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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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von den Jahren an, da die Triebe erwachen, die Bedeckung
liebe; zumal auch die empfindliche Zartheit dieser Theile und
andre Umstände eine Hülle fodern. Noch ehe der Mensch
also seine andern Glieder gegen die Wuth der Elemente, ge-
gen den Stich der Jnsekten durch Kleider oder Salben zu
schützen suchte, führte ihn ihn eine Art sinnlicher Oekono-
mie
des schnellesten und nothwendigsten Triebes auf die Ver-
hüllung. Unter allen edlern Thieren will das Weib gesu-
chet seyn und bietet sich nicht dar: sie erfüllet damit unwissend
Absichten der Natur und bei den Menschen ist das zartere
Weib auch die weise Bewahrerin der holdseligen Schamm,
die bei der aufrechten Gestalt sich gar bald entwickeln mußte --

Also bekam der Mensch Kleidung und so bald er diese
und einige andere Kunst hatte, war er vermögend jedes Kli-
ma der Erde auszudauren und in Besitz zu nehmen. We-
nige Thiere, fast der Hund allein, haben ihm in alle Gegen-
den nachfolgen können; und doch mit welcher Veränderung
ihrer Gestalt, mit welcher Abartung ihres angebohrnen Tem-
peramentes! Der Mensch allein hat sich am wenigsten und
in wesentlichen Theilen gar nicht verändert. Man erstaunt,
wie ganz und einförmig sich seine Natur erhalten, wenn man
die Abänderungen seiner wandernden Mitbrüder unter den
Thieren siehet. Seine zarte Natur ist so bestimmt, so voll-


kommen

von den Jahren an, da die Triebe erwachen, die Bedeckung
liebe; zumal auch die empfindliche Zartheit dieſer Theile und
andre Umſtaͤnde eine Huͤlle fodern. Noch ehe der Menſch
alſo ſeine andern Glieder gegen die Wuth der Elemente, ge-
gen den Stich der Jnſekten durch Kleider oder Salben zu
ſchuͤtzen ſuchte, fuͤhrte ihn ihn eine Art ſinnlicher Oekono-
mie
des ſchnelleſten und nothwendigſten Triebes auf die Ver-
huͤllung. Unter allen edlern Thieren will das Weib geſu-
chet ſeyn und bietet ſich nicht dar: ſie erfuͤllet damit unwiſſend
Abſichten der Natur und bei den Menſchen iſt das zartere
Weib auch die weiſe Bewahrerin der holdſeligen Schamm,
die bei der aufrechten Geſtalt ſich gar bald entwickeln mußte —

Alſo bekam der Menſch Kleidung und ſo bald er dieſe
und einige andere Kunſt hatte, war er vermoͤgend jedes Kli-
ma der Erde auszudauren und in Beſitz zu nehmen. We-
nige Thiere, faſt der Hund allein, haben ihm in alle Gegen-
den nachfolgen koͤnnen; und doch mit welcher Veraͤnderung
ihrer Geſtalt, mit welcher Abartung ihres angebohrnen Tem-
peramentes! Der Menſch allein hat ſich am wenigſten und
in weſentlichen Theilen gar nicht veraͤndert. Man erſtaunt,
wie ganz und einfoͤrmig ſich ſeine Natur erhalten, wenn man
die Abaͤnderungen ſeiner wandernden Mitbruͤder unter den
Thieren ſiehet. Seine zarte Natur iſt ſo beſtimmt, ſo voll-


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[238[218]/0240] von den Jahren an, da die Triebe erwachen, die Bedeckung liebe; zumal auch die empfindliche Zartheit dieſer Theile und andre Umſtaͤnde eine Huͤlle fodern. Noch ehe der Menſch alſo ſeine andern Glieder gegen die Wuth der Elemente, ge- gen den Stich der Jnſekten durch Kleider oder Salben zu ſchuͤtzen ſuchte, fuͤhrte ihn ihn eine Art ſinnlicher Oekono- mie des ſchnelleſten und nothwendigſten Triebes auf die Ver- huͤllung. Unter allen edlern Thieren will das Weib geſu- chet ſeyn und bietet ſich nicht dar: ſie erfuͤllet damit unwiſſend Abſichten der Natur und bei den Menſchen iſt das zartere Weib auch die weiſe Bewahrerin der holdſeligen Schamm, die bei der aufrechten Geſtalt ſich gar bald entwickeln mußte — Alſo bekam der Menſch Kleidung und ſo bald er dieſe und einige andere Kunſt hatte, war er vermoͤgend jedes Kli- ma der Erde auszudauren und in Beſitz zu nehmen. We- nige Thiere, faſt der Hund allein, haben ihm in alle Gegen- den nachfolgen koͤnnen; und doch mit welcher Veraͤnderung ihrer Geſtalt, mit welcher Abartung ihres angebohrnen Tem- peramentes! Der Menſch allein hat ſich am wenigſten und in weſentlichen Theilen gar nicht veraͤndert. Man erſtaunt, wie ganz und einfoͤrmig ſich ſeine Natur erhalten, wenn man die Abaͤnderungen ſeiner wandernden Mitbruͤder unter den Thieren ſiehet. Seine zarte Natur iſt ſo beſtimmt, ſo voll- kommen

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 238[218]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/240>, abgerufen am 24.11.2024.