mithin das Ganze dieser Zustände; würkt immer auf andre; verändert auch in diesen etwas -- der erste Gedanke in der ersten menschlichen Seele hängt mit dem lezten in der lezten menschlichen Seele zusammen.
Wäre Sprache dem Menschen so angebohren, als den Bienen der Honigban; so zerfiele mit Ein- mal dies größeste prächtigste Gebäude in Trüm- mern! Jeder brachte sich sein wenig Sprache auf die Welt, oder da doch das auf die Welt bringen, für eine Vernunft nichts heißt, als sie sich gleich erfinden -- welch ein trauriges Einzelne wird je- der Mensch! Jeder erfindet seine Rudimente, stirbt über ihnen, und nimmt sie ins Grab, wie die Biene ihren Kunstbau: der Nachfolger kommt, quält sich über derselben Anfängen, kommt eben so weit, oder eben so wenig weit, stirbt -- und so gehts ins Unendliche. Man siehet, "der Plan, "der über die Thiere geht, die nichts erfinden, "kann nicht über Geschöpfe gehen, die erfinden "müssen," oder es wird ein planloser Plan! Er- findet jedes für sich allein, so wird unnütze Mühe ins Unendliche verdoppelt, und der erfindende Ver-
stand
mithin das Ganze dieſer Zuſtaͤnde; wuͤrkt immer auf andre; veraͤndert auch in dieſen etwas — der erſte Gedanke in der erſten menſchlichen Seele haͤngt mit dem lezten in der lezten menſchlichen Seele zuſammen.
Waͤre Sprache dem Menſchen ſo angebohren, als den Bienen der Honigban; ſo zerfiele mit Ein- mal dies groͤßeſte praͤchtigſte Gebaͤude in Truͤm- mern! Jeder brachte ſich ſein wenig Sprache auf die Welt, oder da doch das auf die Welt bringen, fuͤr eine Vernunft nichts heißt, als ſie ſich gleich erfinden — welch ein trauriges Einzelne wird je- der Menſch! Jeder erfindet ſeine Rudimente, ſtirbt uͤber ihnen, und nimmt ſie ins Grab, wie die Biene ihren Kunſtbau: der Nachfolger kommt, quaͤlt ſich uͤber derſelben Anfaͤngen, kommt eben ſo weit, oder eben ſo wenig weit, ſtirbt — und ſo gehts ins Unendliche. Man ſiehet, „der Plan, „der uͤber die Thiere geht, die nichts erfinden, „kann nicht uͤber Geſchoͤpfe gehen, die erfinden „muͤſſen,„ oder es wird ein planloſer Plan! Er- findet jedes fuͤr ſich allein, ſo wird unnuͤtze Muͤhe ins Unendliche verdoppelt, und der erfindende Ver-
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[205/0211]
mithin das Ganze dieſer Zuſtaͤnde; wuͤrkt immer
auf andre; veraͤndert auch in dieſen etwas —
der erſte Gedanke in der erſten menſchlichen Seele
haͤngt mit dem lezten in der lezten menſchlichen
Seele zuſammen.
Waͤre Sprache dem Menſchen ſo angebohren,
als den Bienen der Honigban; ſo zerfiele mit Ein-
mal dies groͤßeſte praͤchtigſte Gebaͤude in Truͤm-
mern! Jeder brachte ſich ſein wenig Sprache auf
die Welt, oder da doch das auf die Welt bringen,
fuͤr eine Vernunft nichts heißt, als ſie ſich gleich
erfinden — welch ein trauriges Einzelne wird je-
der Menſch! Jeder erfindet ſeine Rudimente,
ſtirbt uͤber ihnen, und nimmt ſie ins Grab, wie
die Biene ihren Kunſtbau: der Nachfolger kommt,
quaͤlt ſich uͤber derſelben Anfaͤngen, kommt eben
ſo weit, oder eben ſo wenig weit, ſtirbt — und
ſo gehts ins Unendliche. Man ſiehet, „der Plan,
„der uͤber die Thiere geht, die nichts erfinden,
„kann nicht uͤber Geſchoͤpfe gehen, die erfinden
„muͤſſen,„ oder es wird ein planloſer Plan! Er-
findet jedes fuͤr ſich allein, ſo wird unnuͤtze Muͤhe
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/211>, abgerufen am 16.02.2025.
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