Gange, zu seiner Gestalt und Lebensweise. Der Affe, den Blumenbach*) zergliederte, war noch thierischer, wahr- scheinlich weil er von einer niedrigern Art war: daher sein größeres cerebellum, daher die andern fehlende Unterschiede in den wichtigsten Regionen. Beim Orang-Utang fallen diese weg, weil sein Haupt minder zurückgebogen, sein Ge- hirn minder zurückgedrückt ist; indessen noch zurückgedrückt gnug, wenn man es mit dem hoch- und rund- und freige- wölbten menschlichen Gehirn vergleicht, der einzigen schönen Kammer der vernünftigen Jdeenbildung. Warum hat das Pferd kein Wundernetz (rete mirabile) gleich andern Thie- ren? weil sein Haupt empor steht und sich die Hauptader schon einigermaßen dem Menschen ähnlich, ohne diese Ver- siegungen, wie bei hangenden Thierhäuptern erhebet. Es ward also auch ein edleres, rasches, muthiges Thier, von vieler Wärme, von wenigem Schlaf; da hingegen bei Ge- schöpfen, denen ihr Haupt niedersank, die Natur im Bau des Gehirns so viel andre Anstalten vorzukehren hatte, so gar, daß sie die Haupttheile desselben mit einer beinern Wand unterschied. Alles kam also auf die Richtung an, nach und zu der sie das Haupt, der Organisation des ganzen Körpers gemäß, formte. Jch schweige von mehrern Beispielen, mit dem Wunsch, daß forschende Zergliederer insonderheit bei
Men-
*)Blumenbach. de varietat. nativ. gen. hum. p. 32.
Gange, zu ſeiner Geſtalt und Lebensweiſe. Der Affe, den Blumenbach*) zergliederte, war noch thieriſcher, wahr- ſcheinlich weil er von einer niedrigern Art war: daher ſein groͤßeres cerebellum, daher die andern fehlende Unterſchiede in den wichtigſten Regionen. Beim Orang-Utang fallen dieſe weg, weil ſein Haupt minder zuruͤckgebogen, ſein Ge- hirn minder zuruͤckgedruͤckt iſt; indeſſen noch zuruͤckgedruͤckt gnug, wenn man es mit dem hoch- und rund- und freige- woͤlbten menſchlichen Gehirn vergleicht, der einzigen ſchoͤnen Kammer der vernuͤnftigen Jdeenbildung. Warum hat das Pferd kein Wundernetz (rete mirabile) gleich andern Thie- ren? weil ſein Haupt empor ſteht und ſich die Hauptader ſchon einigermaßen dem Menſchen aͤhnlich, ohne dieſe Ver- ſiegungen, wie bei hangenden Thierhaͤuptern erhebet. Es ward alſo auch ein edleres, raſches, muthiges Thier, von vieler Waͤrme, von wenigem Schlaf; da hingegen bei Ge- ſchoͤpfen, denen ihr Haupt niederſank, die Natur im Bau des Gehirns ſo viel andre Anſtalten vorzukehren hatte, ſo gar, daß ſie die Haupttheile deſſelben mit einer beinern Wand unterſchied. Alles kam alſo auf die Richtung an, nach und zu der ſie das Haupt, der Organiſation des ganzen Koͤrpers gemaͤß, formte. Jch ſchweige von mehrern Beiſpielen, mit dem Wunſch, daß forſchende Zergliederer inſonderheit bei
Men-
*)Blumenbach. de varietat. nativ. gen. hum. p. 32.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0205"n="203[183]"/>
Gange, zu ſeiner Geſtalt und Lebensweiſe. Der Affe, den<lb/><hirendition="#fr">Blumenbach</hi><noteplace="foot"n="*)"><hirendition="#aq">Blumenbach. de varietat. nativ. gen. hum. p. 32.</hi></note> zergliederte, war noch thieriſcher, wahr-<lb/>ſcheinlich weil er von einer niedrigern Art war: daher ſein<lb/>
