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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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pelkinder zuerkannte, kurz, daß er die ganze
Sprache auf das Gefühl menschlicher Schwach-
heiten bauete? -- sahe und fühlte er so?

Einem Vertheidiger des übernatürlichen Ur-
sprunges ists göttliche Ordnung der Sprache, "daß
"die meisten Stammwörter einsylbig, die Verba
"meistens zweisylbig sind, und also die Sprache
"nach dem Maaße des Gedächtnisses eingetheilt
"sey." Das Faktum ist nicht genau und der
Schluß unsicher. Jn den Resten der für die älteste
angenommenen Sprache sind die Wurzeln alle
zweisylbige Verba, welches ich nun aus dem vorigen
sehr gut erklären kann, da die Hypothese des Ge-
gentheils keinen Grund findet. Diese Verba nem-
lich sind unmittelbar auf die Laute und Jnterjek-
tionen der tönenden Natur gebauet, die oft noch
in ihnen tönen, hie und da auch noch als Jnterjek-
tionen aufbehalten sind; meistens aber mußten sie,
als halbinartikulirte Töne, verlohren gehen,

da sich die Sprache formte. Jn den morgenlän-
dischen Sprachen fehlen also diese ersten Versuche
der stammelnden Zunge; aber, daß sie fehlen, und
nur ihre regelmäßigen Reste in den Verbis tönen,

das

pelkinder zuerkannte, kurz, daß er die ganze
Sprache auf das Gefuͤhl menſchlicher Schwach-
heiten bauete? — ſahe und fuͤhlte er ſo?

Einem Vertheidiger des uͤbernatuͤrlichen Ur-
ſprunges iſts goͤttliche Ordnung der Sprache, „daß
„die meiſten Stammwoͤrter einſylbig, die Verba
„meiſtens zweiſylbig ſind, und alſo die Sprache
„nach dem Maaße des Gedaͤchtniſſes eingetheilt
„ſey.„ Das Faktum iſt nicht genau und der
Schluß unſicher. Jn den Reſten der fuͤr die aͤlteſte
angenommenen Sprache ſind die Wurzeln alle
zweiſylbige Verba, welches ich nun aus dem vorigen
ſehr gut erklaͤren kann, da die Hypotheſe des Ge-
gentheils keinen Grund findet. Dieſe Verba nem-
lich ſind unmittelbar auf die Laute und Jnterjek-
tionen der toͤnenden Natur gebauet, die oft noch
in ihnen toͤnen, hie und da auch noch als Jnterjek-
tionen aufbehalten ſind; meiſtens aber mußten ſie,
als halbinartikulirte Toͤne, verlohren gehen,

da ſich die Sprache formte. Jn den morgenlaͤn-
diſchen Sprachen fehlen alſo dieſe erſten Verſuche
der ſtammelnden Zunge; aber, daß ſie fehlen, und
nur ihre regelmaͤßigen Reſte in den Verbis toͤnen,

das
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[86/0092] pelkinder zuerkannte, kurz, daß er die ganze Sprache auf das Gefuͤhl menſchlicher Schwach- heiten bauete? — ſahe und fuͤhlte er ſo? Einem Vertheidiger des uͤbernatuͤrlichen Ur- ſprunges iſts goͤttliche Ordnung der Sprache, „daß „die meiſten Stammwoͤrter einſylbig, die Verba „meiſtens zweiſylbig ſind, und alſo die Sprache „nach dem Maaße des Gedaͤchtniſſes eingetheilt „ſey.„ Das Faktum iſt nicht genau und der Schluß unſicher. Jn den Reſten der fuͤr die aͤlteſte angenommenen Sprache ſind die Wurzeln alle zweiſylbige Verba, welches ich nun aus dem vorigen ſehr gut erklaͤren kann, da die Hypotheſe des Ge- gentheils keinen Grund findet. Dieſe Verba nem- lich ſind unmittelbar auf die Laute und Jnterjek- tionen der toͤnenden Natur gebauet, die oft noch in ihnen toͤnen, hie und da auch noch als Jnterjek- tionen aufbehalten ſind; meiſtens aber mußten ſie, als halbinartikulirte Toͤne, verlohren gehen, da ſich die Sprache formte. Jn den morgenlaͤn- diſchen Sprachen fehlen alſo dieſe erſten Verſuche der ſtammelnden Zunge; aber, daß ſie fehlen, und nur ihre regelmaͤßigen Reſte in den Verbis toͤnen, das

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/92>, abgerufen am 27.11.2024.