Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

seiner Bildung herrschen Muskelkräfte und sinnliche Lebens-
reize, die nach dem Zweck des Geschöpfs in jede Organisa-
tion eigen vertheilt sind und den herrschenden Jnstinkt jed-
weder Gattung bilden. Mit der aufrechten Gestalt des
Menschen stand ein Baum da, dessen Kräfte so proportionirt
sind, daß sie dem Gehirn, als ihrer Blume und Krone, die
feinsten und reichsten Säfte geben sollten. Mit jedem Ader-
schlag' erhebt sich mehr als der sechste Theil des Bluts im
menschlichen Körper allein zum Haupt: der Hauptstrom des-
selben erhebt sich gerade und krümmet sich sanft und theilt
sich allmälich, also daß auch die entferntesten Theile des
Haupts von seinem und seiner Brüder Strömen Nahrung
und Wärme erhalten. Die Natur bot alle ihre Kunst
auf, die Gefäße desselben zu verstärken, seine Macht zu schwä-
chen und zu verfeinern, es lange im Gehirn zu halten und
wenn es sein Werk gethan hat, es sanft vom Haupt zurück-
zuleiten. Es entsprang aus Stämmen, die, dem Herzen
nahe, noch mit aller Kraft der ersten Bewegung wirken und
vom ersten Lebensanfange an arbeitet die ganze Gewalt des
jungen Herzens auf diese, die empfindlichsten und edelsten
Theile. Die äussern Glieder bleiben noch ungeformt, da-
mit zuerst nur das Haupt und die innern Theile aufs zartste
bereitet werden. Mit Verwundern sieht man nicht nur das
gewaltige Uebermaaß derselben, sondern auch ihre feine

Structur
A a 2

ſeiner Bildung herrſchen Muskelkraͤfte und ſinnliche Lebens-
reize, die nach dem Zweck des Geſchoͤpfs in jede Organiſa-
tion eigen vertheilt ſind und den herrſchenden Jnſtinkt jed-
weder Gattung bilden. Mit der aufrechten Geſtalt des
Menſchen ſtand ein Baum da, deſſen Kraͤfte ſo proportionirt
ſind, daß ſie dem Gehirn, als ihrer Blume und Krone, die
feinſten und reichſten Saͤfte geben ſollten. Mit jedem Ader-
ſchlag' erhebt ſich mehr als der ſechſte Theil des Bluts im
menſchlichen Koͤrper allein zum Haupt: der Hauptſtrom deſ-
ſelben erhebt ſich gerade und kruͤmmet ſich ſanft und theilt
ſich allmaͤlich, alſo daß auch die entfernteſten Theile des
Haupts von ſeinem und ſeiner Bruͤder Stroͤmen Nahrung
und Waͤrme erhalten. Die Natur bot alle ihre Kunſt
auf, die Gefaͤße deſſelben zu verſtaͤrken, ſeine Macht zu ſchwaͤ-
chen und zu verfeinern, es lange im Gehirn zu halten und
wenn es ſein Werk gethan hat, es ſanft vom Haupt zuruͤck-
zuleiten. Es entſprang aus Staͤmmen, die, dem Herzen
nahe, noch mit aller Kraft der erſten Bewegung wirken und
vom erſten Lebensanfange an arbeitet die ganze Gewalt des
jungen Herzens auf dieſe, die empfindlichſten und edelſten
Theile. Die aͤuſſern Glieder bleiben noch ungeformt, da-
mit zuerſt nur das Haupt und die innern Theile aufs zartſte
bereitet werden. Mit Verwundern ſieht man nicht nur das
gewaltige Uebermaaß derſelben, ſondern auch ihre feine

