Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kapitel 5; Kapitel 6. In: Über die neuere Deutsche Litteratur. […] Dritte Sammlung. Riga, 1767, S. 50–75.

Bild:
<< vorherige Seite

Schönheit dich erfüllen soll: so liesest du wie ein Meßkünstler und Handwerker, oder Tagelöhner.)

Aber siehest du den Ausdruck als ein Geschöpf, das sich die Empfindung geschaffen, als ein Sinnbild, in dem sich ihr Bildniß abdrucket; siehest du den ganzen Ausdruck als einen Boten des Gedankens, und als den Pallast, den seine ganze Größe erfüllet: so wirst du mit den Augen sehen, mit denen Plato sah, wenn er sich der unkörperlichen Schönheit aus dem Reiche der Geister erinnerte, mit denen Winkelmann siehet, wenn er bei dem Apoll im Belvedere, oder dem Herkules im Torso oder dem Laokoon, oder der Niobe ins Reich unkörperlicher Ideen geräth, du wirst mit dem Auge deine Hand leiten, mit welchem Mengs die Schönheit siehet.

Ich rede nicht von einzelnen Stücken, sondern von dem vollendeten Ausdrucke eines ganzen Werks der ältesten Zeiten, wo ich Gedanken und Rede eines Schriftstellers, mir zu einem Ganzen bilde, und es meinen Lesern vor Augen stelle. Wenn hier die Stärke der Gedanken sich mit dem starken

Schönheit dich erfüllen soll: so liesest du wie ein Meßkünstler und Handwerker, oder Tagelöhner.)

Aber siehest du den Ausdruck als ein Geschöpf, das sich die Empfindung geschaffen, als ein Sinnbild, in dem sich ihr Bildniß abdrucket; siehest du den ganzen Ausdruck als einen Boten des Gedankens, und als den Pallast, den seine ganze Größe erfüllet: so wirst du mit den Augen sehen, mit denen Plato sah, wenn er sich der unkörperlichen Schönheit aus dem Reiche der Geister erinnerte, mit denen Winkelmann siehet, wenn er bei dem Apoll im Belvedere, oder dem Herkules im Torso oder dem Laokoon, oder der Niobe ins Reich unkörperlicher Ideen geräth, du wirst mit dem Auge deine Hand leiten, mit welchem Mengs die Schönheit siehet.

Ich rede nicht von einzelnen Stücken, sondern von dem vollendeten Ausdrucke eines ganzen Werks der ältesten Zeiten, wo ich Gedanken und Rede eines Schriftstellers, mir zu einem Ganzen bilde, und es meinen Lesern vor Augen stelle. Wenn hier die Stärke der Gedanken sich mit dem starken

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0025" n="73"/>
Schönheit dich  erfüllen soll: so liesest du wie ein Meßkünstler und Handwerker, oder Tagelöhner.)  </p><lb/>
        <p>  Aber siehest du den Ausdruck als ein Geschöpf, das sich die <hi rendition="#g">Empfindung</hi> geschaffen, als   ein Sinnbild, in dem sich ihr Bildniß abdrucket; siehest du den ganzen Ausdruck als   einen Boten des Gedankens, und als den Pallast, den seine ganze Größe erfüllet: so   wirst du mit den Augen sehen, mit denen Plato sah, wenn er sich der unkörperlichen   Schönheit aus dem Reiche der Geister erinnerte, mit denen <hi rendition="#g">Winkelmann</hi> siehet, wenn   er bei dem <hi rendition="#g">Apoll</hi> im <hi rendition="#g">Belvedere</hi>, oder  dem <hi rendition="#g">Herkules</hi> im <hi rendition="#g">Torso</hi> oder dem <hi rendition="#g">Laokoon</hi>, oder der <hi rendition="#g">Niobe</hi> ins Reich unkörperlicher   Ideen geräth, du wirst mit dem Auge deine Hand leiten, mit welchem <hi rendition="#g">Mengs</hi> die <hi rendition="#g">Schönheit</hi> siehet.  </p><lb/>
        <p>  Ich rede nicht von einzelnen Stücken, sondern von dem vollendeten <hi rendition="#g">Ausdrucke</hi> eines   ganzen Werks der ältesten Zeiten, wo ich <hi rendition="#g">Gedanken und Rede</hi> eines Schriftstellers, mir   zu einem Ganzen bilde, und es meinen Lesern vor Augen stelle. Wenn hier die Stärke der   Gedanken sich mit dem starken
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0025] Schönheit dich erfüllen soll: so liesest du wie ein Meßkünstler und Handwerker, oder Tagelöhner.) Aber siehest du den Ausdruck als ein Geschöpf, das sich die Empfindung geschaffen, als ein Sinnbild, in dem sich ihr Bildniß abdrucket; siehest du den ganzen Ausdruck als einen Boten des Gedankens, und als den Pallast, den seine ganze Größe erfüllet: so wirst du mit den Augen sehen, mit denen Plato sah, wenn er sich der unkörperlichen Schönheit aus dem Reiche der Geister erinnerte, mit denen Winkelmann siehet, wenn er bei dem Apoll im Belvedere, oder dem Herkules im Torso oder dem Laokoon, oder der Niobe ins Reich unkörperlicher Ideen geräth, du wirst mit dem Auge deine Hand leiten, mit welchem Mengs die Schönheit siehet. Ich rede nicht von einzelnen Stücken, sondern von dem vollendeten Ausdrucke eines ganzen Werks der ältesten Zeiten, wo ich Gedanken und Rede eines Schriftstellers, mir zu einem Ganzen bilde, und es meinen Lesern vor Augen stelle. Wenn hier die Stärke der Gedanken sich mit dem starken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2018-09-17T13:00:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-09-17T13:00:42Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_gedanke_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_gedanke_1767/25
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kapitel 5; Kapitel 6. In: Über die neuere Deutsche Litteratur. […] Dritte Sammlung. Riga, 1767, S. 50–75, hier S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_gedanke_1767/25>, abgerufen am 26.04.2024.