schenden Geistes und seiner gründlichen Wahrheitsliebe seyn wird. Nach gelehrten und Ordnungsvollen Betrachtungen über die mancherley Arten der thierischen Triebe, sucht er die- selbe aus Vorzügen ihres Mechanismus, ihrer Sinne und ihrer inneren Empfindung zu erklären; glaubt aber noch, in- sonderheit bey den Kunsttrieben, besondere determinirte Na- turkräfte und natürlich angebohrne Fertigkeiten anneh- men zu müssen, die weiter keine Erklärung leiden. Jch glaube das letzte nicht; denn die Zusammensetzung der gan- zen Maschine mit solchen und keinen andern Kräften, Sin- nen, Vorstellungen und Empfindungen, kurz die Organisa- tion des Geschöpfs selbst war die gewisseste Richtung, die vollkommenste Determination, die die Natur ihrem Werk eindrücken konnte.
Als der Schöpfer die Pflanze baute und dieselbe mit solchen Theilen, mit solchen Anziehungs- und Verwandlungs- kräften des Lichts, der Luft, und andrer feinen Wesen, die sich aus Luft und Wasser zu ihr drängen, begabte: da er sie end- lich in ihr Element pflanzte, wo jeder Theil die ihm wesentli- chen Kräfte natürlich äussert: so hatte er, dünkt mich, keinen neuen und blinden Trieb zur Vegetation dem Geschöpf an- zuschaffen nöthig. Jeder Theil mit seiner lebendigen Kraft thut das Seine und so wird bei der ganzen Erscheinung das
Re-
ſchenden Geiſtes und ſeiner gruͤndlichen Wahrheitsliebe ſeyn wird. Nach gelehrten und Ordnungsvollen Betrachtungen uͤber die mancherley Arten der thieriſchen Triebe, ſucht er die- ſelbe aus Vorzuͤgen ihres Mechaniſmus, ihrer Sinne und ihrer inneren Empfindung zu erklaͤren; glaubt aber noch, in- ſonderheit bey den Kunſttrieben, beſondere determinirte Na- turkraͤfte und natuͤrlich angebohrne Fertigkeiten anneh- men zu muͤſſen, die weiter keine Erklaͤrung leiden. Jch glaube das letzte nicht; denn die Zuſammenſetzung der gan- zen Maſchine mit ſolchen und keinen andern Kraͤften, Sin- nen, Vorſtellungen und Empfindungen, kurz die Organiſa- tion des Geſchoͤpfs ſelbſt war die gewiſſeſte Richtung, die vollkommenſte Determination, die die Natur ihrem Werk eindruͤcken konnte.
Als der Schoͤpfer die Pflanze baute und dieſelbe mit ſolchen Theilen, mit ſolchen Anziehungs- und Verwandlungs- kraͤften des Lichts, der Luft, und andrer feinen Weſen, die ſich aus Luft und Waſſer zu ihr draͤngen, begabte: da er ſie end- lich in ihr Element pflanzte, wo jeder Theil die ihm weſentli- chen Kraͤfte natuͤrlich aͤuſſert: ſo hatte er, duͤnkt mich, keinen neuen und blinden Trieb zur Vegetation dem Geſchoͤpf an- zuſchaffen noͤthig. Jeder Theil mit ſeiner lebendigen Kraft thut das Seine und ſo wird bei der ganzen Erſcheinung das
Re-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0157"n="135"/>ſchenden Geiſtes und ſeiner gruͤndlichen Wahrheitsliebe ſeyn<lb/>
wird. Nach gelehrten und Ordnungsvollen Betrachtungen<lb/>
uͤber die mancherley Arten der thieriſchen Triebe, ſucht er die-<lb/>ſelbe aus Vorzuͤgen ihres Mechaniſmus, ihrer Sinne und<lb/>
ihrer inneren Empfindung zu erklaͤren; glaubt aber noch, in-<lb/>ſonderheit bey den Kunſttrieben, beſondere <hirendition="#fr">determinirte Na-<lb/>
turkraͤfte</hi> und <hirendition="#fr">natuͤrlich angebohrne Fertigkeiten</hi> anneh-<lb/>
men zu muͤſſen, die weiter keine Erklaͤrung leiden. Jch<lb/>
glaube das letzte nicht; denn die Zuſammenſetzung der gan-<lb/>
zen Maſchine mit ſolchen und keinen andern Kraͤften, Sin-<lb/>
nen, Vorſtellungen und Empfindungen, kurz die <hirendition="#fr">Organiſa-<lb/>
tion des Geſchoͤpfs ſelbſt war die gewiſſeſte Richtung,<lb/>
die vollkommenſte Determination</hi>, die die Natur ihrem<lb/>
Werk eindruͤcken konnte.</p><lb/><p>Als der Schoͤpfer die Pflanze baute und dieſelbe mit<lb/>ſolchen Theilen, mit ſolchen Anziehungs- und Verwandlungs-<lb/>
kraͤften des Lichts, der Luft, und andrer feinen Weſen, die ſich<lb/>
aus Luft und Waſſer zu ihr draͤngen, begabte: da er ſie end-<lb/>
lich in ihr Element pflanzte, wo jeder Theil die ihm weſentli-<lb/>
chen Kraͤfte natuͤrlich aͤuſſert: ſo hatte er, duͤnkt mich, keinen<lb/>
neuen und blinden Trieb zur Vegetation dem Geſchoͤpf an-<lb/>
zuſchaffen noͤthig. Jeder Theil mit ſeiner lebendigen Kraft<lb/>
thut das Seine und ſo wird bei der ganzen Erſcheinung das<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Re-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[135/0157]
ſchenden Geiſtes und ſeiner gruͤndlichen Wahrheitsliebe ſeyn
wird. Nach gelehrten und Ordnungsvollen Betrachtungen
uͤber die mancherley Arten der thieriſchen Triebe, ſucht er die-
ſelbe aus Vorzuͤgen ihres Mechaniſmus, ihrer Sinne und
ihrer inneren Empfindung zu erklaͤren; glaubt aber noch, in-
ſonderheit bey den Kunſttrieben, beſondere determinirte Na-
turkraͤfte und natuͤrlich angebohrne Fertigkeiten anneh-
men zu muͤſſen, die weiter keine Erklaͤrung leiden. Jch
glaube das letzte nicht; denn die Zuſammenſetzung der gan-
zen Maſchine mit ſolchen und keinen andern Kraͤften, Sin-
nen, Vorſtellungen und Empfindungen, kurz die Organiſa-
tion des Geſchoͤpfs ſelbſt war die gewiſſeſte Richtung,
die vollkommenſte Determination, die die Natur ihrem
Werk eindruͤcken konnte.
Als der Schoͤpfer die Pflanze baute und dieſelbe mit
ſolchen Theilen, mit ſolchen Anziehungs- und Verwandlungs-
kraͤften des Lichts, der Luft, und andrer feinen Weſen, die ſich
aus Luft und Waſſer zu ihr draͤngen, begabte: da er ſie end-
lich in ihr Element pflanzte, wo jeder Theil die ihm weſentli-
chen Kraͤfte natuͤrlich aͤuſſert: ſo hatte er, duͤnkt mich, keinen
neuen und blinden Trieb zur Vegetation dem Geſchoͤpf an-
zuſchaffen noͤthig. Jeder Theil mit ſeiner lebendigen Kraft
thut das Seine und ſo wird bei der ganzen Erſcheinung das
Re-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/157>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.