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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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Resultat von Kräften sichtbar, das sich in solcher und keiner
andern Zusammensetzung offenbaren konnte. Wirkende
Kräfte der Natur sind alle, jede in ihrer Art, lebendig: in
ihrem Jnnern muß ein Etwas seyn, das ihren Wirkungen
von außen entspricht; wie es auch Leibnitz annahm und uns
die ganze Analogie zu lehren scheinet. Daß wir für diesen
innern Zustand der Pflanze oder der noch unter ihr wirken-
den Kräfte keinen Namen haben, ist Mangel unsrer Spra-
che: denn Empfindung wird allerdings nur von dem innern
Zustande gebraucht, den uns das Nervensystem gewähret.
Ein dunkles Analogon indessen mag da seyn und wenn es
nicht da wäre: so würde uns ein neuer Trieb, eine dem Gan-
zen zugegebne Kraft der Vegetation nichts lehren.

Zwei Triebe der Natur werden also schon bei der
Pflanze sichtbar, der Trieb der Nahrung und Fortpflanzung;
und das Resultat derselben sind Kunstwerke, an welche schwer-
lich das Geschäft irgend eines lebendigen Kunstinsekts rei-
chet: es ist der Keim und die Blume. Sobald die Natur
die Pflanze oder den Stein ins Thierreich überführet, zeigt
sie uns deutlicher, was es mit den Trieben organischer Kräf-
te sei? Der Polyp scheint wie die Pflanze zu blühen und ist
Thier: er sucht und geniesset seine Speise Thierartig; er
treibt Schößlinge und es sind lebendige Thiere: er erstattet

sich,

Reſultat von Kraͤften ſichtbar, das ſich in ſolcher und keiner
andern Zuſammenſetzung offenbaren konnte. Wirkende
Kraͤfte der Natur ſind alle, jede in ihrer Art, lebendig: in
ihrem Jnnern muß ein Etwas ſeyn, das ihren Wirkungen
von außen entſpricht; wie es auch Leibnitz annahm und uns
die ganze Analogie zu lehren ſcheinet. Daß wir fuͤr dieſen
innern Zuſtand der Pflanze oder der noch unter ihr wirken-
den Kraͤfte keinen Namen haben, iſt Mangel unſrer Spra-
che: denn Empfindung wird allerdings nur von dem innern
Zuſtande gebraucht, den uns das Nervenſyſtem gewaͤhret.
Ein dunkles Analogon indeſſen mag da ſeyn und wenn es
nicht da waͤre: ſo wuͤrde uns ein neuer Trieb, eine dem Gan-
zen zugegebne Kraft der Vegetation nichts lehren.

Zwei Triebe der Natur werden alſo ſchon bei der
Pflanze ſichtbar, der Trieb der Nahrung und Fortpflanzung;
und das Reſultat derſelben ſind Kunſtwerke, an welche ſchwer-
lich das Geſchaͤft irgend eines lebendigen Kunſtinſekts rei-
chet: es iſt der Keim und die Blume. Sobald die Natur
die Pflanze oder den Stein ins Thierreich uͤberfuͤhret, zeigt
ſie uns deutlicher, was es mit den Trieben organiſcher Kraͤf-
te ſei? Der Polyp ſcheint wie die Pflanze zu bluͤhen und iſt
Thier: er ſucht und genieſſet ſeine Speiſe Thierartig; er
treibt Schoͤßlinge und es ſind lebendige Thiere: er erſtattet

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[136/0158] Reſultat von Kraͤften ſichtbar, das ſich in ſolcher und keiner andern Zuſammenſetzung offenbaren konnte. Wirkende Kraͤfte der Natur ſind alle, jede in ihrer Art, lebendig: in ihrem Jnnern muß ein Etwas ſeyn, das ihren Wirkungen von außen entſpricht; wie es auch Leibnitz annahm und uns die ganze Analogie zu lehren ſcheinet. Daß wir fuͤr dieſen innern Zuſtand der Pflanze oder der noch unter ihr wirken- den Kraͤfte keinen Namen haben, iſt Mangel unſrer Spra- che: denn Empfindung wird allerdings nur von dem innern Zuſtande gebraucht, den uns das Nervenſyſtem gewaͤhret. Ein dunkles Analogon indeſſen mag da ſeyn und wenn es nicht da waͤre: ſo wuͤrde uns ein neuer Trieb, eine dem Gan- zen zugegebne Kraft der Vegetation nichts lehren. Zwei Triebe der Natur werden alſo ſchon bei der Pflanze ſichtbar, der Trieb der Nahrung und Fortpflanzung; und das Reſultat derſelben ſind Kunſtwerke, an welche ſchwer- lich das Geſchaͤft irgend eines lebendigen Kunſtinſekts rei- chet: es iſt der Keim und die Blume. Sobald die Natur die Pflanze oder den Stein ins Thierreich uͤberfuͤhret, zeigt ſie uns deutlicher, was es mit den Trieben organiſcher Kraͤf- te ſei? Der Polyp ſcheint wie die Pflanze zu bluͤhen und iſt Thier: er ſucht und genieſſet ſeine Speiſe Thierartig; er treibt Schoͤßlinge und es ſind lebendige Thiere: er erſtattet ſich,

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/158>, abgerufen am 21.11.2024.