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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

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Wesen der neuen Dichtgattung zu setzen, daß
es sein Lieblingsgedanke ward, nun einen
neuen Homer zu entwickeln, und ihn so vor-
theilhaft mit dem Ersten zu vergleichen; daß
er keinen unwesentlichen Umstand vergaß, der
nur in der Vorstellung seinen Begriff der
Grösse habenden Handlung unterstützen
konnte. -- Alle das zeigt, daß der grosse
Mann auch im grossen Sinn seiner Zeit phi-
losophirte, und nichts weniger, als an den
verengernden kindischen Läppereyen schuld ist,
die man aus ihm später zum Papier gerüste
der Bühne machen wollen. Er hat offenbar,
in seinem vortreflichen Kapitel vom Wesen der
Fabel "in keine andre Regeln gewußt und an-
"erkannt, als den Blick des Zuschauers, Seele,
"Jllusion!" und sagt ausdrücklich, daß sich
sonst die Schranken ihrer Länge, mithin
noch weniger Art oder Zeit und Raum des
Baues durch keine Regeln bestimmen lassen.
O wenn Aristoteles wieder auf lebte, und den
falschen, widersinnigen Gebrauch seiner Re-
geln bey Drama's ganz andrer Art sähe. --
Doch wir bleiben noch lieber bey der stillen,
ruhigen Untersuchung.



Wie sich Alles in der Welt ändert: so
muste sich auch die Natur ändern, die eigent-
lich das griechische Drama schuf. Welt-

ver-
F

Weſen der neuen Dichtgattung zu ſetzen, daß
es ſein Lieblingsgedanke ward, nun einen
neuen Homer zu entwickeln, und ihn ſo vor-
theilhaft mit dem Erſten zu vergleichen; daß
er keinen unweſentlichen Umſtand vergaß, der
nur in der Vorſtellung ſeinen Begriff der
Groͤſſe habenden Handlung unterſtuͤtzen
konnte. — Alle das zeigt, daß der groſſe
Mann auch im groſſen Sinn ſeiner Zeit phi-
loſophirte, und nichts weniger, als an den
verengernden kindiſchen Laͤppereyen ſchuld iſt,
die man aus ihm ſpaͤter zum Papier geruͤſte
der Buͤhne machen wollen. Er hat offenbar,
in ſeinem vortreflichen Kapitel vom Weſen der
Fabel „in keine andre Regeln gewußt und an-
„erkannt, als den Blick des Zuſchauers, Seele,
„Jlluſion!„ und ſagt ausdruͤcklich, daß ſich
ſonſt die Schranken ihrer Laͤnge, mithin
noch weniger Art oder Zeit und Raum des
Baues durch keine Regeln beſtimmen laſſen.
O wenn Ariſtoteles wieder auf lebte, und den
falſchen, widerſinnigen Gebrauch ſeiner Re-
geln bey Drama’s ganz andrer Art ſaͤhe. —
Doch wir bleiben noch lieber bey der ſtillen,
ruhigen Unterſuchung.



Wie ſich Alles in der Welt aͤndert: ſo
muſte ſich auch die Natur aͤndern, die eigent-
lich das griechiſche Drama ſchuf. Welt-

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F
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[81/0085] Weſen der neuen Dichtgattung zu ſetzen, daß es ſein Lieblingsgedanke ward, nun einen neuen Homer zu entwickeln, und ihn ſo vor- theilhaft mit dem Erſten zu vergleichen; daß er keinen unweſentlichen Umſtand vergaß, der nur in der Vorſtellung ſeinen Begriff der Groͤſſe habenden Handlung unterſtuͤtzen konnte. — Alle das zeigt, daß der groſſe Mann auch im groſſen Sinn ſeiner Zeit phi- loſophirte, und nichts weniger, als an den verengernden kindiſchen Laͤppereyen ſchuld iſt, die man aus ihm ſpaͤter zum Papier geruͤſte der Buͤhne machen wollen. Er hat offenbar, in ſeinem vortreflichen Kapitel vom Weſen der Fabel „in keine andre Regeln gewußt und an- „erkannt, als den Blick des Zuſchauers, Seele, „Jlluſion!„ und ſagt ausdruͤcklich, daß ſich ſonſt die Schranken ihrer Laͤnge, mithin noch weniger Art oder Zeit und Raum des Baues durch keine Regeln beſtimmen laſſen. O wenn Ariſtoteles wieder auf lebte, und den falſchen, widerſinnigen Gebrauch ſeiner Re- geln bey Drama’s ganz andrer Art ſaͤhe. — Doch wir bleiben noch lieber bey der ſtillen, ruhigen Unterſuchung. Wie ſich Alles in der Welt aͤndert: ſo muſte ſich auch die Natur aͤndern, die eigent- lich das griechiſche Drama ſchuf. Welt- ver- F

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/85>, abgerufen am 24.11.2024.