Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

6. Jndem die bildende Künstlerin also die Propor-
tion des Landthiers
fand, die beste, darinn diese Geschöpfe
gewisse Sinnen und Kräfte gemeinschaftlich üben und zu
Einer Form der Gedanken und Empfindungen verei-
nigen
lernten: so änderte sich zwar nach der Bestimmung und
Lebensart jedweder Gattung auch die Bildung derselben und
schuf aus eben den Theilen und Gliedern jedem Geschlecht
seine eigne Harmonie des Ganzen, mithin auch seine eigne
von allen andern Geschlechtern organisch verschiedne Seele;
sie behielt indeß doch unter allen eine gewisse Aehnlichkeit bei
und schien Einen Hauptzweck zu verfolgen. Dieser Haupt-
zweck ist offenbar, sich der organischen Form zu nähren, in
der die meiste Vereinigung klarer Begriffe, der vielartigste
und freieste Gebrauch verschiedner Sinne und Glieder statt
fände; und eben dies macht die mehr oder mindere Men-
schenähnlichkeit der Thiere. Sie ist kein Spiel der Will-
kühr: sondern ein Resultat der mancherlei Formen, die zu
dem Zweck wozu sie die Natur verbinden wollte, nehmlich
zu einer Uebung der Gedanken, Sinne, Kräfte und Begier-
den in diesem Verhältniß, zu solchen und keinen andern Zwe-
cken nicht anders als also verbunden werden konnten. Die
Theile jedes Thiers stehen auf seiner Stuffe in der engsten
Proportion unter einander; und ich glaube, alle Formen sind
erschöpft, in denen nur Ein lebendiges Geschöpf auf unsrer

Erde
T 2

6. Jndem die bildende Kuͤnſtlerin alſo die Propor-
tion des Landthiers
fand, die beſte, darinn dieſe Geſchoͤpfe
gewiſſe Sinnen und Kraͤfte gemeinſchaftlich uͤben und zu
Einer Form der Gedanken und Empfindungen verei-
nigen
lernten: ſo aͤnderte ſich zwar nach der Beſtimmung und
Lebensart jedweder Gattung auch die Bildung derſelben und
ſchuf aus eben den Theilen und Gliedern jedem Geſchlecht
ſeine eigne Harmonie des Ganzen, mithin auch ſeine eigne
von allen andern Geſchlechtern organiſch verſchiedne Seele;
ſie behielt indeß doch unter allen eine gewiſſe Aehnlichkeit bei
und ſchien Einen Hauptzweck zu verfolgen. Dieſer Haupt-
zweck iſt offenbar, ſich der organiſchen Form zu naͤhren, in
der die meiſte Vereinigung klarer Begriffe, der vielartigſte
und freieſte Gebrauch verſchiedner Sinne und Glieder ſtatt
faͤnde; und eben dies macht die mehr oder mindere Men-
ſchenaͤhnlichkeit der Thiere. Sie iſt kein Spiel der Will-
kuͤhr: ſondern ein Reſultat der mancherlei Formen, die zu
dem Zweck wozu ſie die Natur verbinden wollte, nehmlich
zu einer Uebung der Gedanken, Sinne, Kraͤfte und Begier-
den in dieſem Verhaͤltniß, zu ſolchen und keinen andern Zwe-
cken nicht anders als alſo verbunden werden konnten. Die
Theile jedes Thiers ſtehen auf ſeiner Stuffe in der engſten
Proportion unter einander; und ich glaube, alle Formen ſind
erſchoͤpft, in denen nur Ein lebendiges Geſchoͤpf auf unſrer

