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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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terschieden, die im Ganzen nicht nur unwiderlegbar bleiben,
sondern noch die reichste Anwendung, auch bei andern als
menschlichen Körpern, zur physiologischen Seelenlehre ge-
währen dürfte.

Nun lasse ichs dahin gestellet seyn, ob nicht diese drei
allerdings so verschiednen Erscheinungen im Grunde Ein' und
dieselbe Kraft seyn könnten, die sich in der Faser anders, an-
ders im Muskel, anders im Nervengebäude offenbaret. Da
alles in der Natur verknüpft und diese drei Wirkungen im
belebten Körper so innig und vielfach verbunden sind: so
läßt sich daran kaum zweifeln. Elasticität und Reizbarkeit
grenzen aneinander, wie Fiber und Muskel zusammen
grenzen. So wie dieser nur ein verflochtnes Kunstgebilde
jener ist: so ist auch die Reizbarkeit wahrscheinlich nichts als
eine auf innige Art unendlich vermehrte Schnellkraft, die in
dieser organischen Verschlingung vieler Theile sich aus dem
todten Fiberngefühl zur ersten Stuffe des thierischen Selbst-
reizes erhoben. Die Empfindsamkeit des Nervensystems
wird sodenn die dritte höhere Art derselben Kraft seyn, ein
Resultat aller jener organischen Kräfte; da der ganze Kreis-
lauf des Bluts und aller ihm untergeordneten Gefäße dazu
zu gehören scheint, das Gehirn als die Wurzel der Nerven
mit dem feinen Saft zu befeuchten, der sich als Medium der

Em-

terſchieden, die im Ganzen nicht nur unwiderlegbar bleiben,
ſondern noch die reichſte Anwendung, auch bei andern als
menſchlichen Koͤrpern, zur phyſiologiſchen Seelenlehre ge-
waͤhren duͤrfte.

Nun laſſe ichs dahin geſtellet ſeyn, ob nicht dieſe drei
allerdings ſo verſchiednen Erſcheinungen im Grunde Ein' und
dieſelbe Kraft ſeyn koͤnnten, die ſich in der Faſer anders, an-
ders im Muskel, anders im Nervengebaͤude offenbaret. Da
alles in der Natur verknuͤpft und dieſe drei Wirkungen im
belebten Koͤrper ſo innig und vielfach verbunden ſind: ſo
laͤßt ſich daran kaum zweifeln. Elaſticitaͤt und Reizbarkeit
grenzen aneinander, wie Fiber und Muskel zuſammen
grenzen. So wie dieſer nur ein verflochtnes Kunſtgebilde
jener iſt: ſo iſt auch die Reizbarkeit wahrſcheinlich nichts als
eine auf innige Art unendlich vermehrte Schnellkraft, die in
dieſer organiſchen Verſchlingung vieler Theile ſich aus dem
todten Fiberngefuͤhl zur erſten Stuffe des thieriſchen Selbſt-
reizes erhoben. Die Empfindſamkeit des Nervenſyſtems
wird ſodenn die dritte hoͤhere Art derſelben Kraft ſeyn, ein
Reſultat aller jener organiſchen Kraͤfte; da der ganze Kreis-
lauf des Bluts und aller ihm untergeordneten Gefaͤße dazu
zu gehoͤren ſcheint, das Gehirn als die Wurzel der Nerven
mit dem feinen Saft zu befeuchten, der ſich als Medium der

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[112/0134] terſchieden, die im Ganzen nicht nur unwiderlegbar bleiben, ſondern noch die reichſte Anwendung, auch bei andern als menſchlichen Koͤrpern, zur phyſiologiſchen Seelenlehre ge- waͤhren duͤrfte. Nun laſſe ichs dahin geſtellet ſeyn, ob nicht dieſe drei allerdings ſo verſchiednen Erſcheinungen im Grunde Ein' und dieſelbe Kraft ſeyn koͤnnten, die ſich in der Faſer anders, an- ders im Muskel, anders im Nervengebaͤude offenbaret. Da alles in der Natur verknuͤpft und dieſe drei Wirkungen im belebten Koͤrper ſo innig und vielfach verbunden ſind: ſo laͤßt ſich daran kaum zweifeln. Elaſticitaͤt und Reizbarkeit grenzen aneinander, wie Fiber und Muskel zuſammen grenzen. So wie dieſer nur ein verflochtnes Kunſtgebilde jener iſt: ſo iſt auch die Reizbarkeit wahrſcheinlich nichts als eine auf innige Art unendlich vermehrte Schnellkraft, die in dieſer organiſchen Verſchlingung vieler Theile ſich aus dem todten Fiberngefuͤhl zur erſten Stuffe des thieriſchen Selbſt- reizes erhoben. Die Empfindſamkeit des Nervenſyſtems wird ſodenn die dritte hoͤhere Art derſelben Kraft ſeyn, ein Reſultat aller jener organiſchen Kraͤfte; da der ganze Kreis- lauf des Bluts und aller ihm untergeordneten Gefaͤße dazu zu gehoͤren ſcheint, das Gehirn als die Wurzel der Nerven mit dem feinen Saft zu befeuchten, der ſich als Medium der Em-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/134>, abgerufen am 03.05.2024.