schwaches Kind, aber doch ein Freigebohrner: wenn noch nicht vernünftig, so doch einer bessern Vernunft fähig, wenn noch nicht zur Humanität gebildet, so doch zu ihr bildbar, Der Menschenfresser in Neuseeland und Fenelon, der ver- worfene Pescherei und Newton sind Geschöpfe Einer und derselben Gattung.
Nun scheinet es zwar, daß auf unsrer Erde alle ihr mög- liche Verschiedenheit auch im Gebrauch dieser Gaben statt finden sollte; und es wird ein Stufengang sichtbar vom Menschen, der zunächst ans Thier gränzt, bis zum reinsten Genius im Menschenbilde. Wir dörfen uns auch hierüber nicht wundern, da wir die große Gradation der Thiere un- ter uns sehen, und welch einen langen Weg die Natur neh- men mußte, um die kleine aufsprossende Blüthe von Vernunft und Freiheit in uns organisirend vorzubereiten. Es scheint, daß auf unsrer Erde alles seyn sollte, was auf ihr möglich war und nur denn werden wir uns die Ordnung und Weis- heit dieser reichen Fülle gnugsam erklären können, wenn wir, Einen Schritt weiter, den Zweck übersehen, wozu so Man- cherlei in diesem großen Garten der Natur sproßen mußte. Hier sehen wir meistens nur Gesetze der Nothdurft obwal- ten: denn die ganze Erde auch in ihren wildesten Entlegen- heiten sollte bewohnt werden; und nur der, der sie so fern
streckte,
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ſchwaches Kind, aber doch ein Freigebohrner: wenn noch nicht vernuͤnftig, ſo doch einer beſſern Vernunft faͤhig, wenn noch nicht zur Humanitaͤt gebildet, ſo doch zu ihr bildbar, Der Menſchenfreſſer in Neuſeeland und Fenelon, der ver- worfene Peſcherei und Newton ſind Geſchoͤpfe Einer und derſelben Gattung.
Nun ſcheinet es zwar, daß auf unſrer Erde alle ihr moͤg- liche Verſchiedenheit auch im Gebrauch dieſer Gaben ſtatt finden ſollte; und es wird ein Stufengang ſichtbar vom Menſchen, der zunaͤchſt ans Thier graͤnzt, bis zum reinſten Genius im Menſchenbilde. Wir doͤrfen uns auch hieruͤber nicht wundern, da wir die große Gradation der Thiere un- ter uns ſehen, und welch einen langen Weg die Natur neh- men mußte, um die kleine aufſproſſende Bluͤthe von Vernunft und Freiheit in uns organiſirend vorzubereiten. Es ſcheint, daß auf unſrer Erde alles ſeyn ſollte, was auf ihr moͤglich war und nur denn werden wir uns die Ordnung und Weis- heit dieſer reichen Fuͤlle gnugſam erklaͤren koͤnnen, wenn wir, Einen Schritt weiter, den Zweck uͤberſehen, wozu ſo Man- cherlei in dieſem großen Garten der Natur ſproßen mußte. Hier ſehen wir meiſtens nur Geſetze der Nothdurft obwal- ten: denn die ganze Erde auch in ihren wildeſten Entlegen- heiten ſollte bewohnt werden; und nur der, der ſie ſo fern
ſtreckte,
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[233[213]/0235]
ſchwaches Kind, aber doch ein Freigebohrner: wenn noch
nicht vernuͤnftig, ſo doch einer beſſern Vernunft faͤhig, wenn
noch nicht zur Humanitaͤt gebildet, ſo doch zu ihr bildbar,
Der Menſchenfreſſer in Neuſeeland und Fenelon, der ver-
worfene Peſcherei und Newton ſind Geſchoͤpfe Einer und
derſelben Gattung.
Nun ſcheinet es zwar, daß auf unſrer Erde alle ihr moͤg-
liche Verſchiedenheit auch im Gebrauch dieſer Gaben ſtatt
finden ſollte; und es wird ein Stufengang ſichtbar vom
Menſchen, der zunaͤchſt ans Thier graͤnzt, bis zum reinſten
Genius im Menſchenbilde. Wir doͤrfen uns auch hieruͤber
nicht wundern, da wir die große Gradation der Thiere un-
ter uns ſehen, und welch einen langen Weg die Natur neh-
men mußte, um die kleine aufſproſſende Bluͤthe von Vernunft
und Freiheit in uns organiſirend vorzubereiten. Es ſcheint,
daß auf unſrer Erde alles ſeyn ſollte, was auf ihr moͤglich
war und nur denn werden wir uns die Ordnung und Weis-
heit dieſer reichen Fuͤlle gnugſam erklaͤren koͤnnen, wenn wir,
Einen Schritt weiter, den Zweck uͤberſehen, wozu ſo Man-
cherlei in dieſem großen Garten der Natur ſproßen mußte.
Hier ſehen wir meiſtens nur Geſetze der Nothdurft obwal-
ten: denn die ganze Erde auch in ihren wildeſten Entlegen-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 233[213]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/235>, abgerufen am 24.11.2024.
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