aber Schnecken- oder Meeresgefühl, ein Chaos der dunkel- sten Lebenskräfte, unentwickelt bis auf wenige Glieder. Siehe die feinen Fühlhörner, den Muskel, der den Seh- nerven vertritt, den offenen Mund, den Anfang des schla- genden Herzens; und welch ein Wunder! die sonderbaren Reproductionskräfte. Das Thier erstattet sich Kopf, Hör- ner, Kinnlade, Augen: es bauet nicht nur seine künstliche Schale und reibt sie ab, sondern erzeugt auch lebendige We- sen mit eben der künstlichen Schale und manche Geschlech- ter sind zugleich Mann und Weib. Jn ihm liegt also eine Welt von organischen Kräften, vermöge deren das Ge- schöpf auf seiner Stufe vermag, was keins von ausgewickel- ten Gliedern vermochte und in denen das zähe Schleimge- bilde um so inniger und unabläßiger wirket.
4. Das Jnsekt, ein so kunstreiches Geschöpf in seinen Wirkungen, ist gerade so kunstreich in seinem Bau: seine organische Kräfte sind demselben, sogar einzelnen Theilen nach, gleichförmig. Noch fand sich an ihm zu wenigem Ge- hirn, und nur zu äusserst feinen Nerven Raum; seine Mus- keln sind noch so zart, daß harte Decken sie von aussen bepan- zern müssen und zum Kreislauf der größern Landthiere war in seiner Organisation keine Stelle. Sehet aber seinen Kopf, seine Augen, seine Fühlhörner, seine Füße, seine
Schilde,
aber Schnecken- oder Meeresgefuͤhl, ein Chaos der dunkel- ſten Lebenskraͤfte, unentwickelt bis auf wenige Glieder. Siehe die feinen Fuͤhlhoͤrner, den Muskel, der den Seh- nerven vertritt, den offenen Mund, den Anfang des ſchla- genden Herzens; und welch ein Wunder! die ſonderbaren Reproductionskraͤfte. Das Thier erſtattet ſich Kopf, Hoͤr- ner, Kinnlade, Augen: es bauet nicht nur ſeine kuͤnſtliche Schale und reibt ſie ab, ſondern erzeugt auch lebendige We- ſen mit eben der kuͤnſtlichen Schale und manche Geſchlech- ter ſind zugleich Mann und Weib. Jn ihm liegt alſo eine Welt von organiſchen Kraͤften, vermoͤge deren das Ge- ſchoͤpf auf ſeiner Stufe vermag, was keins von ausgewickel- ten Gliedern vermochte und in denen das zaͤhe Schleimge- bilde um ſo inniger und unablaͤßiger wirket.
4. Das Jnſekt, ein ſo kunſtreiches Geſchoͤpf in ſeinen Wirkungen, iſt gerade ſo kunſtreich in ſeinem Bau: ſeine organiſche Kraͤfte ſind demſelben, ſogar einzelnen Theilen nach, gleichfoͤrmig. Noch fand ſich an ihm zu wenigem Ge- hirn, und nur zu aͤuſſerſt feinen Nerven Raum; ſeine Mus- keln ſind noch ſo zart, daß harte Decken ſie von auſſen bepan- zern muͤſſen und zum Kreislauf der groͤßern Landthiere war in ſeiner Organiſation keine Stelle. Sehet aber ſeinen Kopf, ſeine Augen, ſeine Fuͤhlhoͤrner, ſeine Fuͤße, ſeine
Schilde,
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aber Schnecken- oder Meeresgefuͤhl, ein Chaos der dunkel-
ſten Lebenskraͤfte, unentwickelt bis auf wenige Glieder.
Siehe die feinen Fuͤhlhoͤrner, den Muskel, der den Seh-
nerven vertritt, den offenen Mund, den Anfang des ſchla-
genden Herzens; und welch ein Wunder! die ſonderbaren
Reproductionskraͤfte. Das Thier erſtattet ſich Kopf, Hoͤr-
ner, Kinnlade, Augen: es bauet nicht nur ſeine kuͤnſtliche
Schale und reibt ſie ab, ſondern erzeugt auch lebendige We-
ſen mit eben der kuͤnſtlichen Schale und manche Geſchlech-
ter ſind zugleich Mann und Weib. Jn ihm liegt alſo eine
Welt von organiſchen Kraͤften, vermoͤge deren das Ge-
ſchoͤpf auf ſeiner Stufe vermag, was keins von ausgewickel-
ten Gliedern vermochte und in denen das zaͤhe Schleimge-
bilde um ſo inniger und unablaͤßiger wirket.
4. Das Jnſekt, ein ſo kunſtreiches Geſchoͤpf in ſeinen
Wirkungen, iſt gerade ſo kunſtreich in ſeinem Bau: ſeine
organiſche Kraͤfte ſind demſelben, ſogar einzelnen Theilen
nach, gleichfoͤrmig. Noch fand ſich an ihm zu wenigem Ge-
hirn, und nur zu aͤuſſerſt feinen Nerven Raum; ſeine Mus-
keln ſind noch ſo zart, daß harte Decken ſie von auſſen bepan-
zern muͤſſen und zum Kreislauf der groͤßern Landthiere war
in ſeiner Organiſation keine Stelle. Sehet aber ſeinen
Kopf, ſeine Augen, ſeine Fuͤhlhoͤrner, ſeine Fuͤße, ſeine
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/142>, abgerufen am 24.11.2024.
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