Erde fortkommen konnte. Dem Thier ward ein vierfüßiger Gang: denn als Menschenhände konnt' es noch nicht seine Vorfüsse gebrauchen; durch den vierfüßigen Gang aber ward ihm sein Stand, sein Lauf, sein Sprung und der Gebrauch aller seiner Thiersinne am leichtsten. Noch hängt sein Kopf zur Erde: denn von der Erde suchts Nahrung. Der Ge- ruch ist bei den meisten herrschend: denn er muß den Jnstinkt wecken oder ihn leiten. Bei diesem ist das Gehör, bei je- nem das Auge scharf; und so hat die Natur nicht nur bei der vierfüßigen Thierbildung überhaupt, sondern bei der Bildung jedes Geschlechts besonders die Proportion der Kräfte und Sinne gewählt, die sich in dieser Organisation am besten zusammen üben konnten. Darnach verlängte oder kürzte sie die Glieder: darnach stärkte oder schwächete sie die Kräfte: jedes Geschöpf ist ein Zähler zu dem großen Nen- ner, der die Natur selbst ist: denn auch der Mensch ist ja nur ein Bruch des Ganzen, eine Proportion von Kräften, die sich in dieser und keiner andern Organisation durch die gemeinschaftliche Beihülfe vieler Glieder zu Einem Ganzen bilden sollte.
7. Nothwendig mußte also in einer so durchdachten Erdorganisation keine Kraft die andre, kein Trieb den andern stören; und unendlich schön ist die Sorgfalt, die die Natur hier verwandte. Die meisten Thiere haben ihr be-
stimmtes
Erde fortkommen konnte. Dem Thier ward ein vierfuͤßiger Gang: denn als Menſchenhaͤnde konnt' es noch nicht ſeine Vorfuͤſſe gebrauchen; durch den vierfuͤßigen Gang aber ward ihm ſein Stand, ſein Lauf, ſein Sprung und der Gebrauch aller ſeiner Thierſinne am leichtſten. Noch haͤngt ſein Kopf zur Erde: denn von der Erde ſuchts Nahrung. Der Ge- ruch iſt bei den meiſten herrſchend: denn er muß den Jnſtinkt wecken oder ihn leiten. Bei dieſem iſt das Gehoͤr, bei je- nem das Auge ſcharf; und ſo hat die Natur nicht nur bei der vierfuͤßigen Thierbildung uͤberhaupt, ſondern bei der Bildung jedes Geſchlechts beſonders die Proportion der Kraͤfte und Sinne gewaͤhlt, die ſich in dieſer Organiſation am beſten zuſammen uͤben konnten. Darnach verlaͤngte oder kuͤrzte ſie die Glieder: darnach ſtaͤrkte oder ſchwaͤchete ſie die Kraͤfte: jedes Geſchoͤpf iſt ein Zaͤhler zu dem großen Nen- ner, der die Natur ſelbſt iſt: denn auch der Menſch iſt ja nur ein Bruch des Ganzen, eine Proportion von Kraͤften, die ſich in dieſer und keiner andern Organiſation durch die gemeinſchaftliche Beihuͤlfe vieler Glieder zu Einem Ganzen bilden ſollte.
7. Nothwendig mußte alſo in einer ſo durchdachten Erdorganiſation keine Kraft die andre, kein Trieb den andern ſtoͤren; und unendlich ſchoͤn iſt die Sorgfalt, die die Natur hier verwandte. Die meiſten Thiere haben ihr be-
ſtimmtes
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Erde fortkommen konnte. Dem Thier ward ein vierfuͤßiger
Gang: denn als Menſchenhaͤnde konnt' es noch nicht ſeine
Vorfuͤſſe gebrauchen; durch den vierfuͤßigen Gang aber ward
ihm ſein Stand, ſein Lauf, ſein Sprung und der Gebrauch
aller ſeiner Thierſinne am leichtſten. Noch haͤngt ſein Kopf
zur Erde: denn von der Erde ſuchts Nahrung. Der Ge-
ruch iſt bei den meiſten herrſchend: denn er muß den Jnſtinkt
wecken oder ihn leiten. Bei dieſem iſt das Gehoͤr, bei je-
nem das Auge ſcharf; und ſo hat die Natur nicht nur bei
der vierfuͤßigen Thierbildung uͤberhaupt, ſondern bei der
Bildung jedes Geſchlechts beſonders die Proportion der
Kraͤfte und Sinne gewaͤhlt, die ſich in dieſer Organiſation
am beſten zuſammen uͤben konnten. Darnach verlaͤngte oder
kuͤrzte ſie die Glieder: darnach ſtaͤrkte oder ſchwaͤchete ſie die
Kraͤfte: jedes Geſchoͤpf iſt ein Zaͤhler zu dem großen Nen-
ner, der die Natur ſelbſt iſt: denn auch der Menſch iſt ja
nur ein Bruch des Ganzen, eine Proportion von Kraͤften,
die ſich in dieſer und keiner andern Organiſation durch die
gemeinſchaftliche Beihuͤlfe vieler Glieder zu Einem Ganzen
bilden ſollte.
7. Nothwendig mußte alſo in einer ſo durchdachten
Erdorganiſation keine Kraft die andre, kein Trieb den
andern ſtoͤren; und unendlich ſchoͤn iſt die Sorgfalt, die die
Natur hier verwandte. Die meiſten Thiere haben ihr be-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 168[148]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/170>, abgerufen am 06.05.2024.
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