Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite
Fabelliedchen.
Es sah' ein Knab' ein Rößlein stehn
Ein Rößlein auf der Heiden.
Er sah, es war so frisch und schön
Und blieb stehn, es anzusehen
Und stand in süssen Freuden.

Jch supplire diese Reihe nur aus dem Gedächt-
niß, und nun folgt das kindische Ritornellbey
jeder Strophe:

Rößlein, Rößlein, Rößlein roth,
Rößlein auf der Heiden!
Der Knabe sprach: ich breche dich!
Rößlein etc.
Das Rößlein sprach: ich steche dich,
Daß du ewig denkst an mich
Daß ichs nicht will leiden! Rößlein etc.
Jedoch der wilde Knabe brach,
Das Rößlein etc.
Das Rößlein wehrte sich und stach,
Aber er vergaß darnach
Beym Genuß das Leiden! Rößlein rc

Jst das nicht Kinderton? Und noch muß ich
Jhnen Eine Aenderung des lebendigen Gesan-
ges melden. Der Vorschlag thut bey den
Liedern des Volks eine so grosse und gute Wür-
kung, daß ich aus Deutschen und Englischen
alten Stücken sehe, wie viel die Minstrels
darauf gehalten: und der ist nun noch im Deut-
schen wie im Englischen in den Volksliedern
meistens der dunkle Laut von the in beydem
Geschlecht (de Knabe) 's statt das ('s Röß-

lein)
D 5
Fabelliedchen.
Es ſah’ ein Knab’ ein Roͤßlein ſtehn
Ein Roͤßlein auf der Heiden.
Er ſah, es war ſo friſch und ſchoͤn
Und blieb ſtehn, es anzuſehen
Und ſtand in ſuͤſſen Freuden.

Jch ſupplire dieſe Reihe nur aus dem Gedaͤcht-
niß, und nun folgt das kindiſche Ritornellbey
jeder Strophe:

Roͤßlein, Roͤßlein, Roͤßlein roth,
Roͤßlein auf der Heiden!
Der Knabe ſprach: ich breche dich!
Roͤßlein ꝛc.
Das Roͤßlein ſprach: ich ſteche dich,
Daß du ewig denkſt an mich
Daß ichs nicht will leiden! Roͤßlein ꝛc.
Jedoch der wilde Knabe brach,
Das Roͤßlein ꝛc.
Das Roͤßlein wehrte ſich und ſtach,
Aber er vergaß darnach
Beym Genuß das Leiden! Roͤßlein ꝛc

Jſt das nicht Kinderton? Und noch muß ich
Jhnen Eine Aenderung des lebendigen Geſan-
ges melden. Der Vorſchlag thut bey den
Liedern des Volks eine ſo groſſe und gute Wuͤr-
kung, daß ich aus Deutſchen und Engliſchen
alten Stuͤcken ſehe, wie viel die Minſtrels
darauf gehalten: und der iſt nun noch im Deut-
ſchen wie im Engliſchen in den Volksliedern
meiſtens der dunkle Laut von the in beydem
Geſchlecht (de Knabe) ’s ſtatt das (’s Roͤß-