Structur
A a 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0209" n="207[187]"/>
&#x017F;einer Bildung herr&#x017F;chen Muskelkra&#x0364;fte und &#x017F;innliche Lebens-<lb/>
reize, die nach dem Zweck des Ge&#x017F;cho&#x0364;pfs in jede Organi&#x017F;a-<lb/>
tion eigen vertheilt &#x017F;ind und den herr&#x017F;chenden <hi rendition="#fr">Jn&#x017F;tinkt</hi> jed-<lb/>
weder Gattung bilden. Mit der aufrechten Ge&#x017F;talt des<lb/>
Men&#x017F;chen &#x017F;tand ein Baum da, de&#x017F;&#x017F;en Kra&#x0364;fte &#x017F;o proportionirt<lb/>
&#x017F;ind, daß &#x017F;ie dem Gehirn, als ihrer Blume und Krone, die<lb/>
fein&#x017F;ten und reich&#x017F;ten Sa&#x0364;fte geben &#x017F;ollten. Mit jedem Ader-<lb/>
&#x017F;chlag' erhebt &#x017F;ich mehr als der &#x017F;ech&#x017F;te Theil des Bluts im<lb/>
men&#x017F;chlichen Ko&#x0364;rper allein zum Haupt: der Haupt&#x017F;trom de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elben erhebt &#x017F;ich gerade und kru&#x0364;mmet &#x017F;ich &#x017F;anft und theilt<lb/>
&#x017F;ich allma&#x0364;lich, al&#x017F;o daß auch die entfernte&#x017F;ten Theile des<lb/>
Haupts von &#x017F;einem und &#x017F;einer Bru&#x0364;der Stro&#x0364;men Nahrung<lb/>
und Wa&#x0364;rme erhalten. Die Natur bot alle ihre Kun&#x017F;t<lb/>
auf, die Gefa&#x0364;ße de&#x017F;&#x017F;elben zu ver&#x017F;ta&#x0364;rken, &#x017F;eine Macht zu &#x017F;chwa&#x0364;-<lb/>
chen und zu verfeinern, es lange im Gehirn zu halten und<lb/>
wenn es &#x017F;ein Werk gethan hat, es &#x017F;anft vom Haupt zuru&#x0364;ck-<lb/>
zuleiten. Es ent&#x017F;prang aus Sta&#x0364;mmen, die, dem Herzen<lb/>
nahe, noch mit aller Kraft der er&#x017F;ten Bewegung wirken und<lb/>
vom er&#x017F;ten Lebensanfange an arbeitet die ganze Gewalt des<lb/>
jungen Herzens auf die&#x017F;e, die empfindlich&#x017F;ten und edel&#x017F;ten<lb/>
Theile. Die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern Glieder bleiben noch ungeformt, da-<lb/>
mit zuer&#x017F;t nur das Haupt und die innern Theile aufs zart&#x017F;te<lb/>
bereitet werden. Mit Verwundern &#x017F;ieht man nicht nur das<lb/>
gewaltige Uebermaaß der&#x017F;elben, &#x017F;ondern auch ihre feine<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A a 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Structur</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[207[187]/0209] ſeiner Bildung herrſchen Muskelkraͤfte und ſinnliche Lebens- reize, die nach dem Zweck des Geſchoͤpfs in jede Organiſa- tion eigen vertheilt ſind und den herrſchenden Jnſtinkt jed- weder Gattung bilden. Mit der aufrechten Geſtalt des Menſchen ſtand ein Baum da, deſſen Kraͤfte ſo proportionirt ſind, daß ſie dem Gehirn, als ihrer Blume und Krone, die feinſten und reichſten Saͤfte geben ſollten. Mit jedem Ader- ſchlag' erhebt ſich mehr als der ſechſte Theil des Bluts im menſchlichen Koͤrper allein zum Haupt: der Hauptſtrom deſ- ſelben erhebt ſich gerade und kruͤmmet ſich ſanft und theilt ſich allmaͤlich, alſo daß auch die entfernteſten Theile des Haupts von ſeinem und ſeiner Bruͤder Stroͤmen Nahrung und Waͤrme erhalten. Die Natur bot alle ihre Kunſt auf, die Gefaͤße deſſelben zu verſtaͤrken, ſeine Macht zu ſchwaͤ- chen und zu verfeinern, es lange im Gehirn zu halten und wenn es ſein Werk gethan hat, es ſanft vom Haupt zuruͤck- zuleiten. Es entſprang aus Staͤmmen, die, dem Herzen nahe, noch mit aller Kraft der erſten Bewegung wirken und vom erſten Lebensanfange an arbeitet die ganze Gewalt des jungen Herzens auf dieſe, die empfindlichſten und edelſten Theile. Die aͤuſſern Glieder bleiben noch ungeformt, da- mit zuerſt nur das Haupt und die innern Theile aufs zartſte bereitet werden. Mit Verwundern ſieht man nicht nur das gewaltige Uebermaaß derſelben, ſondern auch ihre feine Structur A a 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/209
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 207[187]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/209>, abgerufen am 05.05.2024.