Wie sehr trug die Natur hiedurch zur Vervollkomm- nung der Gattungen bei. Der flüchtige Vogel kann nur brüten; und wie schöne Triebe beyder Geschlechter entstehen schon aus dieser kleinen Haushaltung! Die eheliche Liebe bauet, die mütterliche Liebe erwärmet das Nest; die väter- liche versorget es und hilft es mit erwärmen. Wie verthei- digt eine Vogelmutter ihre Jungen! wie keusch ist in den Geschlechtern, die zur Ehe gemacht sind, ihre eheliche Lie- be! -- Bei den Thieren der Erde sollte dies Band, wo möglich, noch stärker werden: darum bekam die Mutter ihr Lebendiggebohrnes an die Brust, es mit den zärtesten Theilen ihrer selbst zu nähren. Nur ein grob organisirtes Schwein ists, das seine eigne Jungen frißt: nur kalte Am- phibien sinds, die ihre Eier dem Sande oder Morast geben. Mit Zärtlichkeit sorgen alle säugende Geschlechter für ihre Jungen; die Liebe des Affen ist zum Sprichwort gewor- den, und vielleicht giebt keine andre Gattung ihm nach. Selbst Seegeschöpfe nehmen daran Theil, und der Manati ist bis zum Fabelhaften ein Bild der ehelichen und mütter- lichen Liebe. Zärtliche Haushälterin der Welt, an so ein- fache organische Bande knüpftest du die nothwendigsten Be- ziehungen, so wie die schönsten Triebe deiner Kinder. Auf eine Höle der Herzmuskel, auf eine athmende Lunge kams an, daß das Geschöpf mit stärkerer und feinerer Wärme
lebte,
Wie ſehr trug die Natur hiedurch zur Vervollkomm- nung der Gattungen bei. Der fluͤchtige Vogel kann nur bruͤten; und wie ſchoͤne Triebe beyder Geſchlechter entſtehen ſchon aus dieſer kleinen Haushaltung! Die eheliche Liebe bauet, die muͤtterliche Liebe erwaͤrmet das Neſt; die vaͤter- liche verſorget es und hilft es mit erwaͤrmen. Wie verthei- digt eine Vogelmutter ihre Jungen! wie keuſch iſt in den Geſchlechtern, die zur Ehe gemacht ſind, ihre eheliche Lie- be! — Bei den Thieren der Erde ſollte dies Band, wo moͤglich, noch ſtaͤrker werden: darum bekam die Mutter ihr Lebendiggebohrnes an die Bruſt, es mit den zaͤrteſten Theilen ihrer ſelbſt zu naͤhren. Nur ein grob organiſirtes Schwein iſts, das ſeine eigne Jungen frißt: nur kalte Am- phibien ſinds, die ihre Eier dem Sande oder Moraſt geben. Mit Zaͤrtlichkeit ſorgen alle ſaͤugende Geſchlechter fuͤr ihre Jungen; die Liebe des Affen iſt zum Sprichwort gewor- den, und vielleicht giebt keine andre Gattung ihm nach. Selbſt Seegeſchoͤpfe nehmen daran Theil, und der Manati iſt bis zum Fabelhaften ein Bild der ehelichen und muͤtter- lichen Liebe. Zaͤrtliche Haushaͤlterin der Welt, an ſo ein- fache organiſche Bande knuͤpfteſt du die nothwendigſten Be- ziehungen, ſo wie die ſchoͤnſten Triebe deiner Kinder. Auf eine Hoͤle der Herzmuskel, auf eine athmende Lunge kams an, daß das Geſchoͤpf mit ſtaͤrkerer und feinerer Waͤrme
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Wie ſehr trug die Natur hiedurch zur Vervollkomm-
nung der Gattungen bei. Der fluͤchtige Vogel kann nur
bruͤten; und wie ſchoͤne Triebe beyder Geſchlechter entſtehen
ſchon aus dieſer kleinen Haushaltung! Die eheliche Liebe
bauet, die muͤtterliche Liebe erwaͤrmet das Neſt; die vaͤter-
liche verſorget es und hilft es mit erwaͤrmen. Wie verthei-
digt eine Vogelmutter ihre Jungen! wie keuſch iſt in den
Geſchlechtern, die zur Ehe gemacht ſind, ihre eheliche Lie-
be! — Bei den Thieren der Erde ſollte dies Band, wo
moͤglich, noch ſtaͤrker werden: darum bekam die Mutter
ihr Lebendiggebohrnes an die Bruſt, es mit den zaͤrteſten
Theilen ihrer ſelbſt zu naͤhren. Nur ein grob organiſirtes
Schwein iſts, das ſeine eigne Jungen frißt: nur kalte Am-
phibien ſinds, die ihre Eier dem Sande oder Moraſt geben.
Mit Zaͤrtlichkeit ſorgen alle ſaͤugende Geſchlechter fuͤr ihre
Jungen; die Liebe des Affen iſt zum Sprichwort gewor-
den, und vielleicht giebt keine andre Gattung ihm nach.
Selbſt Seegeſchoͤpfe nehmen daran Theil, und der Manati
iſt bis zum Fabelhaften ein Bild der ehelichen und muͤtter-
lichen Liebe. Zaͤrtliche Haushaͤlterin der Welt, an ſo ein-
fache organiſche Bande knuͤpfteſt du die nothwendigſten Be-
ziehungen, ſo wie die ſchoͤnſten Triebe deiner Kinder. Auf
eine Hoͤle der Herzmuskel, auf eine athmende Lunge kams
an, daß das Geſchoͤpf mit ſtaͤrkerer und feinerer Waͤrme
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/132>, abgerufen am 24.11.2024.
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