Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

ihr Magen und Eingeweide, besonders die Gurgel zusam-
men, die lechzend nnd ausgetrocknet war. Lauter Erweise,
wie sehr sich die biegsame menschliche Natur, selbst da sie von
Menschen gebohren und eine Zeitlang unter ihnen erzogen
worden, in wenigen Jahren zu der niedrigen Thierart gewöh-
nen konnte, unter die sie ein unglücklicher Zufall setzte.

Nun könnte ich auch den häßlichen Traum ausmahlen,
was aus der Menschheit hätte werden müssen, wenn sie zu
diesem Loose verdammt, in einem vierfüßigen Mutterleibe zu
einem Thierfötus gebildet wäre: welche Kräfte sich damit
hätten stärken und schwächen, welches der Gang der Men-
schenthiere, ihre Erziehung, ihre Lebensart, ihr Gliederbau
hätte seyn müssen? u. f. f. Aber fliehe unseliges und ab-
scheuliches Bild! häßliche Unnatur des natürlichen Men-
schen. Du bist weder in der Natur da; noch sollt du durch
Einen Strich meiner Farben vorgestellt werden. Denn:

2. Der aufrechte Gang des Menschen ist ihm
einzig natürlich: ja er ist die Organisation zum gan-
zen Beruf seiner Gattung, und sein unterscheidender
Charakter.

Kein Volk der Erde hat man vierfüßig gefunden; auch
die wildesten haben aufrechten Gang, so sehr sich manche an

Bil-
U 3

ihr Magen und Eingeweide, beſonders die Gurgel zuſam-
men, die lechzend nnd ausgetrocknet war. Lauter Erweiſe,
wie ſehr ſich die biegſame menſchliche Natur, ſelbſt da ſie von
Menſchen gebohren und eine Zeitlang unter ihnen erzogen
worden, in wenigen Jahren zu der niedrigen Thierart gewoͤh-
nen konnte, unter die ſie ein ungluͤcklicher Zufall ſetzte.

Nun koͤnnte ich auch den haͤßlichen Traum ausmahlen,
was aus der Menſchheit haͤtte werden muͤſſen, wenn ſie zu
dieſem Looſe verdammt, in einem vierfuͤßigen Mutterleibe zu
einem Thierfoͤtus gebildet waͤre: welche Kraͤfte ſich damit
haͤtten ſtaͤrken und ſchwaͤchen, welches der Gang der Men-
ſchenthiere, ihre Erziehung, ihre Lebensart, ihr Gliederbau
haͤtte ſeyn muͤſſen? u. f. f. Aber fliehe unſeliges und ab-
ſcheuliches Bild! haͤßliche Unnatur des natuͤrlichen Men-
ſchen. Du biſt weder in der Natur da; noch ſollt du durch
Einen Strich meiner Farben vorgeſtellt werden. Denn:

2. Der aufrechte Gang des Menſchen iſt ihm
einzig natuͤrlich: ja er iſt die Organiſation zum gan-
zen Beruf ſeiner Gattung, und ſein unterſcheidender
Charakter.

Kein Volk der Erde hat man vierfuͤßig gefunden; auch
die wildeſten haben aufrechten Gang, ſo ſehr ſich manche an

Bil-
U 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0179" n="177[157]"/>
ihr Magen und Eingeweide, be&#x017F;onders die Gurgel zu&#x017F;am-<lb/>
men, die lechzend nnd ausgetrocknet war. Lauter Erwei&#x017F;e,<lb/>
wie &#x017F;ehr &#x017F;ich die bieg&#x017F;ame men&#x017F;chliche Natur, &#x017F;elb&#x017F;t da &#x017F;ie von<lb/>
Men&#x017F;chen gebohren und eine Zeitlang unter ihnen erzogen<lb/>
worden, in wenigen Jahren zu der niedrigen Thierart gewo&#x0364;h-<lb/>
nen konnte, unter die &#x017F;ie ein unglu&#x0364;cklicher Zufall &#x017F;etzte.</p><lb/>
          <p>Nun ko&#x0364;nnte ich auch den ha&#x0364;ßlichen Traum ausmahlen,<lb/>
was aus der Men&#x017F;chheit ha&#x0364;tte werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wenn &#x017F;ie zu<lb/>
die&#x017F;em Loo&#x017F;e verdammt, in einem vierfu&#x0364;ßigen Mutterleibe zu<lb/>
einem Thierfo&#x0364;tus gebildet wa&#x0364;re: welche Kra&#x0364;fte &#x017F;ich damit<lb/>
ha&#x0364;tten &#x017F;ta&#x0364;rken und &#x017F;chwa&#x0364;chen, welches der Gang der Men-<lb/>
&#x017F;chenthiere, ihre Erziehung, ihre Lebensart, ihr Gliederbau<lb/>
ha&#x0364;tte &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en? u. f. f. Aber fliehe un&#x017F;eliges und ab-<lb/>
&#x017F;cheuliches Bild! ha&#x0364;ßliche Unnatur des natu&#x0364;rlichen Men-<lb/>
&#x017F;chen. Du bi&#x017F;t weder in der Natur da; noch &#x017F;ollt du durch<lb/>
Einen Strich meiner Farben vorge&#x017F;tellt werden. Denn:</p><lb/>
          <p>2. <hi rendition="#fr">Der aufrechte Gang des Men&#x017F;chen i&#x017F;t ihm<lb/>
einzig natu&#x0364;rlich: ja er i&#x017F;t die Organi&#x017F;ation zum gan-<lb/>
zen Beruf &#x017F;einer Gattung, und &#x017F;ein unter&#x017F;cheidender<lb/>
Charakter.</hi></p><lb/>
          <p>Kein Volk der Erde hat man vierfu&#x0364;ßig gefunden; auch<lb/>
die wilde&#x017F;ten haben aufrechten Gang, &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ich manche an<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">U 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Bil-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177[157]/0179] ihr Magen und Eingeweide, beſonders die Gurgel zuſam- men, die lechzend nnd ausgetrocknet war. Lauter Erweiſe, wie ſehr ſich die biegſame menſchliche Natur, ſelbſt da ſie von Menſchen gebohren und eine Zeitlang unter ihnen erzogen worden, in wenigen Jahren zu der niedrigen Thierart gewoͤh- nen konnte, unter die ſie ein ungluͤcklicher Zufall ſetzte. Nun koͤnnte ich auch den haͤßlichen Traum ausmahlen, was aus der Menſchheit haͤtte werden muͤſſen, wenn ſie zu dieſem Looſe verdammt, in einem vierfuͤßigen Mutterleibe zu einem Thierfoͤtus gebildet waͤre: welche Kraͤfte ſich damit haͤtten ſtaͤrken und ſchwaͤchen, welches der Gang der Men- ſchenthiere, ihre Erziehung, ihre Lebensart, ihr Gliederbau haͤtte ſeyn muͤſſen? u. f. f. Aber fliehe unſeliges und ab- ſcheuliches Bild! haͤßliche Unnatur des natuͤrlichen Men- ſchen. Du biſt weder in der Natur da; noch ſollt du durch Einen Strich meiner Farben vorgeſtellt werden. Denn: 2. Der aufrechte Gang des Menſchen iſt ihm einzig natuͤrlich: ja er iſt die Organiſation zum gan- zen Beruf ſeiner Gattung, und ſein unterſcheidender Charakter. Kein Volk der Erde hat man vierfuͤßig gefunden; auch die wildeſten haben aufrechten Gang, ſo ſehr ſich manche an Bil- U 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/179
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 177[157]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/179>, abgerufen am 06.05.2024.