lein)
D 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0061" n="57"/>
        <cit>
          <quote>
            <lg type="poem">
              <head> <hi rendition="#fr">Fabelliedchen.</hi> </head><lb/>
              <l>Es &#x017F;ah&#x2019; ein Knab&#x2019; ein Ro&#x0364;ßlein &#x017F;tehn</l><lb/>
              <l>Ein Ro&#x0364;ßlein auf der Heiden.</l><lb/>
              <l>Er &#x017F;ah, es war &#x017F;o fri&#x017F;ch und &#x017F;cho&#x0364;n</l><lb/>
              <l>Und blieb &#x017F;tehn, es anzu&#x017F;ehen</l><lb/>
              <l> <hi rendition="#fr">Und &#x017F;tand in &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Freuden.</hi> </l>
            </lg>
          </quote>
          <bibl/>
        </cit><lb/>
        <p>Jch &#x017F;upplire die&#x017F;e Reihe nur aus dem Geda&#x0364;cht-<lb/>
niß, und nun folgt das kindi&#x017F;che Ritornellbey<lb/>
jeder Strophe:</p><lb/>
        <cit>
          <quote>
            <lg type="poem">
              <l>Ro&#x0364;ßlein, Ro&#x0364;ßlein, Ro&#x0364;ßlein roth,</l><lb/>
              <l>Ro&#x0364;ßlein auf der Heiden!</l><lb/>
              <l>Der Knabe &#x017F;prach: ich breche dich!</l><lb/>
              <l>Ro&#x0364;ßlein &#xA75B;c.</l><lb/>
              <l>Das Ro&#x0364;ßlein &#x017F;prach: ich &#x017F;teche dich,</l><lb/>
              <l>Daß du ewig denk&#x017F;t an mich</l><lb/>
              <l>Daß ichs nicht will leiden! Ro&#x0364;ßlein &#xA75B;c.</l><lb/>
              <l>Jedoch der wilde Knabe brach,</l><lb/>
              <l>Das Ro&#x0364;ßlein &#xA75B;c.</l><lb/>
              <l>Das Ro&#x0364;ßlein wehrte &#x017F;ich und &#x017F;tach,</l><lb/>
              <l>Aber er vergaß darnach</l><lb/>
              <l>Beym Genuß das Leiden! Ro&#x0364;ßlein &#xA75B;c</l>
            </lg>
          </quote>
          <bibl/>
        </cit><lb/>
        <p>J&#x017F;t das nicht Kinderton? Und noch muß ich<lb/>
Jhnen Eine Aenderung des lebendigen Ge&#x017F;an-<lb/>
ges melden. Der Vor&#x017F;chlag thut bey den<lb/>
Liedern des Volks eine &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;e und gute Wu&#x0364;r-<lb/>
kung, daß ich aus Deut&#x017F;chen und Engli&#x017F;chen<lb/>
alten Stu&#x0364;cken &#x017F;ehe, wie viel die <hi rendition="#fr">Min&#x017F;trels</hi><lb/>
darauf gehalten: und der i&#x017F;t nun noch im Deut-<lb/>
&#x017F;chen wie im Engli&#x017F;chen in den Volksliedern<lb/>
mei&#x017F;tens der dunkle Laut von <hi rendition="#aq">the</hi> in beydem<lb/>
Ge&#x017F;chlecht <hi rendition="#fr">(de Knabe) &#x2019;s</hi> &#x017F;tatt <hi rendition="#fr">das (&#x2019;s Ro&#x0364;ß-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 5</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">lein)</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0061] Fabelliedchen. Es ſah’ ein Knab’ ein Roͤßlein ſtehn Ein Roͤßlein auf der Heiden. Er ſah, es war ſo friſch und ſchoͤn Und blieb ſtehn, es anzuſehen Und ſtand in ſuͤſſen Freuden. Jch ſupplire dieſe Reihe nur aus dem Gedaͤcht- niß, und nun folgt das kindiſche Ritornellbey jeder Strophe: Roͤßlein, Roͤßlein, Roͤßlein roth, Roͤßlein auf der Heiden! Der Knabe ſprach: ich breche dich! Roͤßlein ꝛc. Das Roͤßlein ſprach: ich ſteche dich, Daß du ewig denkſt an mich Daß ichs nicht will leiden! Roͤßlein ꝛc. Jedoch der wilde Knabe brach, Das Roͤßlein ꝛc. Das Roͤßlein wehrte ſich und ſtach, Aber er vergaß darnach Beym Genuß das Leiden! Roͤßlein ꝛc Jſt das nicht Kinderton? Und noch muß ich Jhnen Eine Aenderung des lebendigen Geſan- ges melden. Der Vorſchlag thut bey den Liedern des Volks eine ſo groſſe und gute Wuͤr- kung, daß ich aus Deutſchen und Engliſchen alten Stuͤcken ſehe, wie viel die Minſtrels darauf gehalten: und der iſt nun noch im Deut- ſchen wie im Engliſchen in den Volksliedern meiſtens der dunkle Laut von the in beydem Geſchlecht (de Knabe) ’s ſtatt das (’s Roͤß- lein) D 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/61
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/61>, abgerufen am 24.11.2024.