Erde
T 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0169" n="167[147]"/>
          <p>6. Jndem die bildende Ku&#x0364;n&#x017F;tlerin al&#x017F;o die <hi rendition="#fr">Propor-<lb/>
tion des Landthiers</hi> fand, die be&#x017F;te, darinn die&#x017F;e Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe<lb/><hi rendition="#fr">gewi&#x017F;&#x017F;e Sinnen und Kra&#x0364;fte gemein&#x017F;chaftlich u&#x0364;ben und zu<lb/>
Einer Form der Gedanken und Empfindungen verei-<lb/>
nigen</hi> lernten: &#x017F;o a&#x0364;nderte &#x017F;ich zwar nach der Be&#x017F;timmung und<lb/>
Lebensart jedweder Gattung auch die Bildung der&#x017F;elben und<lb/>
&#x017F;chuf aus eben den Theilen und Gliedern jedem Ge&#x017F;chlecht<lb/>
&#x017F;eine eigne Harmonie des Ganzen, mithin auch &#x017F;eine eigne<lb/>
von allen andern Ge&#x017F;chlechtern organi&#x017F;ch ver&#x017F;chiedne Seele;<lb/>
&#x017F;ie behielt indeß doch unter allen eine gewi&#x017F;&#x017F;e Aehnlichkeit bei<lb/>
und &#x017F;chien Einen Hauptzweck zu verfolgen. Die&#x017F;er Haupt-<lb/>
zweck i&#x017F;t offenbar, &#x017F;ich der organi&#x017F;chen Form zu na&#x0364;hren, in<lb/>
der die mei&#x017F;te Vereinigung klarer Begriffe, der vielartig&#x017F;te<lb/>
und freie&#x017F;te Gebrauch ver&#x017F;chiedner Sinne und Glieder &#x017F;tatt<lb/>
fa&#x0364;nde; und eben dies macht die mehr oder mindere Men-<lb/>
&#x017F;chena&#x0364;hnlichkeit der Thiere. Sie i&#x017F;t kein Spiel der Will-<lb/>
ku&#x0364;hr: &#x017F;ondern ein Re&#x017F;ultat der mancherlei Formen, die zu<lb/>
dem Zweck wozu &#x017F;ie die Natur verbinden wollte, nehmlich<lb/>
zu einer Uebung der Gedanken, Sinne, Kra&#x0364;fte und Begier-<lb/>
den in die&#x017F;em Verha&#x0364;ltniß, zu &#x017F;olchen und keinen andern Zwe-<lb/>
cken nicht anders als al&#x017F;o verbunden werden konnten. Die<lb/>
Theile jedes Thiers &#x017F;tehen auf &#x017F;einer Stuffe in der eng&#x017F;ten<lb/>
Proportion unter einander; und ich glaube, alle Formen &#x017F;ind<lb/>
er&#x017F;cho&#x0364;pft, in denen nur Ein lebendiges Ge&#x017F;cho&#x0364;pf auf un&#x017F;rer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Erde</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167[147]/0169] 6. Jndem die bildende Kuͤnſtlerin alſo die Propor- tion des Landthiers fand, die beſte, darinn dieſe Geſchoͤpfe gewiſſe Sinnen und Kraͤfte gemeinſchaftlich uͤben und zu Einer Form der Gedanken und Empfindungen verei- nigen lernten: ſo aͤnderte ſich zwar nach der Beſtimmung und Lebensart jedweder Gattung auch die Bildung derſelben und ſchuf aus eben den Theilen und Gliedern jedem Geſchlecht ſeine eigne Harmonie des Ganzen, mithin auch ſeine eigne von allen andern Geſchlechtern organiſch verſchiedne Seele; ſie behielt indeß doch unter allen eine gewiſſe Aehnlichkeit bei und ſchien Einen Hauptzweck zu verfolgen. Dieſer Haupt- zweck iſt offenbar, ſich der organiſchen Form zu naͤhren, in der die meiſte Vereinigung klarer Begriffe, der vielartigſte und freieſte Gebrauch verſchiedner Sinne und Glieder ſtatt faͤnde; und eben dies macht die mehr oder mindere Men- ſchenaͤhnlichkeit der Thiere. Sie iſt kein Spiel der Will- kuͤhr: ſondern ein Reſultat der mancherlei Formen, die zu dem Zweck wozu ſie die Natur verbinden wollte, nehmlich zu einer Uebung der Gedanken, Sinne, Kraͤfte und Begier- den in dieſem Verhaͤltniß, zu ſolchen und keinen andern Zwe- cken nicht anders als alſo verbunden werden konnten. Die Theile jedes Thiers ſtehen auf ſeiner Stuffe in der engſten Proportion unter einander; und ich glaube, alle Formen ſind erſchoͤpft, in denen nur Ein lebendiges Geſchoͤpf auf unſrer Erde T 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/169
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 167[147]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/169>, abgerufen am 21.11.2024.