Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

der Gedanke ein: ob denn, da alles in der Welt
seine Philosophie und Wissenschaft habe,
nicht auch das, was uns am nächsten an-
geht, die Geschichte der Menschheit im
Ganzen und Großen eine Philosophie
und Wissenschaft haben sollte
?
Alles erinnerte
mich daran, Metaphysik und Moral, Physik und Naturge-
schichte, die Religion endlich am meisten. Der Gott, der
in der Natur Alles nach Maas, Zahl und Gewicht geord-
net, der darnach das Wesen der Dinge, ihre Gestalt und
Verknüpfung, ihren Lauf und ihre Erhaltung eingerichtet
hat, so daß vom großen Weltgebäude bis zum Staubkorn,
von der Kraft, die Erden und Sonnen hält, bis zum Fa-
den eines Spinnegewebes nur Eine Weisheit, Güte und
Macht herrschet, Er, der auch im menschlichen Körper und
in den Kräften der menschlichen Seele alles so wunderbar
und göttlich überdacht hat, daß wenn wir dem Allein-
Weisen
nur fernher nachzudenken wagen, wir uns in ei-
nem Abgrunde seiner Gedanken verlieren; wie, sprach ich
zu mir, dieser Gott sollte in der Bestimmung und Einrich-
tung unsres Geschlechts im Ganzen von seiner Weisheit
und Güte ablassen und hier keinen Plan haben? Oder er
sollte uns denselben verbergen wollen, da er uns in der nie-
drigern Schöpfung, die uns weniger angeht, so viel von

den
* *

der Gedanke ein: ob denn, da alles in der Welt
ſeine Philoſophie und Wiſſenſchaft habe,
nicht auch das, was uns am naͤchſten an-
geht, die Geſchichte der Menſchheit im
Ganzen und Großen eine Philoſophie
und Wiſſenſchaft haben ſollte
?
Alles erinnerte
mich daran, Metaphyſik und Moral, Phyſik und Naturge-
ſchichte, die Religion endlich am meiſten. Der Gott, der
in der Natur Alles nach Maas, Zahl und Gewicht geord-
net, der darnach das Weſen der Dinge, ihre Geſtalt und
Verknuͤpfung, ihren Lauf und ihre Erhaltung eingerichtet
hat, ſo daß vom großen Weltgebaͤude bis zum Staubkorn,
von der Kraft, die Erden und Sonnen haͤlt, bis zum Fa-
den eines Spinnegewebes nur Eine Weisheit, Guͤte und
Macht herrſchet, Er, der auch im menſchlichen Koͤrper und
in den Kraͤften der menſchlichen Seele alles ſo wunderbar
und goͤttlich uͤberdacht hat, daß wenn wir dem Allein-
Weiſen
nur fernher nachzudenken wagen, wir uns in ei-
nem Abgrunde ſeiner Gedanken verlieren; wie, ſprach ich
zu mir, dieſer Gott ſollte in der Beſtimmung und Einrich-
tung unſres Geſchlechts im Ganzen von ſeiner Weisheit
und Guͤte ablaſſen und hier keinen Plan haben? Oder er
ſollte uns denſelben verbergen wollen, da er uns in der nie-
drigern Schoͤpfung, die uns weniger angeht, ſo viel von

den
* *
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015"/>
der Gedanke ein: <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">ob denn, da alles in der Welt<lb/>
&#x017F;eine Philo&#x017F;ophie und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft habe,<lb/>
nicht auch das, was uns am na&#x0364;ch&#x017F;ten an-<lb/>
geht, die Ge&#x017F;chichte der Men&#x017F;chheit im<lb/>
Ganzen und Großen eine Philo&#x017F;ophie<lb/>
und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft haben &#x017F;ollte</hi>?</hi> Alles erinnerte<lb/>
mich daran, Metaphy&#x017F;ik und Moral, Phy&#x017F;ik und Naturge-<lb/>
&#x017F;chichte, die Religion endlich am mei&#x017F;ten. Der Gott, der<lb/>
in der Natur Alles nach Maas, Zahl und Gewicht geord-<lb/>
net, der darnach das We&#x017F;en der Dinge, ihre Ge&#x017F;talt und<lb/>
Verknu&#x0364;pfung, ihren Lauf und ihre Erhaltung eingerichtet<lb/>
hat, &#x017F;o daß vom großen Weltgeba&#x0364;ude bis zum Staubkorn,<lb/>
von der Kraft, die Erden und Sonnen ha&#x0364;lt, bis zum Fa-<lb/>
den eines Spinnegewebes nur Eine Weisheit, Gu&#x0364;te und<lb/>
Macht herr&#x017F;chet, Er, der auch im men&#x017F;chlichen Ko&#x0364;rper und<lb/>
in den Kra&#x0364;ften der men&#x017F;chlichen Seele alles &#x017F;o wunderbar<lb/>
und go&#x0364;ttlich u&#x0364;berdacht hat, daß wenn wir dem <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Allein-<lb/>
Wei&#x017F;en</hi></hi> nur fernher nachzudenken wagen, wir uns in ei-<lb/>
nem Abgrunde &#x017F;einer Gedanken verlieren; wie, &#x017F;prach ich<lb/>
zu mir, die&#x017F;er Gott &#x017F;ollte in der Be&#x017F;timmung und Einrich-<lb/>
tung un&#x017F;res Ge&#x017F;chlechts im Ganzen von &#x017F;einer Weisheit<lb/>
und Gu&#x0364;te abla&#x017F;&#x017F;en und hier keinen Plan haben? Oder er<lb/>
&#x017F;ollte uns den&#x017F;elben verbergen wollen, da er uns in der nie-<lb/>
drigern Scho&#x0364;pfung, die uns weniger angeht, &#x017F;o viel von<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">* *</fw><fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0015] der Gedanke ein: ob denn, da alles in der Welt ſeine Philoſophie und Wiſſenſchaft habe, nicht auch das, was uns am naͤchſten an- geht, die Geſchichte der Menſchheit im Ganzen und Großen eine Philoſophie und Wiſſenſchaft haben ſollte? Alles erinnerte mich daran, Metaphyſik und Moral, Phyſik und Naturge- ſchichte, die Religion endlich am meiſten. Der Gott, der in der Natur Alles nach Maas, Zahl und Gewicht geord- net, der darnach das Weſen der Dinge, ihre Geſtalt und Verknuͤpfung, ihren Lauf und ihre Erhaltung eingerichtet hat, ſo daß vom großen Weltgebaͤude bis zum Staubkorn, von der Kraft, die Erden und Sonnen haͤlt, bis zum Fa- den eines Spinnegewebes nur Eine Weisheit, Guͤte und Macht herrſchet, Er, der auch im menſchlichen Koͤrper und in den Kraͤften der menſchlichen Seele alles ſo wunderbar und goͤttlich uͤberdacht hat, daß wenn wir dem Allein- Weiſen nur fernher nachzudenken wagen, wir uns in ei- nem Abgrunde ſeiner Gedanken verlieren; wie, ſprach ich zu mir, dieſer Gott ſollte in der Beſtimmung und Einrich- tung unſres Geſchlechts im Ganzen von ſeiner Weisheit und Guͤte ablaſſen und hier keinen Plan haben? Oder er ſollte uns denſelben verbergen wollen, da er uns in der nie- drigern Schoͤpfung, die uns weniger angeht, ſo viel von den * *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/15
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/15>, abgerufen am 21.11.2024.