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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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Natur nicht und könnte vielmehr Zweifel gegen sie erregen,
da wir unsre Seele nur in einem zusammengesetzten Orga-
nismus durch Wirkungen kennen, die aus einer Mannichfal-
tigkeit von Reizen und Empfindungen zu entsprießen schei-
nen. Der allgemeinste Gedanke ist nur das Resultat un-
zählicher einzelner Wahrnehmungen und die Regentin un-
sers Körpers wirkt auf das zahllose Heer untergeordneter
Kräfte als ob sie ihnen allen auch dem Ort nach gegenwär-
tig wäre -- --

Auch Bonnets sogenannte Philosophie der Keime kann
hier unsre Führerin nicht seyn: denn sie ist in Absicht auf
den Uebergang zu einem neuen Daseyn theils unerwiesen,
theils nicht zu ihm gehörig. Niemand hat in unserm Ge-
hirn ein geistliches Gehirn, den Keim zu einem neuen Da-
seyn entdeckt; auch das kleinste Analogon dazu ist im Bau
desselben nicht sichtbar. Das Gehirn des Todten bleibt
uns und wenn die Knospe unsrer Unsterblichkeit nicht andre
Kräfte hätte: so läge sie verdorret im Staube. Ja diese
Philosophie ist, wie mich dünkt, auch hieher ganz ungehörig,
da wir hier nicht von Absproßung eines Geschöpfs in junge
Geschöpfe seiner Art: sondern von Aufsproßung des ab-
sterbenden Geschöpfs in ein neues Daseyn reden; vielmehr
setzte sie, wenn sie auch nur in der irdischen Generation aus-

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Natur nicht und koͤnnte vielmehr Zweifel gegen ſie erregen,
da wir unſre Seele nur in einem zuſammengeſetzten Orga-
niſmus durch Wirkungen kennen, die aus einer Mannichfal-
tigkeit von Reizen und Empfindungen zu entſprießen ſchei-
nen. Der allgemeinſte Gedanke iſt nur das Reſultat un-
zaͤhlicher einzelner Wahrnehmungen und die Regentin un-
ſers Koͤrpers wirkt auf das zahlloſe Heer untergeordneter
Kraͤfte als ob ſie ihnen allen auch dem Ort nach gegenwaͤr-
tig waͤre — —

Auch Bonnets ſogenannte Philoſophie der Keime kann
hier unſre Fuͤhrerin nicht ſeyn: denn ſie iſt in Abſicht auf
den Uebergang zu einem neuen Daſeyn theils unerwieſen,
theils nicht zu ihm gehoͤrig. Niemand hat in unſerm Ge-
hirn ein geiſtliches Gehirn, den Keim zu einem neuen Da-
ſeyn entdeckt; auch das kleinſte Analogon dazu iſt im Bau
deſſelben nicht ſichtbar. Das Gehirn des Todten bleibt
uns und wenn die Knoſpe unſrer Unſterblichkeit nicht andre
Kraͤfte haͤtte: ſo laͤge ſie verdorret im Staube. Ja dieſe
Philoſophie iſt, wie mich duͤnkt, auch hieher ganz ungehoͤrig,
da wir hier nicht von Abſproßung eines Geſchoͤpfs in junge
Geſchoͤpfe ſeiner Art: ſondern von Aufſproßung des ab-
ſterbenden Geſchoͤpfs in ein neues Daſeyn reden; vielmehr
ſetzte ſie, wenn ſie auch nur in der irdiſchen Generation aus-

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[261[241]/0263] Natur nicht und koͤnnte vielmehr Zweifel gegen ſie erregen, da wir unſre Seele nur in einem zuſammengeſetzten Orga- niſmus durch Wirkungen kennen, die aus einer Mannichfal- tigkeit von Reizen und Empfindungen zu entſprießen ſchei- nen. Der allgemeinſte Gedanke iſt nur das Reſultat un- zaͤhlicher einzelner Wahrnehmungen und die Regentin un- ſers Koͤrpers wirkt auf das zahlloſe Heer untergeordneter Kraͤfte als ob ſie ihnen allen auch dem Ort nach gegenwaͤr- tig waͤre — — Auch Bonnets ſogenannte Philoſophie der Keime kann hier unſre Fuͤhrerin nicht ſeyn: denn ſie iſt in Abſicht auf den Uebergang zu einem neuen Daſeyn theils unerwieſen, theils nicht zu ihm gehoͤrig. Niemand hat in unſerm Ge- hirn ein geiſtliches Gehirn, den Keim zu einem neuen Da- ſeyn entdeckt; auch das kleinſte Analogon dazu iſt im Bau deſſelben nicht ſichtbar. Das Gehirn des Todten bleibt uns und wenn die Knoſpe unſrer Unſterblichkeit nicht andre Kraͤfte haͤtte: ſo laͤge ſie verdorret im Staube. Ja dieſe Philoſophie iſt, wie mich duͤnkt, auch hieher ganz ungehoͤrig, da wir hier nicht von Abſproßung eines Geſchoͤpfs in junge Geſchoͤpfe ſeiner Art: ſondern von Aufſproßung des ab- ſterbenden Geſchoͤpfs in ein neues Daſeyn reden; vielmehr ſetzte ſie, wenn ſie auch nur in der irdiſchen Generation aus- ſchlieſ- H h

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 261[241]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/263>, abgerufen am 26.11.2024.