seiner Bildung herrschen Muskelkräfte und sinnliche Lebens- reize, die nach dem Zweck des Geschöpfs in jede Organisa- tion eigen vertheilt sind und den herrschenden Jnstinkt jed- weder Gattung bilden. Mit der aufrechten Gestalt des Menschen stand ein Baum da, dessen Kräfte so proportionirt sind, daß sie dem Gehirn, als ihrer Blume und Krone, die feinsten und reichsten Säfte geben sollten. Mit jedem Ader- schlag' erhebt sich mehr als der sechste Theil des Bluts im menschlichen Körper allein zum Haupt: der Hauptstrom des- selben erhebt sich gerade und krümmet sich sanft und theilt sich allmälich, also daß auch die entferntesten Theile des Haupts von seinem und seiner Brüder Strömen Nahrung und Wärme erhalten. Die Natur bot alle ihre Kunst auf, die Gefäße desselben zu verstärken, seine Macht zu schwä- chen und zu verfeinern, es lange im Gehirn zu halten und wenn es sein Werk gethan hat, es sanft vom Haupt zurück- zuleiten. Es entsprang aus Stämmen, die, dem Herzen nahe, noch mit aller Kraft der ersten Bewegung wirken und vom ersten Lebensanfange an arbeitet die ganze Gewalt des jungen Herzens auf diese, die empfindlichsten und edelsten Theile. Die äussern Glieder bleiben noch ungeformt, da- mit zuerst nur das Haupt und die innern Theile aufs zartste bereitet werden. Mit Verwundern sieht man nicht nur das gewaltige Uebermaaß derselben, sondern auch ihre feine
Structur
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ſeiner Bildung herrſchen Muskelkraͤfte und ſinnliche Lebens- reize, die nach dem Zweck des Geſchoͤpfs in jede Organiſa- tion eigen vertheilt ſind und den herrſchenden Jnſtinkt jed- weder Gattung bilden. Mit der aufrechten Geſtalt des Menſchen ſtand ein Baum da, deſſen Kraͤfte ſo proportionirt ſind, daß ſie dem Gehirn, als ihrer Blume und Krone, die feinſten und reichſten Saͤfte geben ſollten. Mit jedem Ader- ſchlag' erhebt ſich mehr als der ſechſte Theil des Bluts im menſchlichen Koͤrper allein zum Haupt: der Hauptſtrom deſ- ſelben erhebt ſich gerade und kruͤmmet ſich ſanft und theilt ſich allmaͤlich, alſo daß auch die entfernteſten Theile des Haupts von ſeinem und ſeiner Bruͤder Stroͤmen Nahrung und Waͤrme erhalten. Die Natur bot alle ihre Kunſt auf, die Gefaͤße deſſelben zu verſtaͤrken, ſeine Macht zu ſchwaͤ- chen und zu verfeinern, es lange im Gehirn zu halten und wenn es ſein Werk gethan hat, es ſanft vom Haupt zuruͤck- zuleiten. Es entſprang aus Staͤmmen, die, dem Herzen nahe, noch mit aller Kraft der erſten Bewegung wirken und vom erſten Lebensanfange an arbeitet die ganze Gewalt des jungen Herzens auf dieſe, die empfindlichſten und edelſten Theile. Die aͤuſſern Glieder bleiben noch ungeformt, da- mit zuerſt nur das Haupt und die innern Theile aufs zartſte bereitet werden. Mit Verwundern ſieht man nicht nur das gewaltige Uebermaaß derſelben, ſondern auch ihre feine
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[207[187]/0209]
ſeiner Bildung herrſchen Muskelkraͤfte und ſinnliche Lebens-
reize, die nach dem Zweck des Geſchoͤpfs in jede Organiſa-
tion eigen vertheilt ſind und den herrſchenden Jnſtinkt jed-
weder Gattung bilden. Mit der aufrechten Geſtalt des
Menſchen ſtand ein Baum da, deſſen Kraͤfte ſo proportionirt
ſind, daß ſie dem Gehirn, als ihrer Blume und Krone, die
feinſten und reichſten Saͤfte geben ſollten. Mit jedem Ader-
ſchlag' erhebt ſich mehr als der ſechſte Theil des Bluts im
menſchlichen Koͤrper allein zum Haupt: der Hauptſtrom deſ-
ſelben erhebt ſich gerade und kruͤmmet ſich ſanft und theilt
ſich allmaͤlich, alſo daß auch die entfernteſten Theile des
Haupts von ſeinem und ſeiner Bruͤder Stroͤmen Nahrung
und Waͤrme erhalten. Die Natur bot alle ihre Kunſt
auf, die Gefaͤße deſſelben zu verſtaͤrken, ſeine Macht zu ſchwaͤ-
chen und zu verfeinern, es lange im Gehirn zu halten und
wenn es ſein Werk gethan hat, es ſanft vom Haupt zuruͤck-
zuleiten. Es entſprang aus Staͤmmen, die, dem Herzen
nahe, noch mit aller Kraft der erſten Bewegung wirken und
vom erſten Lebensanfange an arbeitet die ganze Gewalt des
jungen Herzens auf dieſe, die empfindlichſten und edelſten
Theile. Die aͤuſſern Glieder bleiben noch ungeformt, da-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 207[187]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/209>, abgerufen am 24.11.2024.
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