wird ſie nach ſeiner Art weiter reichen — alſo iſt auf gewiſſe Weiſe „kein Gedanke, keine Erfindung, keine Vervollkommung, die nicht weiter, faſt ins Unendliche reiche.„ So wie ich keine Handlung thun, keinen Gedanken den- ken kann, der nicht auf die ganze Unermeßlichkeit meines Daſeyns natuͤrlich hinwuͤrke; ſo nicht ich und kein Geſchoͤpf meiner Gattung, was nicht mit jedem auch fuͤr die ganze Gattung und fuͤr das fortgehende Ganze der ganzen Gattung wuͤrke. Jedes treibt immer eine große oder kleine Welle: jedes veraͤndert den Zuſtand der Einzelnen Seele, mit-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/210
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/210>, abgerufen am 21.11.2024.