groͤßeres <hirendition="#aq">cerebellum</hi>, daher die andern fehlende Unterſchiede<lb/>
in den wichtigſten Regionen. Beim Orang-Utang fallen<lb/>
dieſe weg, weil ſein Haupt minder zuruͤckgebogen, ſein Ge-<lb/>
hirn minder zuruͤckgedruͤckt iſt; indeſſen noch zuruͤckgedruͤckt<lb/>
gnug, wenn man es mit dem hoch- und rund- und freige-<lb/>
woͤlbten menſchlichen Gehirn vergleicht, der einzigen ſchoͤnen<lb/>
Kammer der vernuͤnftigen Jdeenbildung. Warum hat das<lb/>
Pferd kein Wundernetz (<hirendition="#aq">rete mirabile</hi>) gleich andern Thie-<lb/>
ren? weil ſein Haupt empor ſteht und ſich die Hauptader<lb/>ſchon einigermaßen dem Menſchen aͤhnlich, ohne dieſe Ver-<lb/>ſiegungen, wie bei hangenden Thierhaͤuptern erhebet. Es<lb/>
ward alſo auch ein edleres, raſches, muthiges Thier, von<lb/>
vieler Waͤrme, von wenigem Schlaf; da hingegen bei Ge-<lb/>ſchoͤpfen, denen ihr Haupt niederſank, die Natur im Bau<lb/>
des Gehirns ſo viel andre Anſtalten vorzukehren hatte, ſo<lb/>
gar, daß ſie die Haupttheile deſſelben mit einer beinern Wand<lb/>
unterſchied. Alles kam alſo auf die <hirendition="#fr">Richtung</hi> an, nach und<lb/>
zu der ſie das Haupt, der Organiſation des ganzen Koͤrpers<lb/>
gemaͤß, formte. Jch ſchweige von mehrern Beiſpielen, mit<lb/>
dem Wunſch, daß forſchende Zergliederer inſonderheit bei<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Men-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[203[183]/0205]
Gange, zu ſeiner Geſtalt und Lebensweiſe. Der Affe, den
Blumenbach *) zergliederte, war noch thieriſcher, wahr-
ſcheinlich weil er von einer niedrigern Art war: daher ſein
groͤßeres cerebellum, daher die andern fehlende Unterſchiede
in den wichtigſten Regionen. Beim Orang-Utang fallen
dieſe weg, weil ſein Haupt minder zuruͤckgebogen, ſein Ge-
hirn minder zuruͤckgedruͤckt iſt; indeſſen noch zuruͤckgedruͤckt
gnug, wenn man es mit dem hoch- und rund- und freige-
woͤlbten menſchlichen Gehirn vergleicht, der einzigen ſchoͤnen
Kammer der vernuͤnftigen Jdeenbildung. Warum hat das
Pferd kein Wundernetz (rete mirabile) gleich andern Thie-
ren? weil ſein Haupt empor ſteht und ſich die Hauptader
ſchon einigermaßen dem Menſchen aͤhnlich, ohne dieſe Ver-
ſiegungen, wie bei hangenden Thierhaͤuptern erhebet. Es
ward alſo auch ein edleres, raſches, muthiges Thier, von
vieler Waͤrme, von wenigem Schlaf; da hingegen bei Ge-
ſchoͤpfen, denen ihr Haupt niederſank, die Natur im Bau
des Gehirns ſo viel andre Anſtalten vorzukehren hatte, ſo
gar, daß ſie die Haupttheile deſſelben mit einer beinern Wand
unterſchied. Alles kam alſo auf die Richtung an, nach und
zu der ſie das Haupt, der Organiſation des ganzen Koͤrpers
gemaͤß, formte. Jch ſchweige von mehrern Beiſpielen, mit
dem Wunſch, daß forſchende Zergliederer inſonderheit bei
Men-
*) Blumenbach. de varietat. nativ. gen. hum. p. 32.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 203[183]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/205>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.